: Die S-Bahn denen, die drin fahren
Als die S-Bahn vor Jahren im Chaos versank, wurde klar: Das Land ist dem DB-Konzern, der beim zweitwichtigsten Nahverkehrsunternehmen Berlins die Fäden in der Hand hält, quasi ausgeliefert. R2G will das ändern
Von Claudius Prößer (Text) und Karsten Thielker (Fotos)
Vor sechs Jahren twitterte der Internet-Erklärer Sascha Lobo den „kürzesten Witz der Welt“. Der, so Lobo, komme aus Berlin und laute: „Mit der S-Bahn zum Flughafen.“ Jüngeren und seither Zugezogenen muss man inzwischen erklären, warum der Teil mit der S-Bahn überhaupt witzig sein soll: So lange ist das legendäre Chaos auf Schienen jetzt schon wieder her.
2009 hatte es mit einem Unfall begonnen: Wegen einer gebrochenen Radscheibe war eine S-Bahn entgleist. Es stellte sich heraus, dass die Züge zu selten geprüft worden waren. Als man das nachholte, fielen massenhaft Bahnen aus – und das jahrelang, weil herauskam, dass die Achsen nicht sicher waren und ersetzt werden mussten. Für Fahrgäste bedeutete das endloses Warten und Fahren im Sardinenbüchsen-Modus. Erst fünf Jahre später traute sich Peter Buchner, Geschäftsführer der Betreiberfirma S-Bahn Berlin GmbH, ein „Ende der Krise“ zu verkünden.
Wenn heute große Teile der rot-rot-grünen Koalition Pläne schmieden, wie man die Berliner S-Bahn zumindest teilweise kommunalisieren, also in Landeseigentum überführen kann, ist das auch dem Trauma jener Jahre geschuldet. Man werde alles tun, um künftig nicht mehr vom arroganten und profitorientierten Riesen Deutsche Bahn (DB) erpressbar zu sein, schworen sich damals viele PolitikerInnen. Die S-Bahn GmbH, nach der BVG Berlins zweitwichtigster öffentlicher Verkehrsträger, ist eine 100-prozentige DB-Tochter – und der Senat hatte in der Krise keine Chance, den Vertrag mit dem Unternehmen zu kündigen.
Denn auf Berlins S-Bahn-Netz können nur Berliner S-Bahn-Züge fahren. Das hat technische Gründe: Im Gegensatz zu fast allen anderen deutschen S-Bahnen fährt die Berliner mit Gleich- statt mit Wechselstrom. Auch das Wagenprofil ist kleiner: Andere Fahrzeuge würden gar nicht durch den zentralen Nord-Süd-Tunnel zwischen den Bahnhöfen Humboldthain und Yorckstraße passen. Da der S-Bahn GmbH der Bestand an Fahrzeugen gehörte (und weiterhin gehört), konnte sie im Prinzip machen, was sie wollte.
Als nun im Januar der verkehrspolitische Sprecher der Linken-Fraktion, Harald Wolf, forderte, das Land solle einen kommunalen Fahrzeugpool aufbauen, und die SPD-Fraktion diese Forderung kurz darauf bekräftigte und sogar ein landeseigenes Unternehmen als Betreiber dieser Fahrzeuge ins Spiel brachte, war das eigentlich nicht überraschend: Schon in die Koalitionsvereinbarung hatten SPD, Linke und Grüne geschrieben, man wolle die Schaffung eines landeseigenen Fahrzeugpools prüfen, um die „Abhängigkeit von einem/r einzelnen Betreiber*in zu verringern“, „mehr Einfluss auf die Qualität des S-Bahn-Verkehrs zu erreichen und die Kosten zu senken“. Auch wolle man untersuchen, ob das Land von der DB Anteile an der S-Bahn Berlin GmbH erwerben könne.
Von Letzterem ist vorerst nicht mehr die Rede – da stehen die Chancen einfach zu schlecht. Denn für die Bahn läuft es seit der Überwindung der Krise wieder wie geschmiert: Die Gleise, die Bahnhöfe, die Fahrzeuge und das Personal – die DB hat alles in der Hand und lässt sich die erbrachten Leistungen gut bezahlen. So etwa bei der Ringbahn, einem der drei S-Bahn-Teilnetze, die nach EU-Vergaberecht inzwischen separat ausgeschrieben werden müssen. Der Betrieb des Rings sowie der dazugehörigen Süd-Ost-Strecke nach Schönefeld und Königs Wusterhausen ging 2015 am Ende eines jahrelangen Verfahrens wieder an die S-Bahn Berlin GmbH – andere, internationale Bewerber waren am Ende alle abgesprungen: Uu komplex war die Aufgabe, und dann gehörten der S-Bahn GmbH ja auch die Züge. Jeder Konkurrent hätte erst einmal berlintaugliche Fahrzeuge bauen lassen müssen. Zwar muss auch die S-Bahn GmbH neue Züge für den Ring kaufen, aber die bei einem Konsortium von Siemens und Stadler in Auftrag gegebenen 190 Doppelwagen kommen erst ab 2021 peu à peu zum Einsatz. Bis dahin rollen weiterhin Altfahrzeuge, zum Teil noch aus dem VEB Lokomotivwerk „Hans Beimler“.
