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Kriminologe über Unsicherheitsgefühle„Eine ver­wirrende Weltlage“

Kriminologe Nils Zurawski glaubt, dass die zunehmenden Unsicherheitsgefühle vieler Menschen nicht nur mit Kriminalität zu tun haben.

Vom zunehmenden Gefühl der Unsicherheit profitiert eine ganze Branche Foto: dpa
Friederike Gräff
Interview von Friederike Gräff

taz: Die Kriminalitätsrate sinkt stetig – und paradoxerweise zugleich das subjektive Sicherheitsempfinden. Kann man da nur mit den Schultern zucken, Herr Zurawski?

Nils Zurawski: Dieser Befund wird seit Jahr und Tag erzählt. Die Frage beim Sicherheitsgefühl ist, wovon es eigentlich abhängt.

Nämlich?

Etwa von der persönlichem Arbeitssicherheit, der allgemeinen Lebenssicherheit, Gesundheit, den Nachrichten aus der ganzen Welt. Die Polizei hat sich das Thema in den letzten 20 Jahren zu eigen gemacht und die Politik geht damit hausieren.

Das heißt, Sie finden das Thema irrelevant?

In anderen Bereichen, etwa bei der Atomkraft, haben die Politiker weniger Wert auf das Sicherheitsempfinden gelegt.

Vielleicht glauben sie heute, dass das Thema der AfD nutzt.

Privat
Im Interview: Nils Zurawski

Nils Zurawski, 49, forscht im Bereich Kriminologische Sozialforschung der Uni Hamburg.

Die Realität ist eine andere: Weder werden wir ständig auf der Straße überfallen, noch vergewaltigen marodierende Banden blonde deutsche Frauen und die aufgebrochenen Autos liegen meist in Preisregionen, die den durchschnittlichen AfD-Wähler nicht betreffen.

Aber diese Wähler, und nicht nur die, empfinden es ja anders.

Man darf nicht unterschätzen, was an Medieninformationen auf die Menschen niederprasselt und was sie auf sich niederprasseln lassen. Das für sich rational zu verarbeiten, bedarf enormer Anstrengung. Nehmen wir die Ereignisse der Kölner Silvesternacht: Ein Ereignis erscheint so, als seien es 20. Es wirkt, als sei um uns das absolute Chaos und nichts mehr beherrschbar.

Gerade ältere Menschen fühlen sich unsicher – die aber sind doch weniger im Dschungel sozialer Medien unterwegs.

Alte Leute sind am wenigsten gefährdet, Opfer von Kriminalität zu werden – aber sie werden persönlich unsicherer. Das hat damit zu tun, dass man sich in der Welt nicht mehr so flink fühlt. Am sichersten fühlen sich die kraftstrotzenden jungen Männer – obwohl sie statistisch gesehen häufiger Opfer von Straftaten sind.

Das heißt, das Sicherheitsgefühl bleibt irrational?

Das Gefühl ist schon real, aber die Gründe sind irrational. Vielleicht speist sich das Unsicherheitsgefühl aus anderen Quellen als bloß aus der Kriminalität. Beim Einbruch denken die Leute, ich baue stärkere Türen ein, das gestohlene Auto zahlt die Versicherung. Wobei Opfer werden immer eine Unsicherheit hinterlässt. Aber eine generelle Unsicherheit entsteht eher aus der Angst um den Arbeitsplatz, um die Umwelt, um eine verwirrende Weltlage.

Wie kann man der begegnen?

Menschen fühlen sich sicher, wenn sie das Gefühl haben, autonom handeln zu können. Das trägt mehr zum Sicherheitsgefühl bei als Kriminalitätsstatistiken, die mich letztlich nicht immer direkt betreffen. Aber das kann man nicht verordnen.

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6 Kommentare

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  • Sehr interessanter Vortrag auf dem c34c3 dieses Jahr zu genau diesem Thema: https://www.youtube.com/watch?v=5-OKIgpTjAo

  • Der Artikel macht es sich zu einfach. Eine sinkende Kriminalitätsrate bedeutet ja vielleicht eher, dass Menschen Dinge nicht mehr zur Anzeige bringen, weil sie ohnehin wissen, dass keine Bearbeitung /Strafe folgt. Und vieles kann man gar nicht zur Anzeige bringen, wie Menschen, die einen bedrängen oder einfach durch Habitus und Menge Angst verbreiten. Schade, dass solche Ansätze in dem Artikel nicht vorkommen.

    • 7G
      75064 (Profil gelöscht)
      @püppi von Wegen:

      Eine niedrigere Anzeigequote kann man natürlich vermuten, sie lässt sich jedoch derzeit nicht belegen. Vielmehr lässt die ständige Diskussion über die (mangelnde) Sicherheit die Menschen sensibler werden; sie rufen häufiger, nicht seltener, die Polizei, was die polizeilichen Einsatzstatistiken belegen. Über die Frage, was man dagegen tun kann, dass Menschen Angst vor fremden Menschen oder Situationen bekommen, könnte man aber in der Tat nachdenken. Das allerdings hat, wie im Artikel beschrieben, nun mal nichts mit Kriminaltität zu tun.

      • @75064 (Profil gelöscht):

        Das ist das Problem, dass unser Recht in grossen Teilen eher ein Recht des/der stärkeren ist. Wenn sich schwächere dann eben nicht mehr oder weniger in den öffentlichen Räumen aufhalten oder bestimmte Orte meiden taucht das vielleicht in keiner Kriminalstatistik auf, es gehört aber eben dazu sich auch für die schwächeren zu interessieren und zwar jeder Ethnie und jeden Geschlechts, nur so funktioniert eine gelebte Demokratie.

        Und dann wäre da noch die Frage ob die Diskussion über mangelnde Sicherheit der Grund für mehr Anrufe bei der Polizei ist, oder ob es tatsäschliche Vorfälle sind, gibt das die Statistik her ?

        • 7G
          75064 (Profil gelöscht)
          @püppi von Wegen:

          Ich will nicht sagen, dass die Vorfälle nicht echt sind aber es passieren weniger Stratftaten, dafür mehr Ereignisse, die die Menschen "irgendwie" beunruhigen und natürlich, wie man in der kürzlich veröffentlichten Statistik nachlesen konnte, mehr Verkehrsunfälle mit Sachschaden.