Revision einer Sammlung: Versuch einer Öffnung
Die Nationalgalerie sortiert im Hamburger Bahnhof in Berlin ihre Sammlung neu. Es geht um die Korrektur der eurozentrischen Perspektive.
Jetzt auch in der Kunst: der Ausstellungstitel in leichter Sprache. „Hello World“ heißt die letzten Freitag eröffnete Schau der Berliner Nationalgalerie. Das klingt irgendwie cool. Nur was soll man sich darunter vorstellen? Im Untertitel wird die „Revision einer Sammlung“ angekündigt. Soll der Titel also sagen, „Hallo Welt! Schau mal her, was wir Tolles machen!“, wo wir jetzt das eigene Tun und Lassen kritisch hinterfragen?
Nein, sagt Udo Kittelmann, der Direktor der Nationalgalerie, die das hoch ambitionierte, von der Bundeskulturstiftung mit ihrer Initiative „Museum Global“ angestoßene und mit 800.000 Euro geförderte Ausstellungsprojekt verantwortet. Es gehe um eine Einladung an alle, niemanden solle sich ausgeschlossen fühlen. Revision einer Sammlung bedeute ja, sich vorzustellen, wie die Sammlung der Nationalgalerie aussähe, hätte ein weltoffeneres Verständnis ihre Entstehung und ihren Kunstbegriff bestimmt.
Das Unternehmen ist also eine Übung in Demut, weil die eigene Sammlung in eine globale Perspektive zu rücken eben zunächst einmal heißt, festzustellen, worauf zu achten man versäumt hat. So war es etwa für die Verantwortlichen musealer Sammlungen edie längste Zeit eine völlig unbekannte Tatsache, dass es Künstlerinnen gibt. Unter den mehr als 250 Künstlern der Ausstellung finden sich gerade mal 27 Künstlerinnen.
Auf etwas über 10 Prozent lässt sich ihr Anteil offenbar nicht steigern, obwohl knapp ein Drittel der Arbeiten schon Leihgaben sind, der Künstlerinnen selbst, ihrer Galerien oder Sammler. Museen sind nicht darunter, sie kennen global keine Künstlerinnen, da muss sich Berlin im Besonderen nichts vorwerfen.
"Hello World. Revision einer Sammlung" läuft bis zum 26. August im Hamburger Bahnhof, Museum der Gegenwart, Berlin. Im Juni erscheint im Hirmer Verlag, München, der Katalog, Preis ca. 60 Euro. An jedem ersten Donnerstag im Monat ist der Eintritt von 16 bis 20 Uhr frei.
Entsprechend sind die vier Blätter aus einer Serie von sechs Siebdrucken, die Anni Albers 1973 schuf, die Leihgabe einer Galerie, die sechs Zinklithografien von 1942, zwei Holzschnitte (1944, 1948) sowie zwei Ölbilder aus seinen Studien zum Quadrat (1959, 1967) von Josef Albers aber stammen selbstverständlich aus dem Bestand der Nationalgalerie und dem Kupferstichkabinett.
Entscheidendes ist nicht mehr nachzuholen
Man sieht also, trotz allem Bemühen geben die Sammlungen der Nationalgalerie und der Staatlichen Museen zu Berlin, also Ethnologisches Museum, Kunstbibliothek, Kupferstichkabinett, Museum für Asiatische Kunst, Ibero-Amerikanisches Institut, Zentralarchiv und Staatsbibliothek, Entscheidendes nicht her.
Doch lässt sich auf ihrer Grundlage erstaunlich weit über den eigenen Tellerrand hinausschauen. Das zeigt sich eindrucksvoll im Hamburger Bahnhof, dessen gesamtes Raumangebot „Hello World“ mit seinen dreizehn Erzählungen genannten Kapiteln einnimmt.
Sie handeln etwa von der indischen Moderne im frühen 20. Jahrhundert, der Idee des globalen Happenings in den Sechzigern und Siebzigern, der alternativen Kunstproduktion in den Länder hinter dem sogenannten Eisernen Vorhang zwischen 1950 und 1980 und den drei Primärfarben Rot, Gelb und Blau als Ausdruck einer universellen Moderne. Anders als die Institutionen haben Künstler und Künstlerinnen immer über den eigenen Tellerrand geschaut.
Also folgt „Hello World“ den Spuren des deutschen Künstlers Walter Spies, der in den 1920er Jahren von Dresden nach Indonesien zog, wo er auf Bali zusammen mit dortigen Künstlern die Gruppe Pita Maha gründete, oder den japanischen Künstlern, die zur gleichen Zeit in Berlin über Herwarth Waldens Galerie Der Sturm mit den verschiedenen Strömungen der europäischen Avantgarde bekannt wurden.
