piwik no script img

Professor, wie halten Sie’s mit dem Mittelbau?

Was können Studierende für bessere Arbeitsbedingungen ihrer Dozenten tun?Professor Peter Grottian meint: mindestens unbequeme Fragen stellen. Ein Appell

Von Peter Grottian

Erste Semesterwoche. Die Hochschullehrer der FU Berlin stellen ihre Lehrveranstaltungen vor. Für Erstsemester, für Überblicksvorlesungen, für wichtige Seminare für den Abschluss zum Bachelor oder Master. Die Hochschullehrer scheinen gut vorbereitet: Konzept, ausführliche Literaturliste und das Versprechen, die schriftlichen Hausarbeiten anzuleiten und am Ende auch zu besprechen. Es gibt ein paar wenige Fragen, eher zu technischen Abläufen, nicht zum Konzept der Lehrveranstaltung. Stiller Konsens.

Plötzlich meldet sich eine Studentin. Sie habe zwar keine Frage zur Lehrveranstaltung, sagt sie fast entschuldigend, aber sie wolle doch mal wissen, wie fürsorglich sich Professoren für den Mittelbau einsetzen. Das sei ja für die Arbeitsatmosphäre an einem großen Forschungs- und Lehrinstitut entscheidend. Sie habe neulich in einer Tageszeitung einen großen Artikel über die katastrophale Arbeits- und Lebenslage des akademischen Mittelbaus gelesen: 80 Prozent Stellen auf Zeit, 50 Prozent in Teilzeit, schlecht bezahlt, ausgebeutet, mit nur wenigen Mitspracherechten, eher an der Kette trotz lockerem Umgangston.

„Ich wollte Sie, Herr Professor R., fragen, wie halten Sie es mit dem Mittelbau, der Sie mehrere Forschungsprojekte leiten und im Institutsrat sitzen?“

Stille.

2009 protestierten Hunderttausende

Der Bildungsstreik 2009 Zwischen dem 15. und 19. Juni 2009 gingen in ganz Deutschland Schüler, Studierende und Gewerkschafter auf die Straße, um ihren Unmut über das Bildungssystem auszudrücken. In den westdeutschen Bundesländern stieß das achtjährige Gymnasium (G8) auf Ablehnung. An den Hochschulen klagten Studierende über die neuen Studienabschlüsse Bachelor/Master (Bologna-Reform) und Studiengebühren. Im November kam es in mehr als 60 Städten zu Hörsaalbesetzungen.

Die Erfolge Schon 2008 hatten Studentenproteste zur Abschaffung der Studiengebühren in Hessen geführt. So unmittelbar erfolgreich war der Protest 2009 nicht – obwohl heute das Erststudium in ganz Deutschland wieder gebührenfrei ist. Weiter führte die Kritik an Bologna dazu, dass die starren Regeln bei Studiendauer und -zulassung gelockert wurden. Auch wurde das Bafög erhöht.

Solche Fragen sind heute ungewöhnlich.

Professor R. bedankt sich für diese kritische Frage. Ja, da gebe es nichts zu beschönigen: Völlig überlastete Professoren und bundesweit 185.000 wissenschaftliche Mitarbeiter ohne mittel- und langfristige Perspektiven. Ein Zweijahresvertrag sei schon gut. Das Institut habe schwer sparen müssen und darauf vertraut, dass wir, die Hochschullehrer, durch Einwerbung von Drittmitteln (DFG, Stiftungen, Auftragsforschung) erhebliche Forschungsmittel beschaffen. Das sei auch gelungen. Immerhin beschäftige das Institut zurzeit 72 wissenschaftliche Mitarbeiter in Drittmittelprojekten – in der Regel auch nur über zwei Jahre mit eventueller Verlängerungsmöglichkeit.

Aber es sei doch ein Unding, so wirft ein Student ein, dass hier die Lehrbeauftragten für 3 Euro Stundenlohn ihre Lehrveranstaltungen abliefern müssten. Auch hier zeigt sich Professor R. selbstkritisch: Ja, Lehrbeauftragte müssten besser bezahlt werden, davon lebten in der Republik 90.000 zu Hungerlöhnen. Nochmals die Studentin: „Herr Professor R. – was haben Sie in den letzten Jahren gegen die unhaltbare Situation getan?“ Professor R. schlägt vor, die Diskussion – gut vorbereitet – im Rahmen des Seminars in der dritten Semesterwoche fortzusetzen.

