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Lieber mit seinen Fehlern leben

Für den Glauben sterben? Der Schriftsteller Martin Mosebach glorifiziert in seinem neuen Buch den Märtyrertod und wird dafür belobigt. Vollkommen zu Unrecht. Eine Erwiderung

War für die Opfer alles ganz einfach? Angehörige der 21 vom IS ermordeten koptischen Christen in ihrer Trauer Foto: Mohamed El-Shahed/afp

Von Konstantin Sacher

Der Tod war schrecklich für Jesus. Kurz vor seiner Gefangennahme im Garten von Gethsemane betet er zu Gott: Ist es möglich, so gehe dieser Kelch an mir vorüber. Als die Stunde seines Todes gekommen ist, berichten die Evangelien, wird das ganze Land dunkel und der laute Schrei Jesu erklingt: Mein Gott, warum hast du mich verlassen?

In der Zeit vor Ostern erinnern sich die Christen an das Leiden Jesu. Karfreitag ist, auch wenn er ein ­Feiertag ist, kein Freudentag. Denn selbst im Bewusstsein der folgenden Auferstehung Jesu gibt es keinen Grund, sich über seinen Tod zu freuen.

Auch in Martin Mosebachs Buch „Die 21 – Eine Reise ins Land der koptischen Martyrer“ geht es um das Leiden und den Tod – ein Buch, könnte man meinen, das also gut in die Passionszeit passt (Rowohlt Verlag, 272 Seiten, 20 Euro). Weit gefehlt. Denn anders als die Bibel glorifiziert Mosebach Tod und Leiden. Sein Buch, das sich als Reisebericht tarnt, wird dadurch zu einer langen christlich-fundamentalistischen Predigt mit gefährlichem Inhalt.

Nun darf man von einem theologischen Buch des Schriftstellers Martin Mosebach theologisch natürlich nicht allzu viel verlangen. Doch da es eben nicht wie andere fundamentalistische Schriften im Netz oder in der Fußgängerzone verteilt wird, sondern in unseren Buchhandlungen steht, oft sehr gut besprochen worden ist und nur verhalten kritische Resonanz erfährt, ist die Auseinandersetzung zwingend.

Zunächst zum Vordergrund der Geschichte: Mosebach ist im Frühjahr 2017 nach Ägypten gefahren. Ihn fasziniert, dass es immer wieder koptische Christen gibt, die sich für ihren Glauben töten lassen – Christen, die keine Sekunde ihrem Glauben abschwören, um ihr Leben zu retten, sondern lieber sterben, wie er es beschreibt. Im Jahr 2015 wurden 21 koptische Männer durch islamistische Terroristen geköpft. Die koptische Kirche hat die Männer kurz danach heiliggesprochen. Mosebach: „Mich bewegte vielmehr das Schicksal der Ermordeten, für die, so vermute ich, alles ganz einfach gewesen war.“ Also reist er in ihre Heimatdörfer, spricht mit Kirchenführern, Familienmitgliedern und beschreibt seine Eindrücke dieser Begegnungen.

Doch Mosebach geht hier keiner Vermutung nach, er möchte etwas beweisen. Er sucht Bilder, die illustrieren sollen, was er schon längst predigt: Ein Martyrium ist das höchstes Ziel des Lebens, und alles ist ganz einfach gewesen für diese Märtyrer – als wäre das Sterben jemals für einen Menschen ganz einfach gewesen, insbesondere für einen Menschen, der wie die 21 Kopten den Tod durch Abtrennen des Kopfes mit einem Dolch erwartet.

An einer anderen Stelle des Buches formuliert er noch einmal ausführlicher, was ihn fasziniert: „Die Möglichkeit, ein Leben voller Fehler und Peinlichkeiten, Halbheit und Unaufrichtigkeit in einem einzigen Moment zu einem guten zu machen – und zwar durch ein Bekenntnis, das man vorher oft verraten hatte und, lebte man weiter, wieder verriete, das aber durch den Tod zum letzten und einzig wichtigen wurde. Alles, was man gewesen war, schmolz in diesem letzten Punkt zusammen, der gegenüber der Vergangenheit dann allein zählte. Viele Jahre verfehltes Leben erhielten durch das Martyrium jenes positive Vorzeichen, das alles in Heiligkeit verwandelte.“

Ein lebensfeindliches Credo

Weniger umständlich: Das menschliche Leben wird durch einen selbstmörderischen Akt des Bekenntnisses zu einem guten und richtigen. Ohne diesen ist es schlecht.

Dass Mosebach die ermordeten Kopten nur für seine Zwecke missbraucht, gibt er unumwunden zu. In einem fiktiven Gespräch nennt er sich „Beschwörer“ und antwortet auf die Frage, was denn gewesen wäre, wenn die Männer eigentlich doch lieber ihr Leben gerettet hätten: Das sei Spekulation, er wolle nicht vom Schlechten ausgehen. Absurder geht es nicht. Nach Mosebach ist es also schlecht, im Angesicht eines Henkers, der vorhat, gleich mit einem Dolch den eigenen Kopf vom Rumpf zu trennen, zu sagen: Ach, lasst mich leben, so wichtig ist mir Christus gar nicht. Gut ist nur, starrsinnig in den Tod zu gehen.

