: Noch nicht abgepfiffen
Wahlcheck: Fragen zur Wahl, von Experten beantwortet. Heute: Die große Koalition. Ralf Stegner ist in Schleswig-Holstein der Innenminister einer solchen Koalition – gegen seine eigene Überzeugung
Interview: Esther Geißlinger
taz: Hat Rot-Grün noch eine Chance, die Wahl zu gewinnen?
Ralf Stegner: Genau weiß man das erst am Wahlabend um 18 Uhr. Auf jeden Fall gilt: Wer sich selbst abschreibt, schneidet schlechter ab. Ich halte es keineswegs für sicher, dass CDU und FDP gewinnen. Daher müssen wir offensiv Wahlkampf betreiben und auf die grundlegenden Punkte hinweisen, die uns von Schwarz-Gelb unterscheiden: Atompolitik, eine Steuerpolitik, die die Spitzenverdiener nicht entlastet, keine Kopfpauschale. Problematisch ist allerdings, dass einige in der Partei verzagt sind, dass die Populisten schneidiger formulieren können, und, dass muss man leider sagen, dass die SPD ihre Arbeit in den vergangenen Jahren nicht fehlerfrei gestaltet hat. Das ist allerdings besser geworden – mit dem jetzigen Wahlmanifest bin ich sehr zufrieden, da steckt auch einiges aus Schleswig-Holstein drin.
Auch eine große Koalition wäre ja möglich. Sie sind an einer beteiligt, aber bekanntlich kein Freund dieses Modells ...
Die großen Parteien müssen sich unterscheiden – tun sie das nicht, profitieren nur die kleinen und extremen. Allerdings sage ich auch: Wenn die SPD keine andere Mehrheit bilden kann – und im Land ging es nicht anders –, dann ist eine Regierung mit der SPD besser als ohne. Aber wer heute auf Bundesebene für die große Koalition wirbt, fällt dem Kanzler in den Rücken. Das ist dumm, und ich bin gegen politische Dummheit. Franz Müntefering sagt zu Recht: Wenn das Spiel noch nicht abgepfiffen ist, sollte man nicht darüber reden, mit wem man hinterher duschen will, sondern auf das gegnerische Tor schießen.
Wenn sich die Linkspartei auf Bundesebene etabliert, könnte sie auch in den Ländern an Bedeutung gewinnen. Mit Blick auf die Landtagswahl 2010: Fürchten Sie die Linken?
Nein. Wir wollen dann wieder die stärkste Kraft im Land werden, und die Gefahr, dass wir Stimmen an die Linkspartei verlieren, ist in Schleswig-Holstein geringer als anderswo. Schließlich macht die SPD hier klar, dass die kleinen Leute nirgendwo anders hingehen müssen, um gut vertreten zu werden. Unter anderem haben wir ein eigenes, gerechtes Steuerkonzept vorgelegt. In so einem Umfeld ist für Linkspopulisten wenig Raum. Wir haben im Land ja auch ein unter den Gesamtumständen beachtliches Ergebnis erzielt – wenn die SPD bundesweit auf 38,7 Prozent kommt, knallen in Berlin die Sektkorken.
Zurzeit ist die Lage in Schleswig-Holstein wahlkampfbedingt sehr ruhig. Könnte es nach dem 18. September Ärger in der großen Koalition geben?
Im Moment herrscht ein bisschen Honeymoon-Stimmung. Wir nehmen auch zur Kenntnis, dass Herr Carstensen sagt, er wolle fünf Jahre hier regieren. Das gilt auch für die SPD. Man merkt aber auch, dass die SPD mehr Regierungserfahrung hat – das ist nützlich. Er kommt mit seinem Stil bei vielen Menschen bisher gut an, das ist auch eine Herausforderung für die SPD. Natürlich herrscht Wettbewerb, das heißt, jeder will seine Sache besonders gut machen. Und das Ziel ist klar: Wir wollen beim nächsten Mal gewinnen.
Wird der „Heide-Mörder“, der Abgeordnete, der sich der Stimme enthielt und dadurch die große Koalition erzwang, bis dahin entdeckt sein?
Ich hoffe stark, dass es herauskommt, und ich halte es auch für wahrscheinlich: Wenn nur ein Funken Geltungsbedürfnis dahinter steckt, dürfte es der Person schwer fallen, das Geheimnis mit ins Grab zu nehmen. Es wäre für die SPD besser, wenn es herauskäme, man könnte es dann leichter verarbeiten. Dass es die Partei mächtig geschüttelt hat, ist klar – und es hat unerfreuliche Signale nach Düsseldorf und nach Berlin gesandt. Das war eine einzelne Person – ich bin gegen Geschichtsklitterung. Die These, dass das geplante Dreierbündnis mit dem SSW instabil gewesen wäre, ist eine Behauptung. Wären die Ergebnisse nur ein bisschen anders gewesen, hätte es eine knappe schwarz-gelbe Mehrheit gegeben. Was an einer Stimme Mehrheit mit Herrn Kubicki solider sein soll als mit einer Stimme Mehrheit mit Anke Spoorendonk, dass soll mir mal einer erklären.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen