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Die Politik des Heute im Blick

Das Arsenal zeigt eine Werkschau Ruth Beckermanns. Ihre Dokumentarfilme handeln von Österreich und Antisemitismus, Herkunft, Identität und Migration

Lange her, aber noch nicht vorbei: Beckermanns Doku „Waldheims Walzer“ über die Waldheim-Affäre von 1986 Foto: Arsenal

Von Carolin Weidner

Ein Mann mit spinnenartigen Händen beschwört die unter ihm stehende Menge, und wenn er die langen Finger hebt und senkt ist es, als würden die da unten an Fäden hängen. Kurt Waldheim. In Ruth Beckermanns neuem Film „Waldheims Walzer“, der auf der diesjährigen Berlinale mit dem Dokumentarfilmpreis ausgezeichnet wurde, gibt es einige spektakuläre Aufnahmen, historische, denn der Film rollt eine Affäre auf, die schon einige Jahre in der Vergangenheit liegt. Aber eben nicht ganz. Gefühlt nicht ganz. Das mag auch mit Sätzen wie dem des österreichischem ÖVP-Politikers Alois Mock zu tun haben. Ein Satz, der aus seinem Mund kommt, als weite Teile des österreichischen Volkes sich von internationalen wie nationalen Positionen angriffen fühlen. Der Nationalstolz steht auf dem Spiel.

Dem vormaligen UN-Generalsekretär Kurt Waldheim, der im März 1986 gerade für das österreichische Präsidialamt kandidiert, war da gerade zur Last gelegt worden, dass er SA-Mitglied und von 1942 bis 1945 für die Wehrmacht tätig war, was er bewusst verschwiegen haben soll, um als Opportunist in einer neuen Weltordnung erfolgreich zu bestehen. Waldheim bezeichnet die Vorgänge als Verleumdungskampagne. Und in Österreich kommt es zu Protesten gegen Waldheim, aber auch zu Solidarisierungen und offenem Antisemitismus. Alois Mock sagte: „Und ich appelliere auch an die vernünftigen Kräfte innerhalb des Jüdischen Weltkongresses, nachzudenken, diese Kampagne zu stoppen und nicht Gefühle wachzurufen, die wir alle nicht wollen.“

Mocks Satz hat etwas kindlich Unbedachtes. Fast, als würde er darum bitten, das drohende Unheil von ihm abzuwenden. Im Namen der Vernunft: Wir wollen diese Gefühle nicht. Ruth Beckermann, der das Arsenal zwischen dem 19. und 29. April eine Werkschau ausrichtet (Beckermann selbst ist an den ersten drei Tagen anwesend, um über ihre Filme zu diskutieren), erstellt in „Waldheims Walzer“ eine Chronik der März- und Apriltage 1986, und es ist bemerkenswert zu sehen, wie klar die Weltbilder hervortreten in ihrer Gegensätzlichkeit, wie durchschaubar die Lüge daherkommt, wie deutlich die Angst. Etwas, das man in der damaligen Gegenwart vielleicht noch nicht zu erkennen versteht, weil man noch offen für Zweifel ist.

Beckermann zählte schon 1986 zu jenen, die sich sicher waren und gegen Waldheim aufbegehrten. „Wien Retour“ war da schon drei Jahre alt, „Die papierene Brücke“ (1987) wohl in der Mache. Die ersten beide Filme einer Trilogie („Nach Jerusalem“ folgte 1991), die sich mit jüdischem Leben vor, während und nach der NS-Diktatur befasst. Beckermanns Arbeit hat dabei häufig auch die Politik des Heute im Blick, die mal mehr, mal weniger direkt zum Thema wird. Es gibt aber auch Filme von ihr, da könnte man sie ausblenden, wenn man wollte, weil es so viel anderes in ihnen zu entdecken gibt.

Ein Beispiel für einen solchen Film ist „Homemad(e)“ von 2001, ein scheinbar beiläufig gedrehtes, unscheinbares Dokument, in welchem Beckermann ihren Wohnort, die Marc-Aurel-Straße im 1. Wiener Bezirk, über mehrere Monate mit einer Kamera beobachtete. Zentrale Orte sind die Kaffeehäuser, in denen die Gäste mit Zeitungen und Zigaretten hocken, nicht wenige Freunde Beckermanns oder gute Bekannte, die sich gern einlassen auf einen Plausch.

Der Schriftsteller Franz Schuh sinniert auf akrobatische Weise über das Dörfliche im Städtischen. Die Lyrikerin Elfriede Gerstl ist gerade auf dem Weg zum „Fetzenmarkt“. Und Jörg Haiders rechtspopulistische Partei FPÖ bildet eine Regierungskoalition mit der ÖVP. Die Proteste, die mit jener Entscheidung einhergehen, finden ihren Weg in die Marc-Aurel-Straße. Auf dem Weg ins Kaffeehaus trifft Beckermann den Filmemacher Franz Novotny und fragt: „Was gibt’s Neues?“ Novotny: „Alles bestens. Die Regierung regiert. Alles ist beschissen und wir sind dabei, dagegen zu sein.“ Nachhaken Beckermann: „Wie?“ Antwort: „Durch die Produktion von Werbespots. Läuft jetzt in vierzig Kinos ab nächster Woche. Durch Statements, wie diesem. Durch eine anständige Haltung, dass man sich beim Rasieren in den Spiegel schauen kann. Und aber auch durch den Verzehr kleiner Brauner hier in diesem Kaffeehaus.“

Die Werkschau der Dokumentarfilmerin Ruth Beckermann läuft vom 19.–29. April im Kino Arsenal, Potsdamer Str. 2, www.arsenal-berlin.de

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