: Zwischen Arbeitslosigkeit und New Economy
taz geht wählen – die Serie zur Bundestagswahl am 18. September. Die 64 nordrhein-westfälischen Direktwahlkreise im Portrait. Wer kämpft um die Mandate? Wer sind die Außenseiter? Wer gewinnt? Heute: Essen III
Essen III?
Die „Reviermetropole“ Essen steckt weiter im Strukturwandel, ist zerrissen wie der Wahlkreis 121, Essen III. Der wohlhabende Süden hat den Sprung in die Dienstleistungsgesellschaft geschafft, wirkt wie Bredeney nobel oder wie Haarzopf ländlich. In Rüttenscheid treffen sich die Gewinner in netten Cocktailbars. Im Norden wechseln sich Siedlungen, Brachen und die Reste des einst größten Industriereviers Europas ab. Hier scheint die Zeit stehen geblieben – nur die Arbeitsplätze sind verschwunden.
Wer verteidigt den Wahlkreis?
Die Sozialdemokratin Petra Hinz will neu in den Bundestag, löst den mit 49,8 Prozent der Stimmen gewählten Hans-Günter Bruckmann ab, der nach sieben Jahren in Berlin nicht mehr kandidiert. Die 43jährige Juristin ist seit 2003 stellvertretende Chefin der Essener SPD und als Vize-Fraktionschefin im Rat Fachfrau für Haushalt und Finanzen. Ihr Defizit: Hinz wirkt blass, ist selbst unter Stammwählern wenig bekannt – da hilft auch das „aktive Engagement“ bei der Arbeiterwohlfahrt wenig.
Wer will den Wahlkreis?
Henning Aretz (49), Christdemokrat mit dem Charme des erfolgreichen Neoliberalen. Wie Hinz Jurist, ist Aretz Vertreter des Big Business im Ruhrgebiet: Der Top-Manager verantwortet bei E.ON Ruhrgas den Gasverkauf Mittelosteuropa. Aretz, der die zweite und achte Klasse übersprang und 1973 jüngster Abiturient Deutschlands war, versteht sich als Leistungsträger. Seit seinem von der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung geförderten Studium bewegt sich der vierfache Vater auf der Schnittstelle von Wirtschaft und Politik. 1980 war er Referent für auswärtige Politik in der Bonner CDU-Bundeszentrale, 1985 UdSSR-Referent des Bundesverbands der deutschen Industrie in Köln. 1980 in die CDU eingetreten, vertritt er seine Partei mit den Themen Zuwanderung und Integration seit 1999 im Essener Rat. Selbstverständlich ist der „Ehrenritter des Johanniter-Ordens“ auch Mitglied im Rotary-Club und wohnt im Essener Süden.
Der große Außenseiter?
Schon jetzt gewonnen haben könnte Wolfgang Freye von der Linkspartei: Der 52jährige Werkzeugmacher ist auch über Platz acht der Landesliste abgesichert und dürfte dem nächsten Bundestag angehören. Der Frust der ehemaligen SPD-Stammwähler wird Freye gerade im Norden bei der Direktwahl einen Achtungserfolg sichern.
Die taz-Prognose?
Der Strukturwandel frisst die SPD, CDU-Mann Aretz gewinnt den Wahlkreis direkt. Geschwächt von der Linkspartei hat Petra Hinz schlechte Karten. ANDREAS WYPUTTA
BERICHTIGUNG
Der grüne Kandidat im Wahlkreis Dortmund I, Markus Kurth, hat am 19.12.2003 gegen das Hartz-IV-Paket gestimmt. Und nicht, wie wir gestern schrieben, dafür. Die Redaktion entschuldigt sich für diesen Fehler.
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