: In der digitalen Warteschleife
Malte Lachmann inszeniert am Schauspiel Hannover „Quality Land“ nach dem Roman von Marc-Uwe Kling
Von Daphne Weber
Alles ist kontrolliert und vorhersehbar, von undurchsichtigen, unfehlbaren Algorithmen bestimmt. Das Einkaufsmonopol hat ein Konzernriese inne, eine Datingagentur ratifiziert ihre Kunden, um sie nach Level und Likes einander passend vorzuschlagen, und eine persönliche Software kann nach allem gefragt werden. So ist die fiktive, aber nicht ganz fiktiv scheinende Welt im neuen Roman „Quality Land“ von Marc-Uwe Kling. Am Freitag hatte eine Bühnenfassung in Hannover ihre Uraufführung.
Im Zentrum des belanglosen Lebens der Individuen in Quality Land steht ein sympathischer Lump namens Peter Arbeitsloser. Er führt eine Schrottpresse und hat die Aufgabe, kaputte Roboter zu verschrotten, was er allerdings nicht übers Herz bringt. Und so leben im bunkerartigen Hinterzimmer der Presse ein revolutionäres Touch-Pad, das keine Befehle annimmt, eine kaputte E-Poetin, ein elektronischer Strafverteidiger mit Gewissen, ein impotenter Sexroboter und ein Staubsauger mit traumatischer Belastungsstörung.
Mit ihnen verbringt Peter seine Zeit, seit er von seiner nervigen Freundin verlassen wurde: Sarah Admin, leider nicht mehr in Peters Dating-Kategorie, ist zu höheren Leveln aufgestiegen. Peter ist von der App QualityPartner herabgestuft worden. Auf Level neun. Eine Katastrophe. Denn nun ist er ein „Nutzloser“.
Es ist eine konstruierte, überall geschürte Angst in Quality Land, ein Nutzloser zu werden. Ein Nutzloser wie Peter Arbeitsloser. Sein Lebensweg ist vorprogrammiert – im wahrsten Sinne des Wortes. Peter begehrt erst gegen diese Verhältnisse auf, als er plötzlich ein Produkt geliefert bekommt, das er sich nie gewünscht hat. Das ist ungewöhnlich in Quality Land, wo doch TheShop, „der beliebteste Versandhändler“ genau weiß, was man braucht, bevor man es selbst ahnen kann.
An einer Drohne fliegt ein rosa Delfindildo auf die Bühne. Peter versucht den Dildo vergeblich zurückzugeben, aber TheShop macht keine Fehler. Dem zum Trotz macht er sich mit Kiki, die unter verschiedenen Identitäten durch Quality Land reist und ihr Geld mit Internetkriminalität verdient, aus der schmutzigen Schrottpresse zu seiner Heldenreise in die aalglatte Welt des coolen Designs und der künstlichen Intelligenz auf.
Seine Suche nach Rückgaberecht führt ihn in eine erstklassig parodierte Talkshow, weiter zum Präsidenten, der selbst ein Werk künstlicher Intelligenz ist, um perfekt regieren zu können, bis hin zum Boss von TheShop, wo er seinen Dildo zurückgibt. „Ich will das nicht!“ wird neben dem dünnen Geschwafel über künstliche Intelligenz zur befreienden Phrase des Stücks.
Geradezu antirevolutionär sind allerdings die Frauenrollen. Sie kommen in den drei klassischen Klischees daher: die künstliche Puppe in Gestalt einer Moderatorin, die naive Autorin als E-Poetin, die den Protagonisten vergöttert, und die geheimnisvolle Rebellin, die mit Hackerskills und Durchtriebenheit verführt.
Das ist eine formelle Schwäche. Inhaltlich zeigt „Quality Land“ gut jene Paradoxa, denen sich Peter ausgesetzt sieht: Er will mit seinem Problem an die Öffentlichkeit – doch da ist schon jede*r dank des sozialen Netzwerks „Everybody“. Und lustig auch, dass TheShop sein allwissendes Kundenprofil nur auf der Grundlage dessen gewinnt, was er ihm in der Vergangenheit bereits an Produkten verkauft hat. Hier erhält „Quality Land“ fast eine Adorno’sche Dimension: Der Markt schafft ein Problem und bietet die Lösung gleich mit an.
Malte Lachmann verpackt das in unterhaltsames Theater mit Musical-Elementen: Besonders köstlich ist die der Realität sehr nahekommende Warteschleife des Kundenservice von TheShop, in der sich Peter einmal befindet. Umso glücklicher ist er, als er gen Ende des Stücks eine Lieferung von TheShop erhält, bei der er nicht weiß, was im Paket verborgen ist. Fundamental durchdachte Kapitalismuskritik gibt’s nicht an diesem Abend, dafür aber eine lustige Parodie auf den derzeitigen Westler und seine digitalen Krankheiten.
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