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Die WahrheitDie Welt der Fliese

Kolumne
von Franco Zotta

Soll man mit einer Vintage-Fliese über die deutsche Geschichte nach 1945 diskutieren? Eine Frage, die sich aufdrängt beim Besuch von Fliesenstudios.

I t’s a man’s world. Außer im Fliesenfachgeschäft. Im Fliesenfachgeschäft ist der Mann eine armselige, unterdrückte, ignorierte, rechtlose Kreatur. Also quasi eine Frau. Zumindest, wenn der Mann an der Seite seiner Frau ein solches Etablissement betritt und dort auf eine geschulte weibliche Fachkraft trifft, die genau weiß, wie sie die teuerste Fliese im Laden an eine nackte Badezimmerwand gequatscht bekommt: Mann ignorieren, Frau umgarnen.

Frau Gottwalth weiß Dinge über Fliesen zu erzählen, das wissen Fliesen womöglich nicht einmal über sich selbst. Diese Vintage-Fliesen mit kunstvoll gebrochener Kante zum Beispiel – sauteure kaputte Fliesen, die aussehen, als hätte jemand sich darüber erbrochen und vergessen, das anschließend wegzuwischen – genau die geben einem Badezimmer eine ganz besondere Aura. „Wände mit diesen Fliesen erzählen eine Geschichte“, sagt Frau Gottwalth.

Mein Badezimmer wird sprechen? Womöglich während ich darin auf dem Thron hocke und wirklich was anderes zu tun habe, als mit meiner Vintage-Fliese über die deutsche Geschichte nach 1945 zu diskutieren? Bin ich der Höcke, habe ich das nötig, so ein AfD-Gelaber, während ich kacke?

Während ich noch nach den richtigen Worten suche, um diese Vintage-Fliese von mir fernzuhalten, macht Frau Gottwalth meine Frau bereits auf eine andere Fliese aufmerksam. Letztere sieht aus, als hätte eine Kita die Resultate eines Töpfernachmittags ausgestellt: schräge Ränder und wellige Oberflächen, über die alberne Fische dümpeln. Reden die womöglich auch mit mir? Schreit mich bald eine Kinderhorde beim Duschen an? Das nicht, sagt Frau Gottwalth. Aber das sei mal „was anderes“. Das stimmt, Fliesen sind das definitiv nicht. Aber wenn mir der Sinn nach Unsinn steht, wäre meine erste Wahl eine Filmnacht mit YouTube-Videos von CSU-Parteitagen. Wo bleibt da die Sinngebung?

Ich versuche, eben das Frau Gottwalth in einem konzisen Vortrag zu erläutern. Ihre Aufmerksamkeit ist aber bereits gefangen von der Fliesenlinie „Concrete Town“ in Betonoptik, die ein echt urbanes Flair in unser Bad zaubern könnte. Ich bemühe mich, Frau Gottwalth darüber zu informieren, dass unsere Wände ja schon jetzt eine wenig einladende Betonoptik haben und der tiefere Sinn unseres Besuchs in ihrem Fliesenfachgeschäft gerade darin bestünde, dass wir durch Anbringen von Fliesen dem Raum eine konkrete Badezimmeratmo verleihen möchten.

Doch vergebens, weil Frau Gottwalth vollauf damit beschäftigt ist, meiner Frau die Vorzüge einer glänzend weißen Fliese in Bahnhofsklo-Ästhetik darzulegen. Sehr pflegeleicht, das Modell, sie würde das Bad damit von oben bis unten zukleben, dann seien wir durch mit dem Thema.

Ich rufe, so laut ich kann: „Die nehmen wir, dann hat meine Frau auch keine große Mühe mit dem Badputzen.“ Aber in einer wirklichen Frauenwelt kann Mann nicht einmal als Pöbler auf Wahrnehmung hoffen.

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2 Kommentare

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  • Hehe, echt witzig, das ganze mal aus der Sicht des Mannes zu lesen. Obwohl ich eine Frau bin kann ich gut verstehen, wie sich ein Mann dabei fühlt. Auf jeden Fall geht ein Kompliment an die Verkäuferin, die anscheinend sofort erkannt hat, wer das Sagen hat :)

    Als ich mit meinem Mann unsere Badfliesen geholt habe, durfte er ja auch seine Meinung sagen, aber letztendlich habe ich entschieden, welche Fliesen gekauft werden. Aber gut, "wir" haben unsere im Internet ausgesucht, denn meinen Mann bekomme ich nur sehr schlecht in irgendwelche Fachgeschäfte.

    Deswegen ist "unsere Entscheidung" auf einen Anbieter im Internet gefallen :D So haben wir - na ja wohl mehr ich - uns für Fliesen von www.fliesen24.com/...esen/metro-fliesen entschieden.

    Trotz allem sind wir beide glücklich mit unserer Auswahl. Er muss ja schließlich nicht putzen.

  • Nanu? Noch so ein Albtraum eines Konservativen? Meine Güte! Was gab's denn in der taz-Kantine zu essen heute? Hat sich der Koch (die Köchin ist wie immer mitgemeint) etwa im Kräutertopf vertan?

     

    Wie dem auch sei. Die Bedenken sind jedenfalls abwegig. Mag ja sein, dass Frauen in einer Männerwelt nur gehört werden, wenn sie pöbeln. Aber das gilt nur auf den unteren Etagen. Auf den oberen ist Mann heute schon viel zu cool um zu reagieren auf Pöbeleien. Besonders auf solche, die nicht von höherrangigen oder wenigstens gleichgestellten Männern kommen.

     

    Nachdem Frauen offenbar nicht die besseren Menschen sind – Theresa May, Beatrix von Storch, Marine Le Pen und Hillary Clinton haben sich jedenfalls bisher nicht als Männer geoutet – ist also keine große Änderung in Sicht. Auch nicht für den Fall, dass statt der Kinder demnächst Frauen an die Macht gelangen.

     

    Die nivellierende Wirkung einer Psyche, die unbedingt auf Herrschaft drängt, scheint stärker zu sein als jedes X-Chromosom. Ist ja auch logisch. Es heißt nämlich Erb-ANLAGE. Anlagen können sich manifestieren, müssen das aber nicht tun. Eine Störung, die sich schon manifestiert hat, ist hingegen nicht mehr optional.