piwik no script img

Kommentar Proteste gegen RheinmetallKeine Flucht vor der Geschichte

Daniél Kretschmar
Kommentar von Daniél Kretschmar

Während sich die Rheinmetall-Aktionäre die Dividenden genehmigen, werden sie vor der Tür an ihre historische Verantwortung erinnert.

Kurdische Fahnen bei den Protesten gegen Rheinmetall Foto: dpa

E ine geschichtsvergessene politische Geschmacklosigkeit – anders kann man es nicht nennen, dass der deutsche Rüstungshersteller Rheinmetall die Hauptversammlung seiner Aktionäre am 8. Mai abhält, dem Tag der Befreiung vom Faschismus. Während dieses Datum Anlass zur Besinnung auf die historische Verantwortung sein sollte, verteilen die Shareholder ihre Dividenden aus dem Bilanzgewinn einer Waffenschmiede, deren Produkte auf aller Welt Menschen töten. Mit Freude vermeldet das Unternehmen, dass sich die Auftragseingänge in der Sparte Defence im ersten Quartal 2018 mehr als verdoppelt haben.

Die Proteste einer Handvoll AktivistInnen in Berlin nehmen sich gegen die gigantische Maschinerie der Rüstungsindustrie fast ein wenig hilflos aus, sinnlos aber sind sie keineswegs. Sie machen deutlich, dass die sonst als selbstverständlich wahrgenommene Verteilung der Profite aus dem Waffenhandel nicht völlig unwidersprochen bleiben darf.

Ganz richtig ziehen die Protestierenden die Verbindungslinie von den kurdischen Toten in Afrin und den Bombenopfern in Jemen zu den Rheinmetall-Aktionären im Hotel Maritim. Genauso richtig weisen sie auf die historische Schuld des Unternehmens hin, das während des Zweiten Weltkriegs riesige Gewinne mit dem Einsatz von ZwangsarbeiterInnen erwirtschaftete.

Dass dieses ganze Lehrstück deutscher Flucht vor der Geschichte an einem 8. Mai direkt neben der Gedenkstätte Deutscher Widerstand am Bendlerblock aufgeführt wird, komplettiert das Bild. Darauf zu sehen ist eine Gesellschaft, die sich fragen muss, ob die Erinnerung an Krieg und Verbrechen ein leeres Ritual ist, gut für Sonntagsreden und den Ruf in der Welt. Oder ob diese Erinnerung Mahnung und Aufforderung sein soll, alles Menschenmögliche zu tun, dass Derartiges nie wieder mit deutschen Waffen und deutschem Geld möglich ist.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Daniél Kretschmar
Autor
Jahrgang 1976, Redakteur für die tageszeitung 2006-2020, unter anderem im Berlinteil, dem Onlineressort und bei taz zwei. Newsletter unter: https://buttondown.email/abgelegt
Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • „Dass dieses ganze Lehrstück deutscher Flucht vor der Geschichte an einem 8. Mai direkt neben der Gedenkstätte Deutscher Widerstand am Bendlerblock aufgeführt wird, komplettiert das Bild. Darauf zu sehen ist eine Gesellschaft, die sich fragen muss, ob die Erinnerung an Krieg und Verbrechen ein leeres Ritual ist, gut für Sonntagsreden und den Ruf in der Welt. Oder ob diese Erinnerung Mahnung und Aufforderung sein soll, alles Menschenmögliche zu tun, dass Derartiges nie wieder mit deutschen Waffen und deutschem Geld möglich ist.“

     

    Die Geschäftspraktiken der Rheinmetall während der NS-Zeit sind oft auch heute in einer ähnlichen Form anzutreffen. Gewinnmaximierung und Profitorientierung von Unternehmen fallen sehr oft zu Lasten der Eigenbevölkerung oder Menschen im Ausland. Beispielsweise Energetische Modernisierung (als reines Instrument der Mieterhöhung) wäre zu benennen. Ausnutzung der Leiharbeiter und Arbeitnehmer im Niedriglohnsektor (vor allem durch die Einführung von Agenda 2010 hat sich das verstärkt und intensiviert) oder Ausbeutung armer Menschen im Ausland (Kinderarbeit) werden in Planungen von vielen Unternehmen explizit kalkuliert. Ausnutzung von Erwerbslosen durch „Zwangsarbeit“= gemeinnützige Arbeit (2 Mark/1 € Jobs) oder in kostenlosen Praktika, die oft sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze ersetzen, sind als Fehlentwicklungen der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik einzustufen. Oder gar zum Tod von Menschen führende Geschäftskonzepte (Waffenverkäufe der Waffenindustrie) sind in einem Rechtsstaat zumindest diskutierungsbedürftig.