Uwe Tellkamp kommt doch nicht: Lesebühnen bleiben leer
Nachdem sein Verlag sich von ihm distanziert hat, sagte der umstrittene Autor Uwe Tellkamp nun auch seine Lesereise in Norddeutschland ab.
Alles abgesagt – und das unter ausdrücklichem Hinweis auf jene Diskussionsveranstaltung neulich, ein ganzes Stück die Elbe hinauf, in Dresden, der dann ja dieses mittlere Literaturbetriebsbeben gefolgt war: Am Donnerstag der Vorwoche hatte Tellkamp im Dresdner Kulturpalast auf einer Bühne gesessen, zusammen mit dem ebenfalls von dort stammenden Literaten Durs Grünbein. Thema des Abends war kein Geringes als der Zustand der Meinungsfreiheit.
Angebliche „Gesinnungsdiktatur“
Als in diesem Sinne gelungen muss man sich Tellkamps Performance vorstellen: Der 49-Jährige referierte allerlei Zusammengetragenes, mal über Flüchtlinge, dann wieder über Migranten, aber auch über das angebliche Ins-Kraut-Schießen der politischen Korrektheit an und für sich. Was insofern eine Vorgeschichte hat, als Tellkamp auch zu den ersten Unterzeichnern der „Charta 2017“ zählte, die, initiiert von einer örtlichen Buchhändlerin, ein Signal setzen wollte gegen eine angebliche linke „Gesinnungsdiktatur“ im Land.
Dass hierzulande dies und jenes nicht mehr gesagt werden dürfe, beklagte da also einer, auf einer Bühne sitzend vor mehreren Hundert Menschen, die applaudierten. Nun führte Tellkamp da halt auch allerlei Unwahres im Munde, etwa die Behauptung, es kämen „nachweislich“ 95 Prozent der Flüchtlinge (oder waren es Migranten?) ins Land, „um in die Sozialsysteme einzuwandern“.
Wogegen nicht nur Grünbein Einwände äußerte: Auch der Suhrkamp-Verlag, der die Werke beider Autoren herausbringt, distanzierte sich von Tellkamp, was manche als Beleg für die erwähnte Gesinnungsdiktatur ansahen, andere eher als eine Art demokratisches Hochamt.
Dahingestellt, wie viel Kalkül mit im Spiel war bei der ganzen Chose (ausgerechnet kurz vor der Leipziger Buchmesse): Leidtragende, könnte man sagen, sind nun die, die Tellkamp einfach nur als Autor mögen – und ihm gern zugehört hätten, in Lübeck, Kiel, Schleswig oder Hamburg.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Alkoholpreise in Deutschland
Das Geschäft mit dem Tod
Jüdische Wähler in den USA
Zwischen Pech und Kamala
Experten kritisieren Christian Lindner
„Dieser Vorschlag ist ein ungedeckter Scheck“
Soziologe über Stadt-Land-Gegensatz
„Die ländlichen Räume sind nicht abgehängt“
Regierungskrise der Ampel
Schmeißt Lindner hin oder Scholz ihn raus?
Grundsatzpapier von Christian Lindner
Eine gefährliche Attacke