Es drängt sich die Vermutung auf, dass es hier gar nicht um die koptischen Märtyrer geht, sondern um die Dogmatik des Martin Mosebach. Mit einem hartnäckigen normativen Impetus umgarnt er seine Leser: Seht, so geht es auch! So, im unerschütterlichen Glauben, können wir all den Fehlern, Peinlichkeiten, Halbheiten und der Unaufrichtigkeit der liberalen, pluralistischen, säkularen westlichen Welt entrinnen.

Das ist ein lebensfeindliches Cre-do, und aus aufgeklärter christlicher Perspektive ist es einfach skandalös. Mosebach spricht ständig von einem richtigen, wahren Glauben. Er spricht somit, in guter Fundamentalistenmanier, allen anderen ihren Glauben ab. Die Instanz, die hier über wahr oder falsch entscheidet, ist dabei nicht einmal die katholische Kirche, sondern nur er selbst. Es ist erschreckend, wie plump biblizistisch und naiv Mosebach sich auf Jesus beruft. So empfiehlt er doch tatsächlich, die „Heilige Schrift ganz wörtlich zu nehmen“, weil dies die „einfache Sprache des Gottmenschen“ nahelege. Welche „einfache Sprache“ er meint, würde ich gerne wissen. Die Gleichnisse? Die komplizierten, oft widersprüchlichen Reden Jesu?

Dass Mosebach von den Bemühungen der Bibelwissenschaft, einzelne Sätze wirklich auf Jesus zurückzuführen, nichts wissen will, verwundert dann schon gar nicht mehr. Und es ist schauderhaft zu lesen, wie er den Tod glorifziert und das Leben abwertet – und zwar ganz bewusst unter Berufung auf die Auferstehung. Das ist zwar auch nichts Neues, gehört aber heutzutage mit gutem Grund nicht zu den Lehren der Theologiegeschichte, die Konjunktur haben.

Es ist schauderhaft zu lesen, wie Mosebach den Tod glorifiziert und das Leben abwertet – und zwar ganz bewusst unter Berufung auf die Auferstehung

Niemand kann Mosebach sein Christsein absprechen, aber ich möchte doch zumindest erwidern, dass es eine dezidiert andere christliche Sichtweise gibt. An Tod und Leiden gibt es nichts zu beschönigen. Sie sind niemals Grund für Glanz und Gloria.

In jedem Leben gibt es Fehler, Peinlichkeiten, Halbheit und Unaufrichtigkeit. Doch darüber hinaus gibt es eben auch richtige Taten, Momente des Stolzes, der Erfüllung oder Ehrlichkeit. Das menschliche Leben ist immer beides, und der Tod hebt nicht nur die eine, negative Seite des Lebens auf und lässt die andere, positive erstrahlen. Er hebt beide Seiten auf.

Die Aufgabe des Menschen besteht also nicht darin, sein Leben geringzuschätzen, weil es schwierig, komplex und widersprüchlich (christlich gesprochen: voll Schuld) ist. Sie besteht darin, zu versuchen, aus diesem Leben und seinen Umständen das Beste zu machen. Und die christliche Tradition kennt viele Hilfsmittel, die Mosebach in seiner Überhöhung des Märtyrertods völlig ausblendet: Sei es die Beichte, das Abendmahl oder einfach nur die Institution der Seelsorge. Die biblische Überlieferung beschreibt auch Jesus als einen solchen Menschen. In der Krippe im Dreck geboren, von Familie und Freunden verraten, sich seines Weges keineswegs immer sicher, angewiesen auf den Zuspruch Gottes und seiner Jünger und Jüngerinnen – und eben bis zuletzt mit seinem Schicksal hadernd: Warum hast du mich verlassen!?

Das alles ist Mosebach offensichtlich gleichgültig. Er pflanzt lieber die Idee in seine Leser, man könne die Komplexität und Kontingenz des Lebens dadurch vergolden, sich für den Glauben töten zu lassen. Er ergötzt sich lieber an der Logik, mit der alle Kriegstreiber ihr Fußvolk in den Tod schicken. Stirb fürs Vaterland! Es ist ein Ehrentod! Stirb für Allah! Stirb für Gott!

Zwar kann man Mosebach zugutehalten, dass er vor der Verklärung von Selbstmordattentätern haltmacht. Doch auch wenn er immer wieder die Friedlichkeit seiner Kopten betont: Religiöser Fundamentalismus ist niemals ganz friedlich. In der absoluten Überzeugung, die Wahrheit zu kennen, werden die Wahrheiten der anderen Menschen zur Falschheit. Zu einer Falschheit, auf die es entweder mit Missionierung, mit Bekämpfung oder mit Verachtung zu reagieren gilt.

Auch das sind in der christlichen Kirchen- und Theologiegeschichte gut bekannte Ideen, die wiederum zu Recht heutzutage keine Konjunktur haben. Es hat sich eben eine andere, ebenfalls christlich fundierte Sichtweise durchgesetzt: Die Würde jedes einzelnen Menschen hängt nicht ab von seinem Glauben, seiner Vollkommenheit, Ehrlichkeit oder sonstigen Qualifikation. Sie kommt ihm ganz einfach aufgrund seines Menschseins zu.

Der Autor ist Theologe an der Uni Leipzig und Schriftsteller. Zuletzt erschien sein Roman „Und erlöse mich“ (Tempo Verlag)

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