Für die S-Bahn GmbH zahlt sich das Monopol aus: „Beim Teilnetz Ringbahn kommt der neue Vertrag das Land eher teurer als der alte“, sagt Christian Böttger, Professor für Verkehrswesen an der Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft. Dass die Senatsverkehrsverwaltung mittlerweile ein „Markterkundungsverfahren“ gestartet hat, um alle möglichen Betreibervarianten auszuloten, findet Böttger deshalb gut, und einen vom Betrieb getrennten Fahrzeugpool hält er für eine ausgezeichnete Idee: „Er würde dem Land den Zugriff auf die Fahrzeuge bei einem Betreiberwechsel ermöglichen – ob der nun regulär erfolgt oder wegen Unzuverlässigkeit und Vertragsverletzung.“
Aber sollte dieser Fuhrpark wirklich den BerlinerInnen gehören? Da ist Böttger skeptisch: „Ein Pool im Eigentum des Landes bedarf auch der Finanzierung durch das Land und ist damit relevant für den Schuldenhaushalt.“ Wenn dagegen ein Dritter die Fahrzeuge finanziere, müsse man den Zugriff auf die Züge eben vertraglich absichern. Und: „Bei Organisationen im Eigentum des Landes besteht zudem das Risiko, dass die Spitzenposten zur Versorgung von Parteifreunden genutzt werden. “ Linke und Sozialdemokraten sehen das – wenig überraschend – anders. „Dass landeseigene Gesellschaften zur Endlagerung von Politikern genutzt wurden, die Zeiten sind doch lange vorbei“, sagt Harald Wolf. Er hält einen kommunalen Fuhrpark für geeignet, das Bahn-Monopol aufzubrechen, und darüber hinaus auch noch für die günstigste Lösung: „Ein Privater hat schlechtere Finanzierungskonditionen als das Land, und er will seine Gewinnmarge. Da wird die ganze Veranstaltung wesentlich teurer.“
Genau genommen sind die Finanzierungsbedingungen für das Land ausgezeichnet: Mit 2,16 Milliarden hat es gerade einen beispiellosen Haushaltsüberschuss eingefahren. Von diesem, so Wolfs Vorschlag, könne es einen niedrigen dreistelligen Betrag zur Seite legen. Wenn man das jährlich täte, könne man das Geld für den Kauf von S-Bahn-Fahrzeugen so ansparen. Bei seiner Klausur am vergangenen Dienstag hat der Senat dann genau das getan: 113 Millionen Euro aus dem Überschuss wurden für die S-Bahn in das Siwana-Sondervermögen, den großen Topf für Investitionen in die Infrastruktur, gesteckt.
Was genau damit geschieht, wird sich zeigen. Einen landeseigenen Fahrzeugpool finden alle drei Koalitionspartner gut, vor allem die SPD will aber noch mehr. Wie ihr Abgeordneter Daniel Buchholz im taz-Interview bekräftigt (s. unten), soll es eigentlich gar keine Aufsplitterung von Betrieb und Fahrzeugen geben, sondern alles an ein landeseigenes Unternehmen gehen, ganz ohne Ausschreibung. In jedem Fall, so die offizielle Position der SPD-Fraktion, sei es falsch, die einzelnen wirtschaftlichen Bereiche zu trennen. Das sorge für Unübersichtlichkeit und – das Risiko schlechterer Tarifkonditionen für Teile der Beschäftigten. Nahverkehrs-Experte Christian Böttger meldet da Zweifel an: „Der Staat ist nicht immer der effizienteste Leistungserbringer“, sagt er, „private Wettbewerber können da Kostenverbesserungen bringen.“ Im Haus von Verkehrssenatorin Regine Günther (parteilos, für Grüne) gibt man sich ohnehin sehr zurückhaltend in Bezug auf die politische Stoßrichtung. Sprecher Matthias Tang sagt, man recherchiere erst einmal „alle Fakten“, um „seriös zu entscheiden, welches Modell am besten für einen langfristig zuverlässigen und hochwertigen S-Bahn-Verkehr zu wirtschaftlichen und marktüblichen Konditionen geeignet ist“. Die Markterkundung für die Beschaffung neuer Züge habe man jetzt gestartet, damit „ab Mitte der 20er Jahre genügend Züge verfügbar sind, um die alten Baureihen zu ersetzen und den wachsenden Bedarf durch neue Strecken und Taktverdichtungen decken zu können“ – und zwar „egal, wer am Ende den Betrieb der S-Bahn übernimmt“.
Dass Tang mit den neuen Zügen recht behält, hofft der Berliner Fahrgastverband Igeb inständig. Zur politischen Debatte über Eigentumsfragen verhält sich der Verband neutral, schlägt aber Alarm, was den zeitlichen Ablauf betrifft: Es gebe „kein einziges gutes Argument, die Entscheidung weiter zu verzögern“, heißt es vom Igeb. Dessen Horrorszenario: Wenn um das Jahr 2025 der neue Verkehrsvertrag für Stadt- und Nord-Süd-Bahn anläuft, muss der künftige Betreiber mit im Schnitt 30 Jahre alten Zügen fahren. Ein neues S-Bahn-Chaos könnte dann nur eine Radumdrehung entfernt sein.
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