Die Wahrheit: Ende der Schonfrist
Der rechte Dresdner Uwe Tellkamp ist beileibe nicht der erste Autor des Suhrkamp-Verlags, der politisch verhaltensauffällig geworden ist.
Die Suhrkamp-Kultur: jahrzehntelang eine Bastion deutschen Geistes. Hesse, Adorno, Bernhard, Bloch, Broch, Borch, Bornemann, Jean Dobritius oder Samira El Ouassil – wann immer irgendwo gedacht wurde, wann immer ein Gedankenrudiment die Synapsen eines Hochleistungsverstands beschäftigte, standen Suhrkamp-Angestellte mit gespitztem Kuli Spalier, schrieben getreulich mit, um das alles dann in Buchform zu gießen.
Stets blieb der Verlag seinem Motto treu, Autoren zu verlegen, keine Bücher. So hielt er jahrzehntelang den Nichtsnutz Wolfgang Koeppen über Wasser, ließ sich von Thomas Bernhard das Geld aus den mageren Rippen leiern und versorgte Unseld-Witwen sonder Zahl. Allen war klar: Den Autoren wird der Rücken freigehalten – und wenn Max Frisch im Suff versehentlich wieder ein Schulkind überfahren hatte, wurde kommentarlos Schweigegeld gezahlt. Es war eben alles ein bisschen menschlicher als in anderen Häusern.
Doch nun der Fall Tellkamp. Jahrzehntelang durfte der stets leicht vom Rotwein gebläht wirkende Ossi namens Uwe (vgl. Böhnhardt, Mundlos) seine unlesbaren Romanungetüme ins Suhrkamp-Programm wuchten, bis zum Rand gefüllt mit konservativem Seich. Bisher nahm niemand im Verlag daran Anstoß. Jetzt, da Tellkamp in der Radeberger-Oper zu Dresden verkündete, 95 Prozent der Flüchtlinge könnten seinetwegen summarisch hingerichtet werden, distanziert sich Suhrkamp plötzlich.
Ein Unikum in der Geschichte des Hauses? Irrtum! Ein Blick in die erst 2010 veröffentlichte Chronik des Verlags zeigt, dass die Zusammenarbeit mit den Autoren nicht immer so bruchlos verlief, wie das nach außen hin gern dargestellt wurde. Als der späte Horkheimer ankündigte, seine letzten Jahre als Motivationstrainer auf Ibiza arbeiten zu wollen, intervenierte Siegfried Unseld noch persönlich – und überredete den Direktor der Frankfurter Schule, das Ganze als „Seminar zu Hegels Rechtsphilosophie (mit DJ Horki und Gratisshots für die Medls, lovesmiley)“ zu deklarieren.
Als Martin Walser pünktlich am 20. 4. rotzbesoffen und mit durchgeladener Schrotflinte in der Lektorenkonferenz erklärte, die Schonfrist für Juden sei jetzt aber ein für allemal vorbei, konnten die Mitarbeiter seinen Hass immer noch rechtzeitig in ein neues Buch umlenken. Und als der Miteigentümer Hans Barlach in einem spektakulären Hexenprozess nachweisen wollte, dass Ulla Berkéwicz mit ihrer Katze spreche und auf einem Wagenrad gen Blocksberg zu reisen pflege, verschwanden wichtige Beweisfotos aus dem Archiv. Doch Distanzierungen, zumal öffentliche, waren bisher unbekannt.
Kommunisten in der Wohnung
Tellkamp, ein Rechter: Was bisher nur hinter verschlossenen Türen oder beim Lesen seiner Bücher auffallen konnte, wird plötzlich affaire publique – asunto público, wie die Spanier sagen. Verlagschef Bredekamp hat bereits angekündigt, dass demnächst noch weitere Stellungnahmen ins Haus stehen. So soll der hochgeschätzte Hausphilosoph Ernst Bloch ein Gegner der freiheitlich-demokratischen Grundordnung gewesen sein – angeblich durften Kommunisten in seiner Wohnung übernachten oder seine Seminare besuchen. „Wenn das stimmen sollte, ist ein deutlicher Warnhinweis auf der Werkausgabe mehr als angebracht“, so Bredekamp. Bloch habe das Privateigentum an Produktionsmitteln abgelehnt, welches ja unter anderem auch ein Fundament der Suhrkampkultur sei: „Ohne Produktionsmittel keine Bücher“, so Bredekamp konzis.
Andererseits, so gibt Aufsichtsratsvorsitzende Berkéwicz bekannt, sei es nicht auszuschließen, dass weitere Suhrkamp-Autoren rechten Gedanken nahestehen. Nun gehen ihre Überlegungen dahin, die ganzen rechten Autoren gemäß einer alten Verlagstradition in einer eigenen Unterabteilung herauszugeben: „Da würde mir sofort ‚edition suhrtellkamp‘ einfallen. Sozusagen das ‚Heyne Hardcore‘ für Kopfmenschen.“
Sichtbare Wegweiser
Nicht nur in der Presse haben diese Pläne viel Spott ausgelöst. „Branchenkonsens im Umgang mit rechter Literatur ist, dass wir jeden Scheiß unkommentiert wegdrucken und uns damit still die Taschen vollmachen“, so Alexander Skipis, Chef des Bösenvereins des Deutschen Buchhandels. „Jetzt so Content-Warnungen rauszuhauen, das halte ich für übertrieben. Schauen Sie sich doch mal die Bestsellerlisten an! Wenn man jetzt anfängt, sich von Nazis zu distanzieren, kann man den Laden doch gleich dichtmachen. Das Kind ist doch wirklich schon längst in die Kloake gefallen.“
Die Leipziger Buchmesse macht es vor, wie die kritische Diskussion weitergehen kann: Alle rechten Verlage in eine Ecke stellen, aber gut sichtbare Wegweiser dahin aufstellen. „Das könnte man doch auf den ganzen Buchhandel übertragen“, so Skipis weiter. „Statt Moralisieren klare Grenzen ziehen – und die dann konsequent überschreiten. Ich könnte mir vorstellen, dass bald in jeder Thalia-Filiale ein Glaskasten für Rechtsautoren zu finden ist, so ähnlich wie für Raucher bei der Bahn. Wer da reingeht, tut das auf eigene Verantwortung. Und unsere Umsätze, die machen wir dann ebenfalls auf eigene Verantwortung.“
Uwe Tellkamps neue Essaysammlung, „Von einem Fidschi lass ich mich nicht operieren“, könnte dann genau in einem solchen Gefahrenraum ausliegen: gut platziert und hervorragend sichtbar. Eine Lösung, die sicher auch Tellkamp zufriedenstellen würde, wenn er noch lebte.
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