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Verfassungsschutz, ein „Scheißhaufen“?

Nachdem die Terroristen des NSU im Herbst 2011 zufällig enttarnt wurden, forderten Grüne und Linke die Abschaffung des Verfassungsschutzes. Aber was wäre die Alternative?

Eine Trennung zwischen Polizei und Geheimdienst ist auch mit Blick auf die Gestapo sinnvoll

Von Kersten Augustin

Es ist September 2012, als Jürgen Trittin, damals Frak­tions­vorsitzender der Grünen, deutlich wird: „Nach meiner Auffassung kann es nur einen Weg geben, nämlich die Behörden aufzulösen und einen kompletten personellen Neuanfang zu starten.“ Im Untersuchungsausschuss zu den Morden des NSU waren immer neue Fehler und Vertuschungen des Verfassungsschutzes öffentlich geworden. Linken-Vorsitzende Gesine Lötzsch, selbst unter Beobachtung durch den Geheimdienst, forderte dessen Abschaffung. Die niedersächsische Grünen-Vorsitzende Anja Piel bezeichnete den Geheimdienst als „Scheißhaufen.“ Selbst der SPD-Landesparteitag in Thüringen forderte die Auflösung des Geheimdienstes im Geburtsland des NSU. Der Verfassungsschutz war in der größten Krise seit seiner Gründung. Und dann?

2016 erhielt das Bundesamt für Verfassungsschutz 470 neue Planstellen. Über die Verantwortung der Behörde für die Morde des NSU wird kaum noch gesprochen, im Fokus steht der islamistische Terrorismus.

In ihrem Wahlprogramm 2017 forderten die Grünen dann auch nicht mehr die Auflösung des Verfassungsschutzes, sondern einen „institutionellen Neustart“. In den Zwischenergebnissen der gescheiterten Jamaika-Sondierungen tauchte der Geheimdienst einmal auf: Man einigte sich auf eine Zentralisierung „auf freiwilliger Basis“. Im Koalitionsvertrag von SPD, CDU und CSU soll der Verfassungsschutz sogar „gestärkt“ werden, bei „extremistischen Phänomenen (…), die zunächst keinen unmittelbaren Gewaltbezug aufweisen“. Der Verfassungsschutz soll früher handeln können und dabei besser ausgestattet werden. Ausbau statt Abschaffung also. Einzig die Linke fordert weiterhin die Abschaffung des Verfassungsschutzes.

Dabei sind die grundlegenden Probleme, die durch den NSU-Skandal öffentlich wurden, nicht behoben: Der Einsatz von V-Leuten, die selbst Mitglied der beobachteten Szene sind, und die mangelhafte parlamentarische Kontrolle.

Aber was wären die Alternativen zum Verfassungsschutz? Am weitesten geht der Vorschlag, den Verfassungsschutz aufzulösen, ohne etwa die Kompetenzen der Polizei zu erweitern. Diese Forderung erhebt unter anderem eine Gruppe von Bürgerrechtlern, die das Memorandum „Verfassungsschutz abschaffen“ veröffentlichten. Zu den Autoren gehört auch der jahrzehntelang selbst vom Verfassungsschutz beobachtete Rolf Gössner (siehe Interview). Der Geheimdienst habe nicht nur als Frühwarnsystem vor Bedrohungen der Demokratie versagt, sondern diese durch Skandale selbst gefährdet. Wegen der Geheimhaltung sei der Verfassungsschutz außerdem nicht kontrollierbar. Für Strafverfolgung und Gefahrenabwehr gebe es die Polizei, dafür brauche es keine Geheimdienste.

Andere Vorschläge sehen vor, parallel zur Abschaffung des Geheimdienstes die zivile Forschung zu Demokratie und politischem Fundamentalismus zu stärken und dafür ein staatliches Institut zu gründen. Die Idee: Um über Islamisten und Nazis Bescheid zu wissen, braucht es Forschung, keine Spionage.

Ein westliches Land ohne Inlandsgeheimdienst gibt es nicht. Verbreitet sind drei Modelle: Das sogenannte britische Modell, nach dessen Vorbild auch der Verfassungsschutz in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg aufgebaut wurde, sieht eine strenge Trennung zwischen Geheimdienst und Polizeiarbeit vor. In kleinen Ländern wie Luxemburg gibt es keine Trennung zwischen Inlands- und Auslandsgeheimdienst. Diese ist aber sinnvoll, weil der Umgang mit Staatsbürgern strengeren Auflagen unterliegt (oder unterliegen sollte) als die Spionage im Ausland.

Beim dritten Modell werden die Aufgaben von Geheimdienst und Polizei vermischt, wie es etwa das FBI in den USA oder die ABW in Polen praktiziert. In Deutschland würde dann also die Polizei einige Aufgaben des Verfassungsschutzes übernehmen.

Die Wissenschaftlerin Anna Daun, die zu Geheimdiensten forscht, warnt vor einer Abschaffung des Verfassungsschutzes. Sie befürchtet, dass dann die Polizei mit geheimdienstlichen Methoden arbeiten würde. Eine Trennung zwischen Polizei, die verhaften kann und bewaffnet ist, und Geheimdienst ist auch mit historischem Blick auf die Gestapo sinnvoll.

Die Polizei arbeitet nicht mit V-Männern, sondern mit verdeckten Ermittlern. Sie sind als Polizisten geschult und nicht ideologisch Teil der Szene, die sie bespitzeln. „Verdeckte Ermittler sind grundsätzlich besser“, sagt Daun. Doch auch sie haben in der Vergangenheit Grenzen überschritten. Etwa in der Hamburger Roten Flora, wo sich eine verdeckte Ermittlerin der Polizei rechtswidrig auf Liebesbeziehungen mit Ausgespähten einließ.

Manche Probleme ließen sich auch durch eine Abschaffung des Geheimdienstes nicht lösen. Im Falle des NSU führten auch institutioneller Rassismus und Fehler in der Polizeiarbeit dazu, dass die Täter im Bereich der organisierten Kriminalität gesucht wurden. „Die Sicherheitsbehörden brauchen vor allem bessere analytische Fähigkeiten und eine andere Diskus­sions­kultur“, sagt Daun.

Mitarbeit: Zelda Biller

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