Tasnim Rödder über den wahren Stand der Gleichberechtigung in Berlin: Mehr Schein als Sein
Bunt, weltoffen, tolerant!“ Mit diesen drei hübschen Attributen schmückt sich die Stadt Berlin auf ihrem Tourismuswerbeportal Visit Berlin. Es gibt einen Verweis zum LGBTI*-Guide, der unter die Kategorie „Sightseeing“ fällt – als wolle man sich das Queersein vor allem ins Schaufenster stellen.
Fast könnte man den Eindruck gewinnen, Berlin sei das Mekka der queeren Community: wow. Berlin, die Stadt der Liberalität und Geschlechterfreiheit. Denkt man sich so. Falsch gedacht.
Janz schön weit hinten
Jedenfalls sagt eine Studie etwas anderes. Danach nehmen die Berliner*innen die Gleichberechtigung der Geschlechter im europäischen Vergleich nämlich gar nicht so wichtig. Die Wohnungsplattform „spotathome“ hat 33 Metropolen in Europa auf ihre Gleichberechtigung verglichen. Errechnet hat sie die Werte aus zehn individuellen Faktoren wie zum Beispiel LGBTI*-Freundlichkeit, Gender Pay Gap oder Frauenanteil in der Politik. Und, welch Schock: Berlin ist auf Platz 22. Damit reiht sich die deutsche Hauptstadt ein hinter als konservativ geltende Städte wie Zürich, Wien oder München. Oh weia.
Und doch hat Berlin einiges zu bieten: Gay Clubs, Kitas für Regenbogenfamilien, Christopher Street Day, LGBTI*-freundliche Hotels – alles auf der Berliner Webseite zu finden. Auch das Stadtbild erweckt diesen Eindruck: Fährt man durch Kreuzberg oder Schöneberg, sieht man Regenbogenflaggen, wie sie aus Fenstern im Winde flackern, am Alexanderplatz hängen große Werbeplakate, auf denen queere Partys angekündigt werden.
Das nützt bloß alles nicht so viel, wenn der Berliner Bäcker immer noch mehr für seine Schrippen bekommt als die Bäckerin. Denn wenn es um die gleichberechtigte Bezahlung geht, bleibt Berlin, die Stadt der innovativen Start-up-Kultur, zurück. Die Lohnlücke zwischen Hauptstädtern und Hauptstädterinnen liegt derzeit bei rund 13 Prozent.
Harte Unterschiede
Solche Nachrichten sind natürlich schmerzlich. Gerade erst, am 18. März, wurde der Equal Pay Day begangen. Er markiert symbolisch jenen Tag, bis zu dem Frauen umsonst arbeiten, während Männer seit dem 1. Januar für ihre Arbeit bezahlt werden. Von einer Angleichung sind Berlin und die Bundesrepublik also noch immer weit entfernt.
In der Bundespolitik sah es mit der Gleichberechtigung auch schon einmal besser aus. Bei den Wahlen im vergangenen Herbst zogen 218 Frauen in den Bundestag ein – das entspricht 31 Prozent der aktuell 709 Sitze. Damit liegt der Anteil der Frauen so niedrig wie zuletzt vor zwei Jahrzehnten. Anstatt sich mit Adjektiven zu brüsten, sollte sich Berlin besser selbst auf die Finger schauen.
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