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Korrekturen auf dem Kirchhof

Über Bürgerversicherung und Arbeitsplätze, Ökologie, Ökonomie und Wettbewerb: Die rot-grünen SpitzenkandidatInnen Ortwin Runde (SPD) und Krista Sager (GAL), die einst gemeinsam Hamburg regierten, im taz-Gespräch zur Bundestagswahl

Moderation:Sven-Michael Veit

taz: Rot-Grün hat Wählervergrämung betrieben. Können Sie überzeugend Wahlkampf machen, ohne sich von der eigenen Politik zu distanzieren?

Krista Sager: Selbstverständlich. Ich stehe zu der Politik, die wir gemacht haben und kann damit sehr gut Wahlkampf machen. Es gibt ja auch noch ein paar Dinge zu tun, zum Beispiel die Solidarität in der Krankenversicherung auf eine breitere Grundlage zu stellen. Dafür wollen wir die Bürgerversicherung, in der die Starken in der Gesellschaft mehr Lasten tragen als die Schwachen. Wir sind uns nach langen Debatten in der Koalition einig, dass alle BürgerInnen und alle Einkommensarten in die Finanzierung der Krankenversicherung einbezogen werden müssen, um die Sozialsysteme stabiler und zugleich gerechter zu machen.

Ortwin Runde: Ich habe keine Probleme, die rot-grüne Politik der vergangenen drei Jahre mit Verve und mit Inhalten zu begründen. Nehmen wir ein anderes Beispiel: die Energie. An der gegenwärtigen Diskussion über Erdöl und Benzinpreise sehen wir ja, wie richtig unsere Politik war, die erneuerbaren Energien zu fördern. Das hat nicht nur Arbeit geschaffen, das hat auch Innovationen ermöglicht.

Und inzwischen ist es so, dass zum Beispiel China, eine der großen Wachstumsregionen der Erde, hoch interessiert ist an deutscher Technologie für Wind- oder Sonnenkraft. Das ist ein ökologisch und ökonomisch hoch wichtiges Feld, auf dem Rot-Grün frühzeitig das Richtige gemacht hat. Im Wahlprogramm der CDU hingegen taucht das Thema Umwelt gar nicht erst auf.

Sager: Da muss ich natürlich darauf hinweisen, dass die Grünen da gerne noch schneller und entschiedener voran wollten als die SPD. Wichtig ist aber, dass wir den Koalitionspartner überzeugen konnten, das gemeinsam zu einem Erfolgsmodell zu machen. Was aber mit der CDU droht, ist eine doppelte Rolle rückwärts.

Zum einen soll die Unterstützung der erneuerbaren Energien zurückgefahren werden, und das gefährdet auch Arbeitsplätze, vor allem im Mittelstand. Und zweitens droht die Wiederbelebung einer Risikoenergie, der Atomkraft. Dafür gibt es keine Mehrheit in der Bevölkerung und in Hamburg schon gar nicht. Der Ressourcenverbrauch mit steigenden Rohstoffpreisen wird zu einem der größten wirtschaftlichen Probleme werden, nicht nur beim Öl. Die politische Konkurrenz ignoriert das völlig.

Runde: Für die internationale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands sind Energieeffizienz und Materialeffizienz außerordentlich wichtig, und das hat auch viel zu tun mit Innovation und Qualität von Arbeit. Da kann man nicht nur wie Union und FDP über Lohnkosten reden, sondern muss auch über Produktqualität sprechen. Immerhin ist Deutschland unter der rot-grünen Regierung wieder Exportweltmeister geworden.

Klingt nach rot-grüner Friede-Freude-Eierkuchen-Agenda.

Runde: Es ist in der Tat ein fairer und konstruktiver Umgang in der Koalition. Aber natürlich gibt es auch programmatische Positionen, über die wir in der Koalition lange diskutiert haben, um sie zu verändern. Heute beantworte ich zum Beispiel die Frage, Kindergeld erhöhen oder mehr Betreuungsangebote schaffen, anders als früher. Nämlich für den Ausbau von Kindertagesstätten und von Ganztagsschulen.

Sager: Wir haben das Kindergeld bereits deutlich erhöht und stehen damit inzwischen an zweiter Stelle in Europa. Zudem haben ein vier Milliarden Euro teures Programm aufgelegt zum Ausbau von Ganztagsschulen und das Tagesbetreuungsausbaugesetz gemacht, damit vor allem junge Frauen und Familien Kinder und Beruf besser vereinbaren können. Der nächste Schritt wird sein, dass wir einen Rechtsanspruch auf Betreuung schaffen auch für die Kinder, die jün-ger als drei Jahre sind. Das muss jetzt Vorrang haben.

Hat sich Rot-Grün mit dieser Hartz-IV-Harmonie die Linkspartei selbst herangezüchtet?

Sager: Wir haben notwendige Reformen durchgeführt, um den Sozialstaat zu bewahren und zukunftsfest zu machen. Allerdings wurden die Menschen zu wenig darauf vorbereitet. Die Linkspartei.PDS ist in Wirklichkeit konservativ, weil sie vor Veränderungen den Kopf in den Sand steckt und zum Beispiel die Veränderung der Altersstruktur in der Gesellschaft nicht zur Kenntnis nehmen will. Der Effekt ist: Wer die Linkspartei.PDS wählt, wird Angela Merkel bekommen. Die sind letztlich die Steigbügelhalter von Schwarz-Gelb.

Runde: Und vieles, was Rot-Grün an zusätzlichen sozialen Elementen wollte, ist durch die Blockade der Union im Bundesrat verhindert worden. CDU und CSU haben zum Beispiel die 10 Euro Praxisgebühr erzwungen, übernehmen jetzt aber nicht die Verantwortung dafür.

Dumm gelaufen: Rot-Grün steckt die Prügel ein, die Linken verweigern sich und die CDU wird an der Wahlurne vermutlich auch noch belohnt.

Runde: Wir haben den Mut gehabt, notwendige Maßnahmen zu ergreifen. Das Ergebnis bei der Wahl könnte jetzt ein fatales sein. Aber nichts zu tun, wäre unverantwortlich gewesen. Es gibt sicher ein Problem mit der sozialen Balance, das aber hat die Union so gewollt. Beispiel Spitzensteuersatz: Wir gingen mit 45 Prozent in die Verhandlungen mit der Union, am Ende wurden es 42 Prozent. Und jetzt wollen die sich selbst überholen mit Kirchhofs 25-Prozent-Flatrate. Das ist fast schon makaber.

Sager: Die wichtigsten Gerechtigkeitsfragen sind die frühkindliche Förderung und der Zugang zu Bildung sowie die Förderung von Forschung, Entwicklung und Innovation. Und da läuft das CDU-Konzept in allen Bereichen darauf hinaus, Zugangschancen zu privatisieren. Und dann kommt man zu höheren Gebühren für die Kinderbetreuung und zur Einführung von Gebühren für Vorschulen und Universitäten. Das sehen wir doch jetzt schon hier in Hamburg, was Deutschland unter einer CDU-Regierung blüht.

Verstehe ich das richtig, dass Rot-Grün im Falle eines Wahlsieges genauso weitermachen wird, wie bisher?

Sager: Im Grundsatz ja, aber ein paar Dinge werden wir sicher ändern. Die Lohnnebenkosten sind eben nicht das primäre Problem im industriellen Bereich, dort entscheiden Produktivität und Innovation über die Wettbewerbsfähigkeit. Wir müssen aber die Chancen derjenigen mit niedriger Qualifikation verbessern, deren Arbeitsplätze weggefallen sind, und da ist neben Weiterbildung und Qualifizierung die Subventionierung und gezielte Senkung der Lohnnebenkosten bei kleineren Einkommen bis 2.000 Euro sinnvoll.

Runde: Das SPD-Wahlprogramm deutet ja bereits die Richtung an. Korrekturen bei der Arbeitsmarktpolitik, etwa höhere Zuverdienstmöglichkeiten für Hartz-IV-Empfänger, sind notwendig. Auch bei der Pflege müssen wir etwas tun. Wenn die Gesellschaft immer älter wird, steigen hier die Bedarfe, und dann darf man nicht die Pflegeversicherung unter das Diktat der Lohnnebenkosten stellen, das würde nicht funktionieren. Da müssen wir differenzierte Ansätze entwickeln und eben auch Arbeitsplätze schaffen.

Sager: In dieser Richtung haben wir ja bereits einiges auf den Weg gebracht, um die Kommunen zu entlasten. Die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe hat da viel gebracht ...

Runde: 2,5 Milliarden Euro ...

Sager: Und die Senkung der Gewerbesteuerumlage dient ebenfalls dazu, die Kommunen wieder handlungsfähiger zu machen, damit sie wieder mehr investieren. Große Wachstumsbereiche bei der Beschäftigung werden Erziehung, Bildung und Pflege sein, das aber setzt einen handlungsfähigen Staat voraus.

Wenn es nach der Bundestagswahl keine klare Mehrheit geben sollte, was passiert dann? Große Koalition, Herr Runde? Schwarz-Gelb-Grün, Frau Sager?

Runde: Wir kämpfen für Rot-Grün, andere Überlegungen gibt es nicht.

Sager: Wir ebenfalls, und wer uns wählt, kann sich aber auch darauf verlassen, dass die Grünen Angela Merkel nicht zu Kanzlerin machen werden.

Also ein Linksbündnis?

Runde: Das ist in keiner Hinsicht machbar.

Sager: Völlig ausgeschlossen.

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