Solche Fragen gibt es an deutschen Universitäten selten. Die Studierenden nehmen die Lehrenden als Personen wahr, ihre Kompetenz und Fähigkeiten des Lehrens. Ob jemand 5.000 Euro, 1.200 Euro oder 3 Euro die Stunde verdient, interessiert nicht. Zukunftsängste werden vom Mittelbau kaum thematisiert, vielleicht mal nach dem Seminar abends in der Kneipe. Wie Professoren ihre Mitarbeiter behandeln, wird auf den Gerüchtefluren verhandelt, manche sollen aufgrund der Machtbasis dem Filmregisseur Dieter Wedel ähneln.

Die interessierten Nachfragen von Studierenden müssten Hochschullehrern eigentlich schlaflose Nächte bereiten, so brennend sind sie auch für die Professoren. Wie oft haben Hochschullehrer Stipendienanträge begutachtet und „ohne Einschränkung für förderungswürdig“ erklärt? Und dann nach zwei Jahren rätseln, warum die Stiftung die Förderung nur noch um ein halbes Jahr verlängern wollte, obwohl die Gutachten sehr gut waren und ein Töchterchen unterwegs war.

Ob jemand 5.000 Euro, 1.200 Euro oder 3 Euro die Stunde verdient, interessiert Studierende nicht

Wie oft haben Hochschulleh­rer erlebt, dass hochqualifizierte Forscher*innen nach acht Dienstjahren (Stipendium und Assistenz) auf Harz IV waren, weil sie keine Anschlussstelle fanden? Und wie oft haben Hochschullehrer junge Wissenschaftler ermuntert, ihre Masterarbeit zu einem ambitionierten Forschungsprojekt zu entwickeln?

Die Verantwortungslosigkeit der Hochschullehrer besteht darin, Missstände in der wissenschaftlichen Nachwuchsförderung weitgehend und individualistisch zu akzeptieren, die man nur bei Taxifahrern, Altenpflegern, Kita-Personal und Aushilfspersonal in der Gastronomie erwartete. Pustekuchen! Die Liste der Institutionen, in denen Hochschullehrer Einfluss nehmen könnten, ist lang. Deutscher Hochschullehrerverband, Hochschulrektorenkonferenz, Landesrektorenkonferenz, als Mitglieder bei GEW und Verdi, als schreibende Zunft in der Öffentlichkeit, als Bündnis mit dem Mittelbau und den Studierenden. Doch es kommt – nichts!

Noch nicht einmal Versuche sind aus den letzten Jahren bekannt – der letzte ernst zu nehmende studentische Streik, den auch Hochschullehrer zum Teil positiv begleiteten, liegt fast zehn Jahre zurück.

Peter Grottian

75, ist Hochschullehrer an der Freien Universität Berlin und Mitinitiator des Bildungsstreiks 2008/09.

Der Hauptgrund des professoralen Versagens liegt – an ihnen selbst. Genauer: an dem Interesse an sich selbst. Krokodilstränen für den Mittelbau sind gut inszeniert, dabei sind sie die größten Profiteure des perfiden Systems, das kaum eine Chance lässt, im Mittelbau eine langfristige Perspektive zu entwickeln. Die Universitäten brauchen solche erfahrenen Mitarbeiter als Brücke, gerade nicht Professor zu sein. Kein vergleichbares Industrieland behandelt seinen wissenschaftlichen Nachwuchs so schlecht wie Deutschland. Selbst die neoliberalen USA haben ein besseres Verhältnis von Mittelbau und Professorenschaft. Es will ja niemand 185.000 Stellen in Dauerstellen umwandeln, aber zumindest 30 Prozent der Mittelbaustellen könnten auf Dauer und schrittweise angelegt werden.

Es wird sich nichts ändern, wenn Studierende und Mittelbau nicht ein wirkliches Fass aufmachen. Und wenn sich nicht ein paar bekannte Hochschullehrer öffentlich zu Wort meldeten: Schwan, Lessenich, Daxner, Precht, Lesch, Habermas, Münckler, Leggewie und andere.

Der Mittelbau hat ein gut arbeitendes Netzwerk von 130 Wissenschaftlern an 26 Universitäten gegründet. Aber er braucht Unterstützung. Wenn Universitäten eines Tages Lidl-, Coca- Cola- oder gar vielleicht Monsanto-Universität heißen, dann liegt es eigentlich auf der flachen Hand, die Uni brennt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen