Imkerhype in der Großstadt: Summ, summ, systemrelevant
Hilfe, die Bienen sterben! Aber hilft es wirklich, wenn wir uns jetzt alle einen Bienenstock in den Garten oder aufs Dach stellen?
Blühende Lavendelfelder in Slowenien. Mittendrin im lila Meer eine Frau mit Strohhut auf dem Kopf, darunter langes, dunkles Haar. An beiden Händen trägt sie eigenartige, türkisfarbene Handschuhe, an denen jeweils vier lange Holzstäbe befestigt sind, mit grün-weißen Federn an den Spitzen. Mit diesen „Bestäubungswerkzeugen“ streicht Polonca Lovsin, eine Künstlerin aus Ljubljana, konzentriert, fast zärtlich über die Lavendelblüten. Lovsin „befruchtet“ in ihrem Kunstprojekt „Be a Bee“ Pflanzen mit der Hand. „Meine Kunst ist die humorvolle Antwort auf eine ernste Sache“, sagt Lovsin. Wenn die Insekten ausgestorben sind, müssen wir für die biologische Vielfalt der Natur wohl selbst Hand anlegen: Insekten sind verantwortlich für Bestäubung – und damit für die Fortpflanzung der meisten Wildpflanzen.
Viele unserer Hauptnahrungsmittel gäbe es ohne Insekten nicht. Und die Insekten selbst sind Nahrungsmittel für Vögel, Frösche und kleine Wildtiere. Käfer wiederum sorgen durch Kompostierung für die Veredelung des Bodens. Wie es scheint, sind Insekten systemrelevant. Aber sie werden weniger, drohen gar auszusterben – bekannt ist vor allem das Schicksal der Bienen.
Als hauptverantwortlich für das Sterben gilt die industrielle Landwirtschaft mit ihren gigantischen Monokulturen – spezialisierte Wildbienenarten laufen so Gefahr, aufgrund des eintönigen Nahrungsangebots zu verhungern. Zudem setzten die Landwirte unterschiedliche Gifte zum Schutz ihrer Nutzpflanzen ein. Neonicotinoide zum Beispiel sind synthetisch hergestellte Insektizide. Ein Nervengift, das unter dem Verdacht steht, die Orientierung der Honigbiene zu stören. Die Biene findet nicht mehr zum Stock zurück, aufgrund des geschwächten Immunsystems wird sie zum Opfer von Krankheiten und Parasiten.
Der Tod von Honigbiene und Wildbiene ist keine Absicht, sondern „nur“ eine Nebenwirkung der Schädlingsbekämpfung. Doch nachdem der Bundestag Mitte März dieses Jahres einen Antrag der Grünen für ein Freilandverbot für Neonicotinoide abgelehnt hat, bleibt nun die Frage: Was können die BürgerInnen für die Insekten tun, „von unten“? Welche Pflanzen helfen Bienen und Schmetterlingen im Garten oder auf dem Balkon? Müssen wir jetzt gar alle zu HobbyimkerInnen werden, um die Bienen zu retten? Längst zieht es die Bienen ja zu den Menschen, in die Städte. Während auf dem Land Artenvielfalt und Lebensräume verschwinden, finden die Bienen in Hamburg oder Stuttgart immer etwas Blühendes auf Balkonen oder im Schrebergarten.
Melanie von Orlow ist eine, die sich kümmert. Sie ist promovierte Biologin. Die kleine Frau mit den kurzen, dunkelbonden Haaren steht in einem dicken grauen Wollmantel vor einem Bienenstock ihrer kleinen Imkerei im Norden von Berlin. Träge summen ein paar Honigbienen vor ihm herum, es ist noch zu kalt für sie an diesem Märztag. „Ab 10 Grad geht’s los“ sagt Melanie von Orlow. Frühblüher wie Krokusse oder Weiden sind gute Nektarstarthilfen für die frühe Wildbiene, „auf dem Balkon sind Wechselkästen mit Krokussen super. Oder die Blaue Muskari“, empfiehlt von Orlow. Keine Hilfe für Bestäuber ist hingegen die Zuchtform der Tulpe.
Neben dem Bienenstock, der sogenannten „Beute“, hat Melanie von Orlow eine Kräuterspirale angelegt. Bisher sieht man zwar nur feuchte Erde, Steine und braune Stängel, schon bald aber werden Insekten auf der Kräuterspirale Nektar finden – und zwischen den Steinen Nistplätze. „Gut besucht ist Majoran. Zitronenmelisse riecht gut und Salbei ist eine ausgesprochene Hummelpflanze“, sagt Melanie von Orlow. Insekten, so erzählt sie, mögen es unordentlich: Die Imkerin lässt ihren Rasen vom Elfenkrokus erobern, „der verbreitet sich wie wild und bietet Nektar an“. Auch rät sie, die verblühten Stängel von Goldrute und Kugeldistel „einfach mal stehen zu lassen“. Insekten nutzten die markhaltigen Strunke gern als Nisthilfe.
Regionale Saaten
Hinter dem Haus hat von Orlow auf einem Stück Rasen eine kleine Blumenwiese aus regionalen Saaten angelegt. „Ich bin schon ganz gespannt auf die Besucher“, sagt sie. Blumenwiesen sehen nicht nur gut aus, sondern halten als intaktes Ökosystem ein reichhaltiges Nahrungsangebot vor: „Ich bin Lobbyistin“, sagt Melanie von Orlow. Für Bienen, Wespen, Hummeln und Hornissen. Allesamt Hautflügler, sogenannte „Hymenoptera“. Ihr erstes Hummelnest, erzählt sie lächelnd, hatte sie als Kind im Sandkasten entdeckt. Heute ist sie 47 Jahre alt und aktiv in der Bundesarbeitsgruppe Hymenoptera des Naturschutzbundes (Nabu). Dort hilft sie zum Beispiel bei der Umsetzung von Insektennestern in Wohngebieten – und sie möchte dazu beitragen, entomologisches Wissen publik zu machen.
Melanie von Orlow, Biologin
Hergestellt wird dieses Wissen zum Beispiel von Benedikt Polaczek. Er ist 60 Jahre alt und Imkermeister der Freien Universität Berlin, Fachbereich Veterinärmedizin. Vom Fenster seines Büros, das sich in einem kleinen Häuschen auf dem Campus befindet, blickt man auf knorrige Obstbäume – und Bienenbeuten. Polaczek erzählt, dass es inzwischen zehn Bienenvölker pro Quadratkilometer in Berlin gebe. Das ist ordentlich, aber „wir haben noch Platz für gute Imker“, sagt er.
Allerdings, sagt Polaczek, sei Imkern ein verantwortungsvolles Hobby: Honigbienen können ohne Imker nicht überleben, und auch auf ihre Mitmenschen müssen Bienenhalter Rücksicht nehmen. Oft würde der Eindruck erweckt, dass man Bienenvölker so problemlos wie Blumenkästen halten könne – „unverantwortlich“, meint Polaczek, denn „Bienen sind wilde Tiere“. Zudem müssten Imker ihre Bienen beim Veterinäramt anmelden – und gegebenenfalls den Vermieter informieren.
Honigbienen können sich in kurzer Zeit explosionsartig vermehren – und den Hobbyimker dann komplett überfordern. „Die Menschen kennen sich nicht mit der Biologie der Bienen aus“, sagt Polaczek. So mancher erkennt dann zum Beispiel einen Befall mit der berüchtigten Varroamilbe nicht. Ein Parasit, der die Brut im Bienenstock zerstört – und unentdeckt auf andere, gesunde Völker übergreifen kann.
Je größer die Imkerdichte, desto größer auch die Gefahr von Parasitenbefall und Ausbreitung von Krankheiten. Auch der Mensch kann in Mitleidenschaft gezogen werden: Stadtimkernde sollten auf Nachbarn Rücksicht nehmen und keine aggressiven Bienenarten nutzen. Polaczek empfiehlt die Kärntner Biene, eine friedliche Art, die auch noch ordentlich bestäubt. Und trotz aller Probleme freut er sich über die zahlreichen neuen Imker: „Der Imker kämpft um die Honigbiene, also um saubere Natur.“
Organisierte Neuimker
Benedikt Polaczek, Imkermeister
Benedikt Polaczek rät den Neuimkern jedoch, sich zu organisieren und fortzubilden, anstatt es nur auf die eigene Faust zu versuchen und sich auf das Internet zu verlassen. Denn falsch zu machen gäbe es einiges. Nicht in jedem Schrebergarten könne man Bienen halten und auch Dächer sollten nicht zu hoch sein, denn „die Biene muss die Pollen ja noch nach oben tragen!“. Und knallt im Sommer die Sonne auf das Dach und die Beuten, so sei dies schlicht Tierquälerei. Imkermeister Polaczek seufzt: „Ich wünsche mir, dass nicht jedes Hotel Bienen auf dem Dach hält – das Wichtigste ist sowieso, dass Imker ein Herz für Bienen haben“, sagt er. Er findet aber, dass in jedem Fall jeder heimischen Honig essen soll.
Der promovierte Biologe Christoph Saure hingegen macht sich vor allem Sorgen um die Wildbienen. „Beim Bienensterben denken fast alle an die Honigbiene. Die Honigbiene ist aber ein Haustier, ohne Imker gäbe es in Deutschland wahrscheinlich keine Honigbienen mehr.“ In Deutschland gibt es rund 580 Bienenarten. Die Honigbiene ist nur eine davon, alle anderen sind Wildbienen. Saure, 58, hat sich mit seinem Einmannbüro für tierökologische Studien selbstständig gemacht und ist Experte für Wildbienen. Die meisten leben solitär, als Einsiedler also, und nicht in großen, arbeitsteiligen Völkern. Sie sind oft spezialisiert auf bestimmte Nahrungspflanzen und haben daher, Stichwort Monokultur, keine Auswahlmöglichkeit. „Wenn die Pflanzen verblüht oder nicht vorhanden sind, stirbt die lokale Population“, sagt Christoph Saure. Auf Effizienz gezüchtete Honigbienen dagegen können fast an allen Blüten Pollen und Nektar sammeln.
Saure konstatiert eine Nahrungskonkurrenz zwischen den Arten. „Nicht immer und überall“, aber wenn Raps, Linde und Robinie verblüht sind, sammeln Honigbienen auch in der für Wildbienen so wichtigen Krautschicht – ein Problem für die Nahrungsspezialisten unter den Wildbienen. „In Naturschutzgebieten haben Honigbienen nichts zu suchen!“, betont daher Christoph Saure. Auch wenn es diesbezüglich eine klare gesetzliche Regelung gibt, hat Saure schon Beuten von Wanderimkern mit Massen von Honigbienen am Rand von Schutzgebieten gesehen. Er wünscht sich, dass Imker im Umkreis von drei Kilometern von Wildbienengebieten keine Honigbienen aufstellen.
Den Wildbienen geht es schlecht. Schon seit geraumer Zeit sind auf dem Land die Lebensräume aufgrund von Flurbereinigung weitestgehend zerstört. Mit mehrjährigen Blühstreifen soll dort nun in der Feldflur Struktur zurückgeholt werden. Gleichzeitig werden in den Städten die letzten Brachflächen infolge von Verdichtung zugebaut.
Beste Lebensräume für Wildbienen aber sind blütenreiche, trockene Flächen. Wer Wildbienen und Insekten helfen will, sollte im Garten schwach bewachsene Stellen in der Sonne schaffen, an denen sie ihre Nester bauen können. Eine gute Nisthilfe für Wildbienen ist altes, morsches Holz mit Löchern. Insektenhotels seien für Wildbienen als Nisthilfen jedoch oft ungeeignet, weil die meisten Solitärbienenarten auf dem Boden nisten. Auch Saure ist kein Fan des Imkerhypes in der Großstadt: „Mehr als 6.000 Bienenvölker in Berlin sind zu viel. Auf jedes Hausdach, jeden Diplomatengarten ein Bienenvolk, das ist momentan hip, hat aber mit Naturschutz und ökologischer Vielfalt nichts zu tun.“
Mag auch mancher Stadtimker eher ahnungslos sein, so helfen sie doch dem Fortbestand der Honigbiene. Die Wildbiene bekommt beim Überlebenskampf nicht so viel Unterstützung.
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