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Bürgermeister-Nachfolge in HamburgDer große Stühle-Tausch

Personal-Rochade nach Weggang von Olaf Scholz stürzt die Stadt in Verwirrung. Mit Peter Tschentscher wird Überraschungskandidat neuer Bürgermeister.

Das neue Team: Peter Tschentscher soll Bürgermeister Olaf Scholz folgen. Melanie Leonhard wird Landeschefin, Andreas Dressel neuer Finanzsenator Foto: Axel Heimken/dpa

Hamburg taz | Gereizte Kollegen, minimale Stehfläche auf Kamera-Kabeln, als Klo nur die Unisextoilette im Keller. Über zwei Stunden mussten die Hamburger Journalisten im zugigen Foyer der SPD-Zen­trale warten, um die Bestätigung für das Gerücht zu bekommen. Selbst alte Hasen lagen falsch damit, dass der bisherige SPD-Fraktionschef Andreas Dressel Nachfolger von Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) wird. Es wird Finanzsenator Peter Tschentscher, der Mann mit wenigen Vokalen im Namen.

Diese Entscheidung soll in der Nacht zuvor in einer dramatischen Sitzung im Rathaus gefallen sein. Die Aussprache im SPD-Landesvorstand dauerte länger als geplant. Erst kurz nach 20 Uhr liefen die Genossen die Wendeltreppe runter, wie beim Catwalk an den Kameras vorbei, erst die weniger wichtigen, ganz am Schluss Scholz mit Peter Tschentscher.

Andere Ämter für Dressel und Leonhard

Der sieht sehr blass aus vor der roten SPD-Stellwand, fast möchte man ihn am Arm drücken und sagen: wird schon. Nach ihm folgt Melanie Leonhard im blauen Kleid und der alle um einen Kopf überragende Andreas Dressel. Den beiden wurde das Amt angeboten, heißt es, beide wollten nicht wegen ihrer kleinen Kinder, sagen sie.

SPD im Umfragetief

Olaf Scholz und seine SPD haben laut einer Umfrage des Politikforschungsinstituts Policy Matters im Auftrag der Wochenzeitung Die Zeit deutlich an Vertrauen verloren.

Die SPD sank in der Wählergunst: Kam die Partei bei der Bürgerschaftswahl 2015 noch auf 45,6 Prozent der Stimmen, wären es nur noch 28 Prozent, wenn an diesem Sonntag in Hamburg gewählt würde.

Der Anteil der Unzufriedenen sei im gleichen Zeitraum von 24 auf 42 Prozent gestiegen.

Der G20-Gipfel im letzten Jahr sei demnach ein wesentlicher Grund für die Unzufriedenheit.

Leonhard erinnert daran, dass sie ja 2015 schon die Sozialbehörde übernahm und nun auch noch Scholz als neue Landes-Chefin beerbt. Und Fraktions-Chef Dressel sagt, er habe das mit seiner Familie zu Hause entschieden und freue sich jetzt anstelle von Tschentscher Finanzsenator zu werden. Dass er in den Senat wechsele, sei schon länger mit Scholz abgesprochen.

Linke tauft ihn Scholz-Zwilling

Dies alles sind Vorschläge, die Personal-Rochade muss am 24. März auf einem Parteitag abgesegnet werden. Die Medien haben keine Porträts vorbereitet. Kommentatoren sprechen von einer „Sturzgeburt“. Olaf Scholz dreht es um. Es sei eine „bemerkenswerte Leadership-Leistung“, Entscheidungen erst dann zu treffen, wenn sie anstehen.

Tschentscher, von der Linken schon eilig als „Zwilling von Scholz“ getauft, tritt vor und beginnt seine Rede fast mit den gleichen Satzfragmenten wie Scholz, spricht vom „guten Regieren seit 2011“. Bürgermeister zu werden sei „eine große Ehre und eine wichtige Aufgabe, die ich sehr gerne annehme“.

