: „Müssen Sie das wissen?“
Die palästinensiche Band 47 Soul tritt heute in Berlin auf. Ein Gespräch über ihre Musik, über Heimatlosigkeit und die Frage, ob die Musiker Antizionisten sind
Interview Andreas Hartmann
taz: Herr Walaa Sbeit, Sie sind Sänger der vor fünf Jahren im jordanischen Amman gegründeten Band 47 Soul. Jeder bei Ihnen hat palästinensische Wurzeln. Warum ist Ihre Band inzwischen in London ansässig?
Walaa Sbeit: Jeder bei uns hat eine andere und doch ähnliche Familiengeschichte. Unsere Großeltern wurden aus Palästina vertrieben und landeten in Amman in Jordanien oder in Washington DC und die Mitglieder meiner Familie sind ewige Flüchtlinge innerhalb der Grenzen Israels, Flüchtlinge in der eigenen Heimat. Um als Band regelmäßig zusammenkommen zu können, mussten wir in eine Stadt wie London ziehen.
Weil das in Amman nicht mehr möglich war?
Mit all unseren unterschiedlichen Ausweisen aus Israel, Jordanien und den USA war es einfach zu schwierig, sich in Amman oder Palästina treffen. Deshalb haben wir beschlossen, unsere Heimat zu verlassen. Aktuell erleben wir jedoch, dass es auch hier in Europa gar nicht so einfach ist, frei zu reisen. Auch hier gibt es für uns als Band aus dem Nahen Osten auf Touren Probleme bei der Einreise in ein anderes europäisches Land.
Sie und Ihre Band gelten als Begründer des Genres Shamstep, in dem traditonelle arabische Tanzmusik, der Dabke, mit modernen westlichen Einflüssen von HipHop bis Rock verbunden werden. Warum nennen Sie das Shamstep?
Das ist ein Wortspiel. Sham kommt vom arabischen Begriff Bilad al-Sham, was als Großsyrien übersetzt wird. Dieses Großsyrien umfasste Palästina, Libanon, Jordanien, Syrien, Teile von Ägypten und sogar von Zypern. Sham verbinden wir mit Step, was natürlich von Dubstep kommt.
Und 47 Soul, was bedeutet dieser Bandname?
Das ist ein symbolischer Name. Er bezieht sich auf das Jahr 1947, auf das Jahr, bevor durch die Gründung des Staates Israel unsere Großeltern aus ihrer Heimat Palästina vertrieben wurden. 1947 war es noch möglich, von Haifa nach Bagdad zu reisen, dort einen Falafel zu essen, weiterzufahren nach Beirut, um dort ins Kino zu gehen, und am nächsten Tag in Jerusalem zu übernachten. Und das, ohne dass überhaupt irgendjemand nach einem Pass gefragt hätte. Damals gab es all diese Grenzen noch nicht, die wir durch den Kolonialismus ein Jahr später erhalten haben.
1947 war also noch alles okay im Nahen und Mittleren Osten, ein Jahr später, mit der Gründung Israels, nicht mehr?
Genau. Danach wurde es immer schlimmer, und 1948 passierte die Katastrophe. Palästina war davor ein offenes Land, in dem Christen, Muslime und Juden friedlich miteinander lebten. Dieselben Leute waren 1948 plötzlich Feinde.
In Ihren Texten und Videos thematisieren Sie ununterbrochen dieses Leid der Palästinenser und das Leben im Exil. Was wollen Sie mit Ihrer Musik erreichen?
Mit unserer Musik versuchen wir vor allem, uns in eine andere Realität hineinzufantasieren. Wir sind keine Politiker. Es ist eigentlich ziemlich traurig, dass ständig angenommen wird, uns ginge es immer nur um Politik, weil wir eben Palästinenser sind. Es wird gesagt: Oh, eine palästinensische Band, die will bestimmt nicht über Liebe singen und hat keine Songs darüber, wie es ist, am Morgen aufzuwachen, Schmetterlinge zu beobachten und sich an Blumen zu erfreuen. Ja, wir sind Palästinenser, vor allem aber sind wir Menschen, Semiten. Wir sind Leute, die einer der ältesten Kulturen der Welt entstammen. Das Problem ist jedoch tatsächlich: Auch wenn wir über die Liebe singen, müssen wir gleichzeitig feststellen, dass wir gar kein Geld haben, einem geliebten Menschen ein Geschenk kaufen zu können, oder man schafft es nicht, noch rechtzeitig eines zu kaufen, weil man wieder den ganzen Tag an einem Checkpoint warten musste. Auch die Liebe wird unter solchen Umständen politisch.
Einfach mal geradeaus gefragt: Ist 47 Soul eine antizionistische Band?
Ob wir eine antizionistische Band sind? Müssen Sie das wirklich wissen, um Ihren Artikel zu schreiben?
Es würde mich einfach interessieren.
Ist das wichtig, um zu verstehen, was und wer wir sind und was nicht?
Vielleicht.
Ich würde sagen, wir sind gegen alles, das im Namen einer Religion zur Apartheid führt.
Wahrscheinlich muss ich Sie gar nicht fragen, was Sie von der israelischen Politik halten.
Die ist natürlich schlecht. Ich meine, ist es ein Spaß, wenn man Leute dazu bringt, in Konzentrationslagern zu leben? Das machen die Israelis: Sie lassen andere in Konzentrationslagern leben.
Band: 47 Soul ist eine in London ansässige Band, die vor fünf Jahren in Amman gegründet wurde. Ihre Mitglieder kommen aus den USA, Jordanien und Israel und haben alle palästinensische Hintergründe. Ihre Mischung aus traditioneller arabischer Musik und westlichen Einflüssen von HipHop bis Reagge plus politischen Botschaften nennen sie Shamstep. Ihr Debütalbum erscheint dieser Tage, ihre Songs hatten bereits zig Millionen YouTube-Clicks.
Auftritt: Heute im Musik & Frieden, ab 20 Uhr.
Na ja, in Konzentrationslagern wurden Menschen industriell vernichtet, davon kann in den palästinensischen Gebieten wohl keine Rede sein.
Wenn man Leute daran hindert, sich frei zu bewegen, sie unterdrückt, Mauern um sie herum baut und sie wie in einem Gefängnis hält, tötet man sie langsam.
Sie sind nun in Deutschland auf Tour, im Land der Täter, mit seiner historischen Verantwortung gegenüber dem Staat Israel. Sind Sie sich dessen bewusst?
Natürlich. Ich habe mich schon oft mit jüdischen Studenten unterhalten, ihnen die Geschichte meiner Großeltern erzählt, und sie haben mir auch die Geschichte ihre Großeltern erzählt. Ich bin mir sehr im Klaren über die Geschichte Deutschlands und der beiden Weltkriege. Aber wissen Sie, was vor allem schmerzt?
Sagen Sie es mir.
Wir als Palästinenser und Araber zahlen den Preis für das, was die Europäer den Juden angetan haben.
Wovon träumen Sie in Bezug auf die Situation im Nahen Osten?
Natürlich träumen wir davon, als Band problemlos in Palästina auftreten zu können, und zwar im historischen Palästina, in Städten wie Haifa, Jaffa, Nazareth, Bethlehem und Jerusalem, wo es keine Unterschiede mehr gibt zwischen Hautfarben und Religionen. Wir wollen in einem vereinten Jerusalem ohne Apartheid gegenüber der autochthonen Bevölkerung auftreten.
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