Denn der Impuls zum Austausch und zur Vernetzung bewegt Künstler und Künstlerinnen an jedem Ort der Welt. KünstlerInnen sind eben Erkundungsspezialisten, nicht nur was Motivik, Material, Farbe und Form ihres Werks, sondern auch was den eigenen Lebensstil, das eigene Wissen und die eigene Welterfahrung angeht.
Anregend, überfällig, aber nicht grundstürzend
Die einzelnen, von den acht hauseigenen und den fünf Gastkuratoren gestalteten Themenbereiche treten dabei mal ausgesprochen attraktiv auf, wie etwa bei „Ein Paradies erfinden. Sehnsuchtsorte von Paul Gauguin bis Tita Salina“, mal eher akademisch blass wie ausgerechnet bei „Kommunikation als Globales Happening. Aktionskunst, Konzeptkunst, Medienkunst“.
Deswegen muss man aber die versprochene Horizonterweiterung nicht missen. Es braucht nur eben seine Zeit, sie zu erfahren. Insgesamt ist das Projekt anregend, überfällig, aber nicht grundstürzend. Die Nationalgalerie darf eine solche weiterhin bleiben.
Das Studium der Vitrinen voller Zeitschriften, Bücher und Fotografien, die zeigen, wie absolut international vernetzt die Avantgarde noch nach dem Ersten Weltkrieg war, fällt in dem vom Gabriele Knappstein elegant und geradezu meditativ inszenierten Parcours der „Plattformen der Avantgarde. Der Sturm in Berlin und Mavo in Tokio“ leicht.
Und wer ist schon einmal mit der von Tomoyoshi Murayama (1901-1977) gegründete Zeitschrift „Mavo“ bekannt gemacht worden? Oder mit seinen Ölgemälden und Arbeiten auf Papier, die jederzeit als vom russischen Konstruktivismus oder deutschen Dada beeinflusst erkannt werden? Zuvor geht man durch einen der anregendsten Räume, in dem Clémentine Deliss ihre Ergebnisse zu „Die tragbare Heimat. Vom Feld zur Fabrik“ vorstellt.
Das Feld gehört dem Worpsweder Künstler Heinrich Vogeler, der ganz neu zu entdecken ist in seiner Rolle als „ästhetischer Makler“ (so das Booklet) zwischen Deutschland und der Sowjetunion. Seine 1923 auf einer Moskaureise entstandenen Agitationstafeln, malerische Collagen aller denkbaren Errungenschaften der revolutionären Sowjetunion, sollten zur Migration ermutigen.
Speziell bereiste er aber die Kaukasusregion und Armenien, auf das Deliss den Fokus gerichtet hat. Die Fabrik meint die Impuls-Fabrik in Dilidschan, in der seit den Sechzigern hochwertige Elektronikteile produziert wurden. Zur gleichen Zeit war die Kleinstadt, die schon im 19. Jahrhundert Besucher aus der Türkei, dem Iran und Georgien anzog, dank einer Vielzahl von Künstlerresidenzen Treffpunkt von Kunst und Kulturschaffenden.
Lebendige Laborsituation
Schostakowitsch, Strawinsky, Benjamin Britten oder Andrej Tarkowski, Jean-Paul Sartre und Alberto Moravia sind nur einige der Kurzzeitresidenten. Dem Geist ihrer Dialoge sucht das Dilidschan Arts Observatory in unterschiedlichster medialer wie materieller Gestalt, also Filmen, Fotografien, Tonaufnahmen, Zeitschriften, Installationen et cetera habhaft zu werden.
Das mündet in eine lebendige, teils unübersichtliche Laborsituation, die auch aufgrund der Leihgaben nicht unbedingt in einer Form ist, in der eine hauseigene Sammlung längerfristig zu präsentieren wäre. Wie ein achtsameres, gleichwohl auf seine Sammlung zurückgeworfenes Museum aussehen könnte, dafür war am Ende das Experiment mit der Sammlung Marx, „Das Menschenrecht des Auges“ genannt, aufschlussreich.
Die Sammlung war als private Sammlung schlecht nach ihren Versäumnissen zu befragen. Stattdessen ging man den kulturellen und gesellschaftspolitischen Beziehungen nach, die sich anhand der Werke feststellen ließen und die in Anlehnung an Aby Warburg in assoziative Bildtafeln einflossen, die nun bekannte, aber auch aus dem Depot geholte Arbeiten – wie etwa ein Sichel und Hammer Bild von Andy Warhol – der Sammlung aufschlussreich ergänzen. Nur der olle Mao an der Wand stört den erfreulichen Eindruck einer frischen Hängung.
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