Hamburg könne mit Zuversicht in die Zukunft blicken, so der Mediziner. „Aber es gibt eben viel zu tun und wir sind im vollen Lauf.“ Das wichtigste sozialpolitische Projekt sei der Wohnungsbau, aber auch gebührenfreie Kitas, sanierte Schulen und Unis sowie funktionsfähige Bezirke, Polizei und Feuerwehr. All dies benötige Wirtschaftsstärke, die sich in Hamburg seit 2011 verbessert habe. Er sehe die große Chance, Hamburg als starke Metropole und „schönsten Stadt Deutschlands“ weiter zu entwickeln, in der das Leben „für alle gut, bezahlbar und sicher ist“. Dann sagen Leonhard und Dressel ihr Sprüchlein auf.

Sorge um das A-Team

Auf den Einwurf eines Journalisten, „aber das sieht schon ein bisschen nach zweite oder dritte Wahl aus“, geht nur Scholz mit einer Schlussbemerkung ein: „Es ist immer richtig, den angesehensten Senator zum Bürgermeister zu machen“.

Noch abends laufen im Netz die Drähte heiß, versuchen sich Kommentatoren in Deutungen. Dressel bildete als Fraktionschef zuletzt gemeinsam mit Grünen-Fraktionschef Anjes Tjarks das „A-Team“, quasi das offene Ohr zur Stadt, das Volksinitiativen und anderen sozialen Gruppen zuhörte. Drum sind nicht alle begeistert vom großen Stuhltausch, auch an der SPD-Basis nicht. Tenor: Dass sie Dressel in den Senat setzen, verschlechtere die Lage für bürgernahe Politik.

Wollte der 43-jährige Jurist wirklich nicht wegen seiner drei Kinder Bürgermeister werden? Dazu gibt es verschiedene Lesarten, es herrscht gewisse Ratlosigkeit. Die einen sagen, Dressel habe mit seinem Stil sowohl Scholz als auch Leonhard nicht gepasst. Andere sagen, es sei wirklich wegen der Kinder.

Auch Tschentscher, der Mann der Zahlen, wurde nach seiner Familie gefragt. „Meine Frau“, sagt er, „ist es seit 20 Jahren gewohnt, dass ich nach Hause komme und sage, es gibt eine neue Aufgabe für mich“. Der 52-Jährige ist Vater eine fast erwachsenen Sohnes.

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1 Kommentar

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  • Die SPD nimmt die soziale Entwicklung in der Stadt einfach nicht ernst genug. Scholz setzte ganz bewusst auf die Wirtschaft, auf Investoren, baute viel zu wenige Sozialwohnungen, jetzt werden monatlich Menschen aus der Stadt verdrängt, und zwar normale Bürger, Menschen, die eine Arbeit haben, einen soliden Lebenswandel folgen - diese Leute können nicht mehr mithalten. Und wie sieht es erst in den sogenannten Brennpunkten aus? Die Frage braucht man Menschen wie Tschentscher, Leonhard, Scholz oder Dressel nicht stellen - in ihrer Welt gibt es nur Gewinner, jeder hat seine Eigentumswohnung, sein Haus im Alstertal, wer muckt da bloß auf? Die SPD folgt eigentlich der CDU, nur sie vermeidet deren Kamikaze-Stil, schließt nicht wild Verträge ab, aber beim Thema G20 und Olympiade sieht man die gleichen Fehler, die gleichen Muster. Vielleicht ist Tschentscher der Mann der Stunde, immerhin kommt er aus der Kommunalpolitik, weiß, wie Wohnungsbau funktioniert, wie vor Ort die Dinge liegen, Aber wird er das überhaupt noch reißen? Zwei Jahre sind im Wohnungsbau zwei Monate. Er müsste wirklich einen neuen Stadtteil aus dem Ärmel zaubern, um den Preisanstieg zu nivelieren und die Verdrängung von Normalhamburgern zu stoppen. Dabei könnte er ein Einsehen haben, lebt er doch selber in einem Stadtteil, wo Menschen massiv verdrängt werden, wo das Soziale an Investoren abgegeben wurde.