: Der Tod des Frotteekönigs
ERBEN Nora Bossong erzählt mit unterkühlter Eleganz von der menschlichen Krise im Spätkapitalismus
VON KATHARINA GRANZIN
Luise ist genau der richtige Name für eine Kronprinzessin. Er passt zu einer, die zudem noch genau weiß, was sie will: die Krone. Doch wie es so ist mit der dynastischen Erbfolge: Aller guter Wille und alles Interesse an der Familientradition nützen dem Nachwuchs nichts, wenn eine degenerierte Elterngeneration das Erbe vorher durchgebracht hat. Traumatisch, wenn die Erbin im Glauben ist, die Krone sei noch vorhanden, obwohl sie lange schon heimlich verpfändet wurde.
Es ist eine Königinnentragödie der spätkapitalistischen Gesellschaft, die Nora Bossong in ihrem Roman „Gesellschaft mit beschränkter Haftung“ erzählt. Die Mehrdeutigkeit des offensiv prosaischen Titels erschließt sich erst im Laufe des Buchs. Und auch die Tragödie begreift man erst am Schluss, frühestens. Bossongs kühler, eleganter Stil gibt keine Untiefen preis. Der trügerische Eindruck, alles sei unter Kontrolle, dem sich die Romanfiguren hingeben, spiegelt sich in der unaufgeregten Beherrschtheit dieser Prosa.
Der Roman beginnt mit einem Tod. Der Unternehmer Kurt Tietjen, reich hineingeboren in die väterliche Frotteefabrikation, die vom Großvater zur Kaiserzeit begründet worden war, ist in New York gestorben, wo er die letzten Jahre seines Lebens lebte, wohin er verschwunden war. Er ging fort, ohne Familie oder Mitarbeitern Bescheid zu geben und, schlimmer noch, ohne sein Stimmrecht im Aufsichtsrat der Firma an jemanden übertragen zu haben. So können die Zurückbleibenden, Kurts Schwager Werner, seine Tochter Luise und das übrige Management, nicht die für das Unternehmen wichtigen Entscheidungen treffen. Luise, die ihren Vater regelmäßig in New York besucht, um mit ihm spazieren zu gehen, dringt nicht zu ihm vor. Und dieses Mal, als sie, wie so oft, von Kurt nach New York gebeten worden ist, findet sie ihn also tot.
Woran Tietjen gestorben ist, ob Selbstmord oder nicht, wird nicht thematisiert und spielt eigentlich auch keine Rolle. Deutlich ist, dass er die Selbstauslöschung beschlossen hat, es wird im Laufe des Romans deutlich, der in der Rückschau nach und nach aufdeckt, was zu diesem einsamen Tod geführt haben mag. Das Porträt eines Mannes wird sichtbar, der in eine Rolle hineingeboren wurde, die er nie ausfüllen wollte und konnte, der aber auch als revoltierender Nestbeschmutzer glücklos blieb.
Ganz anders Luise. Kurts Tochter ist 27 Jahre alt; doch das, was von ihrem Leben schon zu erzählen ist, weist in eine ganz andere Richtung. Klassenbeste in der Schule, Studentin der Wirtschaftswissenschaften, hat sie sich nie um die Nachfolge auf den Tietjen-Thron beworben. Doch als ihr Vater verschwindet, wird klar, dass ihr diese Rolle nun zuwächst. Luise beginnt zu kämpfen, es steht schlecht um Tietjen-Frottee.
Es ist eine sonderbar unmenschliche Parallelwelt, in die dieser Roman führt. Eine Welt, in der, zumindest wenn sie mit Luises Augen gesehen wird, alles und alle kühl auf Tauglichkeit für das Geschäft geprüft und selbst der Liebhaber nur mit Nachnamen angesprochen wird. Eine Welt, in der Luise zwar gern auch als Frau wahrgenommen würde, doch alle Männer, die sie kennenlernt, sie primär in ihrer Funktion als Unternehmerin sehen. In dieser Rolle wirklich ernst genommen zu werden verlangt allerdings auch viel Übung. Arme Luise – möchte man manchmal fast denken. Und denkt es dann nicht, denn Empathie wird durch Bossongs Prosa eiskalt verhindert. In dritter Person gehalten, ist der Roman zum Teil aus Kurts, zum Teil aus Luises Perspektive erzählt, was die Beschränktheit beider Sichtweisen herausstellt. Luise mag in die Unternehmerrolle streben, Kurt aus ihr flüchten – gemeinsam ist beiden die Eigenschaft, jenen Teil der Menschheit, der nicht zu den reichen Geschäftemachern zählt, gleichsam aus der Ferne, von erhöhter Warte aus zu betrachten.
Personifiziert findet sich die Welt der gewöhnlichen Menschen in Fanny, Kurts junger amerikanischen Geliebten. Luise registriert mit leichter Verachtung, dass „diese Person“ wohl zugegen gewesen sein musste, als ihr Vater starb. Das Detail, dass Fanny einen Bademantel aus Tietjen-Frottee trägt, der vom häufigen Tragen abgenutzt wirkt, fügt sich in das allgemeine Bild von Schäbigkeit, das die Amerikanerin in Luises Augen bietet. Der Gedanke, dass das Tragen des Tietjen-Bademantels ein Zeichen emotionaler Verbundenheit sein könnte, kommt ihr nicht. Aber Kurt ist zu Lebzeiten kaum anders. Sogar als er sich selbst schon in New York willentlich zu einem Niemand gemacht hat, ist die Geliebte für ihn nur „ein mageres Nichts aus Pennsylvania“. Dass Fanny, die als Buchhalterin arbeitet und über solide Wirtschaftskenntnisse verfügt, ihrerseits die ganze Zeit wusste, dass sie es mit einem Gescheiterten zu tun hatte, kommt, ganz nebenbei, am Schluss zutage.
Ebenso wie in den programmatisch oberflächlichen Beziehungen der Romanfiguren wird im gesamten Roman das Eigentliche nie ausgesprochen. Was diese Menschen antreibt, bleibt unergründbar. Warum will Kurt das Familienunternehmen vernichten? Warum will Luise es retten? Was treibt Kurt zu Fanny? Sie wissen selbst nicht, was sie tun. Sie wissen nur, dass jedes Verhalten Konsequenzen hat. Wirtschaftliche Konsequenzen. Denn dass es im Leben Werte geben könnte, die sich vom Marktwert unterscheiden, haben sie nie erfahren. Ach, arme Luise!
■ Nora Bossong: „Gesellschaft mit beschränkter Haftung“. Hanser Verlag, München 2012, 304 Seiten, 19,90 Euro
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