piwik no script img

Verschlagener Abenteurer

KUNSTROCK Kein bisschen müde: Überraschend zeitgemäß klingt nach siebenjähriger Pause John Cales fünfzehntes Solo-Album „Shifty Adventures in Nookie Wood“

Treu geblieben ist sich Cale – indem er sich wieder einmal neu erfunden hat

VON ROBERT MATTHIES

Ein klassischer Komponist sei er eigentlich, der mit dem Herumgeplansche im Rock nur seine Persönlichkeit durcheinanderbringe. Ein offenbar unstillbares Verlangen nach Verwirrung, denn konventionelle Klassik findet sich auf den rund fünfzig Platten, die John Cale seit den 60ern veröffentlicht hat, nur ein einziges Mal: auf dem von Brian Eno produzierten „Words for the Dying“. Nachhaltigen Eindruck hat Cale stattdessen auf die progressive Rockmusik und den Protopunk gemacht.

Dabei beginnt alles noch klassisch mit einem Studium am Goldsmiths College, dann aber drängt in New York das Unkonventionelle in den Vordergrund. Zusammen mit John Cage bringt Cale zum ersten Mal Erik Saties „Vexations“ in ganzer Länge zur Aufführung, spielt in La Monte Youngs Theater of Eternal Music, stößt 1965 zu Lou Reeds Velvet Underground – auf deren Sound der Waliser den größten Einfluss hat. Nach zwei Alben trennt er sich wieder von der Band – zu verschieden waren Lou Reeds und Cales Ansichten über die Richtung, die die Band nehmen sollte.

Cale beginnt Solo-Alben zu veröffentlichen, arbeitet unter anderem mit Nick Drake und Terry Riley zusammen, produziert eine Reihe einflussreicher Protopunk-Platten, die Debüts von Patti Smith und The Stooges. Und ändert nach seiner Rückkehr nach Großbritannien plötzlich seinen Stil. Die Eleganz weicht einer dunklen und bedrohlichen Stimmung, die den Eindruck gerade noch unterdrückter Aggression vermittelt. Ende der 70er schneidet Cale auf der Bühne einem toten Huhn den Hals ab – die Band verlässt unter Protest die Bühne. Später gibt ein gewandelter Cale zu, das hinter dem paranoid-launischen Verhalten Kokain steckte.

In das Düstere schleicht sich in den 80ern denn auch wieder die Leichtigkeit der frühen Arbeiten. Cale schreibt Gedichte und Filmmusik, sogar eine kurze Velvet-Underground-Reunion gibt es. Und Cale blickt zunehmend selbstbewusst zurück, zieht 1999 in seiner Autobiographie „What‘s Welsh for Zen?“ Zwischenbilanz und haucht 2005 auf „blackAcetate“ seinem 40 Jahre Rockgeschichte umfassenden Katalog neues Leben ein – eine revidierte Chronologie dessen, was einmal fremd klang und sich schließlich als wegweisend und wesentlich entpuppte.

Sieben Jahre hat sich Cale nun für sein fünfzehntes Solo-Album „Shifty Adventures in Nookie Wood“ Zeit gelassen. Treu geblieben ist er sich dabei – indem er sich wieder einmal neu erfunden hat. Denn statt Songs „herunterzuschreiben“ hat Cale sie diesmal im Studio um Beats aus dem Drumcomputer herum gebastelt. Und sich dabei Unterstützung bei einem geholt, der genau damit in den letzten Jahren für Furore gesorgt hat: Ansprechpartner für „Shifty Adventures in Nookie Wood“ war niemand Geringeres als Brian Burton alias Danger Mouse, Mitproduzent bei Damon Albarns Gorillaz und eine Hälfte von Gnarls Barkley. Erstaunlich zeitgemäß und eingängig klingt Cale dabei. Ein verschlagener Abenteurer, der auch mit 70 Jahren noch kein bisschen müde ist.

■ Di, 23. 10., 20 Uhr, Kampnagel, Jarrestraße 20

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen