: Hitler und die halben Hunde
Bildhauer Volker März eröffnet mit einer bunten Fülle von Figuren im Gerhard-Marcks-Haus einen kritischen Blick auf Gegenwart und Gesellschaft Deutschlands. „Horizontalist (der Affe fällt nicht weit vom Stamm)“ heißt die Schau
Von Teresa Wolny
Zwei überdimensionale Vogelhäuschen, groß wie Gartenschuppen, aus hellem Holz und auf Rollen, stehen den Besucher*innen des Gerhard-Marcks-Hauses Spalier. Ihre Dächer tragen Hörner oder – je nachdem – Ohren aus großen Messern, der Erklärung des Künstlers Volker März nach ein Zwiespalt zwischen der Empathie, mit der Migrant*innen bei uns aufgenommen werden und der gleichzeitigen Angst vor dem Fremden. Ob riesige scharfe Küchenmesser noch als Symbol für bloße Angst durchgehen und nicht vielmehr bereits den blanken Hass symbolisieren, der notfalls auch mit Waffen zum Ausdruck gebracht wird?
Mit dem Rest der Ausstellung „Horizontalist (der Affe fällt nicht weit vom Stamm)“ haben diese großen schlichten Holzbauten äußerlich wenig gemeinsam. Die politische Auseinandersetzung wird aber weitergeführt: Hunderte kleiner Tonfiguren tragen die Schau, in unendlich vielen verschiedenen Formen – als halbe Hunde, Menschen mit Affenköpfen oder durchlöcherten Rümpfen. Das sind die Horizontalisten, und man könnte ihre Ansammlung als eine in Ton gebrannte Traumwelt betrachten, wären da nicht die an vielen Stellen auftauchenden politisch wie gesellschaftlich unheimlich aktuellen Bezüge. Sich von diesem teilweise buchstäblichen Kram (der an einer Stelle zuhauf wie achtlos in ein Regal geworfen ist) zum (politischen) Nachdenken anregen zu lassen, scheint auf den ersten Blick schwer, weil in der Fülle überfordernd. Gibt man sich dem Kram aber hin, löst sich von dem Bestreben, jeder einzelnen Tonfigur ein riesiges Bedeutungsspektrum zu geben und betrachtet sie stattdessen alle in einem Zusammenhang, macht es Spaß, die Geschichten auf sich einprasseln zu lassen.
Begleitet werden die zwei- und dreidimensionalen Bilder durch Texte, häufig Dialoge, eigentlich aber vielmehr poetische Interviews an den Wänden. Fast alle fangen mit der gleichen Frage an: „Was siehst du?“ In leicht zugänglicher Sprache werden dadurch hoch poetische Szenen besprochen. „Ich sehe eine schöne Frau mit wunderbar abstehenden Ohren“ beginnt eine der Szenen und endet mit der Antwort auf die Frage wie sie heißt: „Sie hört auf den schönen Namen: Exit.“
Parallel zur Ausstellung, die ab Juni im Berliner Georg Kolbe Museum weitergeführt wird, erscheint der „Horizontalist“ außerdem als Buch. Was vorher ein bunt zusammengewürfelter Haufen von Szenen war, wird dadurch zu einer zusammenhängenden Geschichte. Die wird erzählt aus der Perspektive von Franz Mai, dem Alter Ego von Volker März, der am Ende stirbt, im Atelier von der Leiter auf einen spitzen Gegenstand gefallen. Das Buch endet mit zwei Nachrufen auf Mai, einer davon verfasst von Arie Hartog. Leiter des Gerhard-Marcks-Hauses. In dem Bewusstsein, dass der Künstler seinen eigenen Tod inszeniert hat, ist der Zugang zur den Ausstellungsobjekten auf einmal ein ganz anderer. Plötzlich stehen alle für eine ganz bestimmte Episode in Mais/März’Leben, auch die Texte an der Wand werden dabei mit einem neuen Sinn gefüllt.
