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Die Krümmungder Geschichte

Eiko Grimbergs Ausstellung „The Pool“ geht dem Schicksal der Moderne in der Sowjetunion und dem heutigen Russland nach

Eiko Grimberg, Bassin „Moskwa“, Intourist-Postkarte aus der Sammlung des Künstlers F.: Archiv Grimberg

Von Maik Schlüter

Die russische Band Pussy Riot provozierte mit deutlichen Worten und einer illegalen Aktion 2012 den russischen Staat. Vor allem Wladimir Putin und die orthodoxe Kirche Russlands standen im Mittelpunkt der Kritik. In der Christ-Erlöser-Kathedrale in Moskau stürmten sie für kurze 41 Sekunden den Altar und sprachen ein Punkgebet. Die Rede war von der korrupten und mafiösen Allianz zwischen dem russisch-orthodoxen Patriarchen Kyrill I. und Wladimir Putin. Dieser hat bis heute seine anscheinend unumstößliche Position auch durch ein festes Bündnis mit der orthodoxen Kirche zementiert. Die Aktion von Pussy Riot führte zu einem langen Prozess und einer Inhaftierung der beteiligten Bandmitglieder. Diese repressive Politik und Kunstfeindlichkeit der heutigen russischen Regierung spiegelt der Berliner Künstler Eiko Grimberg in einer außergewöhnlichen Ausstellung unter dem Titel „The Pool“. Unter den Vorzeichen der historischen Entwicklung von Revolution, Moderne, Stalinismus und Sowjetunion, politischer Erneuerung und dem aktuellen Rückfall in ideologische und orthodoxe Denkmuster zeigt er ein eher unbekanntes Stück jüngerer russischer Kultur-und Stadtgeschichte.

Die Christ-Erlöser-Kathedrale ist ein Neubau. Ursprünglich 1883 erbaut, wurde sie unter Stalin 1931 abgerissen und dann in den Jahren 1995 bis 2000 originalgetreu wiederaufgebaut. 1931 waren die Pläne allerdings ganz andere: Anstelle der abgerissenen Kathedrale sollte der große Palast der Sowjets entstehen, der ursprünglich Lenin gewidmet war. Aber Stalin haderte mit der Huldigung seines Vorgängers, das Projekt verzögerte sich. Im Zweiten Weltkrieg stockten die Bauarbeiten. Nach dem Krieg wurde das Projekt weiter geplant, aber nicht realisiert. Stalins Nachfolger kippte schließlich das Vorhaben. Das Fundament des Palastes war eine kreisförmige Fläche mit über 100 Metern Durchmesser. Dort ließ Chruschtschow ab 1958 ein riesiges Freibad bauen. Ein Unternehmen, das modern und visionär war. Eiko Grimberg formuliert es so: „Das Bad war State of the Art. Technik und Design waren entschieden modern. Es hätte so auch in Chicago gebaut werden können.“

Mit 130 Metern Durchmesser war das beheizte Freibad eine innerstädtischen Attraktion: Massentauglich, der Idee der sportlichen Ertüchtigung des Volkes verpflichtet und ästhetisch ganz anders als die sogenannten Stalin-Bauten. Ein modernes Projekt inmitten einer Gesellschaft, die durch die Sowjetideologie alle Anschlüsse an die Moderne der Vorkriegszeit gekappt hatte. Denn, so führt Grimberg weiter aus: „Die Moderne war in der Sowjetunion mehr oder minder als westliches und liberales Negativbild stigmatisiert.“ Das Bad ist für ihn ein Emblem der Zeit, eine Art Platzhalter für eine zerstörte Kathedrale und einen nicht gebauten Palast.

In der Ausstellung folgt er den unterschiedlichen Zeitschichten. Im Video „Investigation“ wird die Recherche zur Ausstellung sichtbar und der historische und archivarische Anteil der künstlerischen Arbeit betont. Das Schwimmbad Moskwa wurde seit 1960 für Sport- und Freizeitaktivitäten, aber auch als Cruising Area genutzt. Das ganze soziale Spektrum einer urbanen Gesellschaft spiegelte und tummelte sich in dem großen kreisförmigen Schwimmbecken. Auch ein formales Echo der Moderne taucht in der Ausstellung auf: der Kreis, der als Grundform für eine kosmische Perspektive, für die Alleinheit, die Aufhebung der scharfen Trennung von Anfang und Ende, die Lösung vom Diktat der vertikalen Konstruktion oder dem linearen Denken steht. In einer Serie von Fotografien zeigt Grimberg diese universelle Figur in unterschiedlichen Kontexten.

Dort ließ Chruschtschowab 1958 ein riesiges Freibad bauen,als modernes und visionäres Projekt

In der Projektion „Transition“ präsentiert er schließlich in unterschiedlichen Architekturansichten das heutige Moskau. Die Wandelbarkeit und Vielfalt, aber auch die Instabilität der Stadtgeschichte wird deutlich. Die mehr oder minder repräsentativen Architekturen, die Grimberg in Moskau fotografierte, erscheinen auch als Paraphrase zu Guy Debord und zeigen scheinbaren Fortschritt im geschichtlichen Stillstand.

Das Freibad wird Anfang der 1990er Jahre abgerissen. 1995 beginnt der Wiederaufbau der Christ-Erlöser-Kathedrale. Eiko Grimberg analysiert in seiner Ausstellung die Untiefen des 20. Jahrhunderts. War die Moderne zu Teilen auch ein internationales Projekt, das für Austausch und Offenheit stand, erscheint das heutige Russland als politisches und kulturelles Ödland. Die Kunst, das soziale Leben und viele kulturelle Freiheiten werden dort eingezwängt und eingeebnet. Das meinte wohl der orthodoxe Patriarch Kyrill I., als er 2012 anerkennend bemerkte: „Putin hat die Krümmung der Geschichte korrigiert.“ Eiko Grimberg zeigt, dass Kreise nicht zwangsläufig Wiederholung, Zwang oder geschlossene Systeme symbolisieren, sondern auch für Modernität, Dynamik und Richtungswechsel stehen.

Bis 18. März, Haus 1, am Waterloo-Ufer in Berlin Kreuzberg. Die Ausstellung ist ein Kooperationsprojekt des Künstlers und der Rosa-Luxemburg-Stiftung

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