Alle reden mit und dürfen nach Mallorca

Nassehi, Kraushaar, von Hodenberg bei den Römerberggesprächen zu 68

Von Rudolf Walther

„68“ braucht kein rundes Jubiläum, um im Gespräch zu bleiben. Ressentimentgesteuerte Gegner vom Kaliber der Gauland-Dobrindt-Scheuer-Söder GmbH genügen, um das Thema in der medialen Endlosschleife zu halten.

Aber auch die Wissenschaft befeuert das Thema. Der Münchner Soziologe Armin Nassehi belebte die am Samstag stattfindenden Frankfurter Römerberggespräche zum Thema „1968–2018. What is left?“ mit einem munteren Spiel mit den beliebig verwendbaren Luhmann’schen Begriffsklötzchen. Dem Meister folgend, begann er mit einer Unterscheidung – nämlich der von „implizit Linken“ und „explizit Linken“. Die Unterscheidung hat mit den „68ern“ gar nichts und mit der Linken nur peripher zu tun. Die Lösung im üblichen dualen Takt ist denkbar trivial. Die „implizit Linken“ sind das Realität gewordene Erbe der „Generationslage 1968“ und bewirkten eine „Generalinklusion der Bevölkerung“ und einen „impliziten Linksruck“ des Ganzen. Die „implizite Linke“ war also so etwas wie der systemische Vollstrecker der energischen Gegner der wirklichen Linken: des Konservativen Helmut Schelsky und seiner „nivellierten Mittelstandsgesellschaft“ – alle reden mit und alle dürfen nach Mallorca fliegen.

Die „explizit Linken“, von denen Nassehi nur Dutschke kennt, waren dagegen „zu kurz“ hörbar und obendrein „zu laut“ – und bilden nur noch „konsequenzfreie Erzählanlässe“, oder im Bielefelder Jargon: Sie sind die alteuropäischen Dorftrottel, die die Tautologie, dass „das System tut, was das System tut“, immer schon albern fanden.

Der Freiburger Historiker Ulrich Herbert bot einen kundigen Überblick über die weltweite Revolte, die eines gewiss nicht war: eine provinzielle Veranstaltung. Wolfgang Kraushaar, der sachkundigste Chronist der Studentenbewegung, machte deutlich, dass sich die nach 1969 gegründeten kommunistisch-maoistischen Grüppchen durchaus zu Unrecht auf „68“ berufen und die politische Dynamik mit anachronistischen Kostümen („Lederjacke“) und autoritären Strukturen verfremdeten.

Als Vorbild für eine zeitgemäße Linke können heute weder die Studentenbewegung noch der Campus-Maoismus dienen, weil sie gegen die Gefahren des „technologisch gesteuerten Totalitarismus“ im Namen von Neoliberalismus, Globalisierung und Digitalisierung nichts anzubieten haben. Und auch den Marxismen fehlt Kraushaar zufolge eine brauchbare Theorie politischen Handelns.

Die „68erin“ Gisela Notz unterhielt sich mit der jungen Historikerin Christina von Hodenberg über die Frauenbewegung und deren Beitrag zum kulturellen Wandel, wobei offen blieb, wer mehr dafür leistete: die Pharmaindustrie mit der Pille oder die neue Frauenbewegung.

Der Frankfurter Philosoph Martin Saar interpretierte das Unbehagen an der parlamentarischen Demokratie in seinem luziden Beitrag als elementaren Zug von „68“ und als unabgegoltenes Vermächtnis, Demokratie gleichzeitig zu verteidigen, zu vertiefen und zu erweitern über geltende Verfassungsnormen und nationale Grenzen hinaus.