: Das Bohème-Biotop
Die Galerien auf der Fleetinsel haben die neue Saison eröffnet, es fehlte bloß Champagner
Von Hanna Klimpe
Auf den ersten Blick wirkt sie wie eine Insel der Glückseligen: Auf der Fleetinsel verdichtet sich mit dem Fleetstreet-Theater, der Buchhandlung Sautter + Lackmann, dem Rialto und dem Galerienhaus in der Admiralitätstraße 71 ein kleines Bohème-Biotop. Hans-Jochen „Jockel“ Waitz, ehemaliger Anwalt und Kunstmäzen, hatte das Haus 1989 zusammen mit drei anderen Künstlerhäusern auf der Fleetinsel gekauft. Zwei Mal pro Jahr feiern die Galerien gemeinsam ihre Eröffnungen. Jürgen Becker, Melike Bilir, die Galerie Conradi, Karin Günther, Mathias Güntner, Multiple Box, Holger Priess, die Produzentengalerie Hamburg und die Libanesin Andree Sfeir-Semler – an diesem Freitagabend hat sich vor den Galerien in der ehemaligen Papiergroßhandlung „Michaelis und Co“ eine hohe Dichte gut angezogener Menschen versammelt.
In der Galerie Karin Günther hat das Künstlerkollektiv Jochen Schmith aus zerschredderten Euroscheinen „Picknickdecken“ zusammengeklebt, die sich an den Grundrissen von Parklandschaften orientieren, Sfeir-Semler stellt Skulpturen des international renommierten ägyptischen Künstlers Wael Shawky aus, bei Holger Preiss überprüfen die Besucher anhand der angegeben Koordinaten, wie die Landschaftsbilder von Peter Rösel auf Google Maps aussehen.
Melike Bilir stellt Zeichnungen aus der Reihe „Mit dem Hunde gemalt“ aus dem Nachlass von Andrea Tippel aus, die Professorin an der Hochschule für bildende Künste (HfbK) war. 2011 ist Bilir ins Haus eingezogen. Sie wünscht sich mehr Publicity und mehr junges Publikum. Längere Öffnungszeiten bei den Galerie-Eröffnungen schlägt sie vor, vielleicht eine Aftershow im Fleetstreet-Theater: „Es gibt zu wenig Champagner.“ Im Dezember hat sie im Fleetstreet-Theater mit „Der Bürgermeister der Nacht“ ein 24-Stunden-Konzert organisiert – ein erster Versuch im Exzess.
An diesem Freitag besteht das Publikum zunächst auffällig aus betuchten und blondierten Hanseatinnen. Später stoßen dann HfbK-Studenten dazu, Bierflaschen mit in die Räumlichkeiten zu nehmen, traut sich kaum jemand. Immerhin: Vor der Galerie Mathias Güntner besetzen ein paar Hipster die Treppe zum Kartenspielen.
Thomas R. geht seit 15 Jahren zu den Eröffnungen der Admiralitätsgalerien. „Es ist schon jedes Mal ein Erlebnis und interessante, vor allem auch internationale Positionen zu sehen“, sagt der Lehrer. Die Admiralitätstraße habe etwas sehr Eigenes, im guten wie im schlechten Sinne. „Das ist hier alles sehr für sich, sehr gediegen. Es könnte etwas mehr passieren.“ Der Gesamteindruck der Exponate des heutigen Abends: Alles sehr durchdacht, angenehm weltläufig und sehr aufhängbar. „Hier findet aber auch experimentelle Kunst statt“, sagt Kunstgeschichtler Falk R. „Die Galeristen machen ein tolles Programm, aber sie haben sehr zu kämpfen. Ich habe manchmal den Eindruck, die Leute kommen alle, kaufen aber viel zu wenig.“
„Das ist hier kein Ort der Seligen“, sagt Karin Günther, die seit 18 Jahren ihre Galerie hier hat. „Abgesehen von den Eröffnungen gibt es an einem Samstag schon mal bloß ein oder zwei Besucher.“ Der Ort werde nicht ausreichend wahrgenommen, das betreffe sowohl das potenzielle Publikum als auch die Unterstützung von Seiten der Stadt. „Wir zeigen hier Positionen, die über die Stadt hinausgehen. Ich habe manchmal das Gefühl, unsere Ausstellungen werden außerhalb Hamburgs mehr wahrgenommen als vor Ort.“ Auch wenn sie kommerziell arbeiten, leisteten die Galeristen Kulturarbeit: „Eine Galerie ist keine Kunstagentur. Ich finde Künstler und baue sie auf, und wir machen auch Ausstellungen, bei denen wir wissen, dass wir kein Exponat verkaufen werden.“ Sie wünscht sich mehr Unterstützung von der Kulturbehörde – und ebenfalls junges Publikum. „Wenn ich Stefan Marx ausstelle, sind da sehr viele jüngere Leute, aber das heißt nicht, dass sie zur nächsten Eröffnung auch kommen. Das ist eher punktuell.“
Gegen Abend haben sich Bürgertum und Studierende im Innenhof unterm weißen Plastikzelt zu Bratwurst, Bier und Weißwein versammelt. Man kennt sich, alles ist unaufgeregt – aber ein bisschen weniger Understatement und mehr Champagner hätte dieser Ort verdient.
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