: Das andere Sehen
Die aktuelle Ausstellung im Kunstverein Langenhagen wirbt auf eine ganz besondere Art und Weise um die Aufmerksamkeit der Besucher – sie wehrt die Blicke des Betrachters auf spielerische Art und Weise ab oder lenkt sie um
Von Radek Krolczyk
In der Kunst geht es oft genug darum, etwas sichtbar werden zu lassen – etwas Ausgedachtes oder Reales, eine Person oder einen Ort, eine bestimmte Handlung oder einen abstrakten Gedanken. Nun ist dieses Sichtbar-Machen weder selbstverständlich noch unproblematisch. Es gibt ganze Kulturen, die auf Bilderverboten beruhen. Daneben gibt es jedoch auch „Blickregime“, quasi als Gegenstück. Blicke kontrollieren und disziplinieren. Es scheint so, als würde über das Sehen stets ein Machtkampf ausgetragen.
Die Ausstellung, die derzeit im Kunstverein Langenhagen zu sehen ist, spricht im Titel von einem „erweiterten Blick“. Allerdings sind ihre Arbeiten eher darauf ausgelegt, Blicke umzuleiten oder ganz abzuwehren und das Sehen so zu erschweren. Gleich von der Straße aus kann man eine Tischvitrine sehen, in der einfarbige Karten liegen. Sie zeigen nichts außer ihrer rechteckigen Form und ihrer Farbe und doch sind sie Einladungskarten für Kunstausstellungen. Es handelt sich nicht direkt um ein Kunstwerk, die Kuratorin der Ausstellung und Direktorin der Kunstvereins Noor Mertens hat sie gesammelt und dort angeordnet. Aber an diesen Karten offenbart sich ein interessantes Paradox: Sie werben dafür, etwas zu sehen, und verweigern das Bild.
Die Ausstellung ist gar nicht so programmatisch gedacht. Sie geht vielmehr spielerisch vor: so etwa Helen Mirras Arbeit „Other Asterisks“, von der im Kunstverein selbst nur ein unscheinbares Dokument zu sehen ist. In der Umgebung von Langenhagen allerdings hat die amerikanische Künstlerin in der Stadt und in der Natur kleine Spiegel angebracht. Überraschend wird es sein, das eigene Gesicht an solch ungewohnten Orten, wie den Ästen eines Baumes zu entdecken – eine starke ästhetische Erfahrung zwar, die jedoch sicherlich nicht als künstlerische Arbeit erkennbar sein wird.
Der Hauptausstellungsraum des Kunstvereins, ein langer, schmaler Korridor, eine ehemalige Bowlingbahn, ist der Länge nach mit einem durchsichtigen, grünlich schimmernden Gummivorhang abgetrennt. Das Ding erinnert an eine hygienische Einrichtung in einer Fertigungshalle, in der mit organischen Stoffen gearbeitet wird. In großen Molkereien trennen solche Vorhänge die Fliegen von den Kühen und der Milch. Im Kunstverein trennt der Vorhang nicht, er verbindet. Man kann sich von der einen Seite zur anderen Bewegen. Erst mal aber stinkt das künstliche Material chemisch ungesund, dann spiegelt man sich darin leicht. Wie eine Membran teilt es und verbindet. Die Arbeit, die den Titel „Paint a Rumour“ trägt, hat der niederländische Künstler Hendrik-Jan Hunnemann dort angebracht. Sie definiert den Raum so vollständig, dass sie auch auf die Wahrnehmung der anderen dort untergebrachten Arbeiten Einfluss nimmt.
So etwa auf einen Film, der auf einem kleinen Fernseher läuft und dessen Bild sich hier und dort verzerrt in der Gummigardine spiegelt. Dieser Film heißt schlicht „Film“. Der Schriftsteller Samuel Beckett hat ihn 1965 fertig gestellt. Man sieht darin einen Mann, gespielt vom Komiker Buster Keaton, der in einem Zimmer gegen jegliche Blicke kämpft. Ein Papageienkäfig und ein Goldfischglas werden verhüllt, ein Portrait von der Wand genommen. Was er bis zum Schluss jedoch übersieht, ist die Kamera, die ihn anstarrt und durch die dieser „Film“ überhaupt erst entsteht.
„Der erweiterte Blick“: bis 6. Mai, Kunstverein Langenhagen
Der Autor ist Inhaber der Galerie K’in Bremen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen