: Diesmal hilft er wirklich
Nach dem Vorwurf sexuellem Missbrauchs ist der Weiße Ring unter Druck geraten
Von Simone Schnase
Von Kriminalität betroffen? Wir helfen!“ Dieser Satz prangt in dicken Lettern auf der Homepage des Weißen Rings. Für viele Frauen, die sich Hilfe suchend und vertrauensvoll an die Lübecker Außenstelle des Vereins gewandt hatten, muss dieser Satz wie blanker Hohn klingen. Denn deren ehemaligem Leiter Detlef Hardt wird vorgeworfen, jahrelang Hilfe suchende Frauen sexuell belästigt zu haben.
Und die bekommen nun Hilfe – vom Weißen Ring: Er übernimmt die Anwaltskosten für die mittlerweile 18 mutmaßlichen Opfer, von denen bis Freitagnachmittag elf Anzeige erstattet haben. Die Bundesvorsitzende des Vereins, Roswitha Müller-Piepenkötter, kündigte an, die Opferorganisation werde die Frauen bei ihren Schadenersatzprozessen finanziell unterstützen. Nach Berichten im Spiegel und den Lübecker Nachrichten hatte der Bundesvorstand Strafanzeige erstattet.
Dass die Vorwürfe allerdings nicht schon viel früher zu ihm gedrungen waren, mutet indes seltsam an: Denn bereits 2006 prüfte die Staatsanwaltschaft erste Hinweise gegen Hardt, 2016 und 2017 dann erneut. Laut dem Lübecker Polizeidirektor Norbert Trabs gab es schon 2012 ein Gespräch zwischen dem damaligen Polizeichef und Uwe Döring, Landesvorstand des Weißen Rings Schleswig-Holstein, das aber folgenlos blieb. Als Trabs 2016 Polizeichef wurde, kündigte er dem Verein die Zusammenarbeit auf. Auch die Beratungsstelle Frauennotruf hat bereits 2012 den Ortsverein und Hardt mit Vorwürfen mehrerer Frauen wegen sexualisierter Übergriffe konfrontiert.
Zweifelhaft ist also mindestens die Aussage Müller-Piepenkötters, dem Landesvorstand seien „lediglich zwei weniger schwere Fälle“ aus den Jahren 2016 und 2017 bekannt gewesen; Döring wusste seit spätestens 2012 von den Vorwürfen gegen Hardt. Aber erst als im vergangenen Jahr eine Polizistin von Übergriffen berichtete, griff Döring ein. Und anstatt Hardt zu kündigen, gab er ihm ein halbes Jahr Zeit, seinen Posten zu räumen.
Während Hardt sämtliche Vorwürfe abstreitet und mittlerweile Strafanzeige wegen übler Nachrede gestellt hat, sind Döring und sein Stellvertreter am vergangenen Wochenende von ihren Ämtern zurückgetreten. Müller-Piepenkötter kündigte an, dass der Posten des Vorsitzenden rasch wieder besetzt werde. Der Neuen Osnabrücker Zeitung sagte sie, einen vergleichbaren Fall habe es seit der Gründung des Opferschutzvereins 1976 noch nie gegeben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen