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Ein Kaff am Strand in Kalifornien

„Die Mütter“: Die 26-jährige Amerikanerin Brit Bennett legt einen wunderschön erzählten Debütroman vor, der von jungen und alten Frauen (und ein bisschen von Männern) und vom Leben einer kleinen Community im Umbruch handelt

Sie lässt Mütter im Chor von Emanzipationsversuchen und notwendigen Verlusten erzählen: der neue US-Literaturstar Brit Bennett Foto: Basso Cannarsa/Opale/Leemage/laif

Von Katharina Granzin

Inwieweit spielt es eigentlich eine Rolle, welche Hautfarbe eine Romanfigur hat? Oder ab wann? Die erste Stelle (von sehr wenigen), an der in Brit Bennetts Debütroman „Die Mütter“ auf die Hautfarbe einer Person Bezug genommen wird, findet sich bereits nach den ersten paar Seiten, damit die Sache klar ist. Die Hauptfigur, das Mädchen Nadia, wird von einem „alten schwarzen Mann“ in einer Bar angetatscht. Und noch während man sich fragt, warum die Information über die Hautfarbe hier relevant sein soll, wird Nadia von einer Frau, die sie vor dem Alten rettet, in ein Gespräch über ihr eigenes Äußeres verwickelt: „Sind die Augen echt? Bist du halb und halb?“

Nadia, erfahren wir somit, ist ein schwarzes Mädchen mit recht heller Haut. Ihre Geschichte erfährt dadurch sofort eine bestimmte Richtung. Es wird die Geschichte einer persönlichen und gesellschaftlichen Emanzipation werden, die mit einem großen Verlust erkauft werden muss. Und die sehr wahrscheinlich anders verliefe und erzählt werden müsste, wenn Nadia ein weißes Mädchen wäre.

„Die Mütter“ spielt in einem kleinen kalifornischen Kaff am Meer. Menschen aller Hautfarben wohnen hier, die Kinder gehen miteinander zur Schule, feiern zusammen Partys; doch auf einer anderen Ebene des gesellschaftlichen Lebens gelten, ohne dass das thematisiert würde, andere Regeln und Zugehörigkeiten. Nadias Vater hat sich wie viele schwarze Einwohner des Ortes eng einer christlichen Gemeinde angeschlossen – umso mehr, nachdem seine Frau aus unbekannten Gründen Selbstmord begangen hat.

Die Upper Room, wie die Gemeinde heißt, hat einen charismatischen Pastor, dessen Sohn Luke einst ein hoffnungsvoller Footballer war, nach einem Unfall aber den Traum von einer Sportkarriere begraben musste und als Kellner arbeitet. Die 17-jährige Nadia bändelt mit ihm an, während sie, im Jahr nach dem Tod der Mutter, allein mit ihrer Trauer fertig zu werden versucht. Sie wird schwanger und treibt das Kind ab, weil sie weiß, dass ihr Leben sonst auf sehr traditionelle Weise vorherbestimmt wäre. Gleichzeitig quält sie der Gedanke, dass sie selbst ja ebenso das Ergebnis einer Teenagerschwangerschaft gewesen ist.

Brit Bennett gelingt das Kunststück, alle Figuren mit gleicher Wahrhaftigkeit und Intensität zu füllen, auch wenn deren Interessenlagen sehr oft in Widerspruch zueinander stehen. Nadia und Luke werden durch die ungewollte Schwangerschaft und eine unglückliche Gemengelage von Heimlichkeiten und Missverständnissen auseinandergetrieben. Nadia und ihre beste Freundin, Audrey, harmonieren lange Zeit in vollendeter Gegensätzlichkeit, aber die Umstände werden es mit sich bringen, dass das nicht so bleiben kann. Die ältere Generation, Nadias Vater und Lukes keineswegs unfehlbare Pastoreneltern, wird in deutlich weniger ausführlicher Innensicht vorgeführt; aber auch diese Nebenfiguren sind durchweg glaubhaft und in ihren Motivationen nachvollziehbar.

Brit Bennett: „Die Mütter“. Aus dem Englischen von Robin Detje. Rowohlt, Reinbek 2018. 320 Seiten, 20 Euro

Das alles ist sehr schön gemacht, wäre aber gar nicht so außergewöhnlich, wenn die Autorin nicht für diese Art des einfühlenden Erzählens eine Metaebene eingeführt hätte, die sich innerhalb des Textes selbst befindet und sich dadurch quasi auch selbst enthält. „Die Mütter“ heißt der Roman aus mehreren Gründen. Um gewollte und ungewollte Mutterschaft geht es zum einen, um Frauenschicksale, um die konträr verlaufenden Lebenswege von Nadia und Audrey und um deren Mütter, die ihre Töchter jeweils auf andere Art im Stich gelassen haben. „Die Mütter“ aber sind gleichzeitig eine Erzählinstanz, die sich regelmäßig mit persönlichen Kommentaren und Reminiszenzen zu Wort meldet. Sie erzählt im „Wir“-Modus, sie hört, sieht, weiß alles und übernimmt (wie weit das geht, bleibt allerdings etwas unklar) quasi die Erzählerrolle.

Als Romanfiguren sind „Die Mütter“ ein paar alte Frauen aus der Gemeinde. Für die Handlung spielen sie keine Rolle, sondern steuern nur ihre Perspektive bei. Es ist die Eigenschaft des Mutterseins, oder Muttergewesenseins, die an ihnen interessant ist, und die nun aus ihnen eine Instanz macht, die mit abgeklärtem Mitgefühl in die Seelen der Jüngeren blickt, und deren Blick sowohl in die Vergangenheit reicht als auch die Gegenwart genau beobachtet. Durch die gleichsam überpersönliche, abstrakte Qualität dieser „mütterlichen“ Metainstanz – die zunächst recht konstruiert wirkt –, gewinnt Bennetts Roman eine zusätzliche Tiefendimension und zeichenhafte Qualität.

Die Geschichte der schönen, ehrgeizigen Nadia, die studiert und draußen in der Welt als schwarze Frau unter weißen Männern Karriere macht, setzt sich damit um so deutlicher ab vom Hintergrund einer kleinen, christlich geprägten Community, die einerseits erstickend wirken kann mit der Enge ihres Horizonts, aber andererseits ein Gefühl des Aufgehobenseins und der Zugehörigkeit vermittelt. Obwohl sie sich in einem engen, kammerspielartigen Erzählrahmen bewegt und psychologisch ganz nah bei ihren Figuren bleibt, gelingt es Brit Bennett gleichsam nebenbei, eine Gesellschaft im Umbruch zu zeigen.

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