Die Horizontalisten hängen sowohl barbiepuppengroß wie eine Bordüre in großer Zahl an der Wand, dann wieder schweben sie in menschlicher Originalgröße wie schwerelos mit ausgestreckten Gliedmaßen im Raum. Scheinbar tot, eigentlich aber doch nur faulenzend, wo wäre sonst ihr Sinn, sollen sie uns doch zeigen, dass uns gerade in dieser Tätigkeit die Freiheit begegnet. Einige haben geöffnete Bäuche oder Köpfe wie ein Buch oder riesig lange spindeldürre Pinocchio-Nasen. So repräsentiert jeder Einzelne von ihnen des Künstlers Sicht, die sich aller Buntheit und Märchenhaftigkeit zum Trotz oft als kritisch erweist.
Denn März’Kunst ist politisch. In einem Raum setzt er sich auf künstlerische Weise mit dem riesigen Ausmaß des arabischen Sklavenhandels aus Afrika auseinander, besonders prägend aber ist die Beschäftigung mit der für ihn keineswegs ausreichenden Aufarbeitung des Naziregimes. Die geöffneten Rümpfe und Köpfe symbolisieren das Mitläufertum. Kein Herz, kein Gewissen, kein Hirn.
In diesem Zusammenhang steht auch März’Beschäftigung mit Joseph Beuys, dessen Koyoten-Performance auf einem Brett an der Wand ebenfalls in Ton gebrannt ist. Er stellt Beuys quasi künstlerisch an den Pranger, weil dieser sich in der Erzählung über seine Kriegserfahrung nicht an die Wahrheit gehalten (Stichwort lange Nasen) und sich auch damit vom Täter zum Opfer inszeniert hat, ohne die Ereignisse wirklich aufzuarbeiten – „typisch deutsch“ für März. Auch Hitler ist – typisch deutsch? – vertreten, sowohl in Ton als auch als Bronzebüste. Letztere hat März jedoch nicht selber angefertigt, sondern in der Sammlung des Hauses gefunden. Es war Gerhard Marcks, der sie 1941 schuf und sie tatsächlich noch 1949 in Bronze goss. „Ein starkes Stück“ findet März. Damit zusammen hängt der im Schaffen Volker März’kontrovers diskutierte Satz „Auschwitz ist menschlich“, der ebenfalls auftaucht. Und so ist auch Hitler inszeniert, die kleine Büste irgendwo zwischen all den anderen Geschichten, fast läuft man an ihm vorbei, wenn man nicht darauf achtet. Nur einer von vielen?
Neben Beuys beschäftigt sich März außerdem viel mit Hannah Arendt, Walter Benjamin und Franz Kafka: Das immer wiederkehrende Motiv des Menschen mit Affenkopf ist genau das: kafkaesk und erweckt damit ständig die Frage, auf welcher Ebene wir uns gerade befinden und ob wir wirklich so weit von unseren genetischen Vorfahren entfernt sind, wie es in der de-naturalisierten Umgebung oft den Anschein hat. Der titelgebende vom Stamm fallende Affe hängt in Übergröße mit fliegend eingefrorener Krawatte kopfüber prominent an einer Wand. Am häufigsten ist übrigens der Kopf des Orang-Utan vertreten.
März’Erschließung des Raumes durch seine Kunst in den verschiedensten Formen – von Plastiken über Fotos und Gemälden bis zur Videokunst dehnt sich über das Museum bis auf den See in den Wallanlagen aus. Türgroße Radiergummis dümpeln dort vor sich hin, auf einem liegt ein Körper. Aus der Nähe betrachtet ist dieser Jemand jedoch nur eine weitere Figur in März’scheinbar endlosem Episoden-Strang. Die Radiergummis, ein Zeichen für saubere, weiße und vor allem leere Flächen scheitern aber mit diesen Tugenden am wohldurchdachten Durcheinander der Exponate. Die Räume sind wie die mit Kugelschreiber vollgekritzelten Seiten eines Skizzenbuchs, dagegen ist jedes Radiergummi machtlos. Diese Fülle kann auch eine Erleichterung sein. Man kann irgendwo in dieser ganz eigenen, skurrilen Welt anfangen, muss keiner festen Reihenfolge folgen und steigt, wenn einem der Kopf raucht vom vielen Geschichtenerzählen, einfach irgendwo wieder aus.
Gerhard-Marcks-Haus, Am Wall 208, Bremen. Täglich außer montags, 10-18, donnerstags bis 21 Uhr, bis 10. Juni.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen