: Alltag im Abseits
Die Wahlhamburgerin Myriam Keil hat mit „Das Kind im Brunnen“ einen märchenhaften und angenehm sperrigen Debütroman über den Mut geschrieben, sich einer schmerzlichen Vergangenheit stellt
Von Frank Keil
Irgendwas lauert. Das geht doch nicht gut aus, denkt man, nachdem man die erste Seite gelesen hat. Und falls doch, dann hat sie bestimmt einen langen, beschwerlichen Weg zu gehen – Iris, die, nun ja, etwas schwierige Heldin in Myriam Keils Debütroman „Das Kind im Brunnen“. Schwierig, weil sie spröde ist: kantig, bedrückt und verletzt – wer ihr zu nahe kommt, den weist sie schnell zurück. Iris lebt allein, vielleicht liegt es daran; arbeitet im Amt, im Büro, wo es Kollegen gibt, die keine Freunde sind und die man doch den lieben, langen Tag um sich hat. Die einen kennen, ohne einen wirklich zu kennen.
Aber nichts bleibt, wie es ist. Ein Verlobungsring wird eine tragende Rolle spielen, den Iris auf einem Waldweg findet und den sie sich über den Ringfinger streift, als würde er zu ihr gehören; den sie wieder abstreift, weil er ihr eben nicht gehört. Sondern – ja, wem? Was ist passiert? Und lässt sich das nicht herausfinden?
Es ist Büromittagszeit in einem Teil der Stadt, in dem die Straßen überquellen mit Büromenschen. In welchem der umliegenden Kästen aus Beton, Stahl und Glas sie selbst sitzt und arbeitet und so ihr Geld verdient, das lässt Myriam Keil offen. Nur dass sie sich eben auskennt in Iris’Welt, einerseits: „Ich wollte die ganze Person in ihrem Leben darstellen, auch mit der Arbeit, die sie hat und die nichts Besonderes ist“, sagt sie. „Ich finde es schön, wenn die alltäglichen Dinge auch alltäglich erscheinen, ohne dass sie deswegen langweilig sind.“ Und dass man in dieser Welt des Alltäglichen mit dem Eintritt und Eintreffen des Besonderen eben besonders sorgsam umgehen müsse.
Entsprechend lange hat Keil am Iris-Ring-Stoff gearbeitet, eine erste Fassung schon vor rund 15 Jahren geschrieben. Wie das alles begann mit ihr und dem Schreiben? Da fängt sie ganz von vorn zu erzählen an: Mit fünf Jahren habe sie schon wilde Geschichten erfunden, habe mit dem Tonbandgerät des Vaters die Abenteuer, die sie mit ihren Stofftieren erlebt habe, aufgezeichnet. Dass ihr Vater literarisch unterwegs ist, als Pfälzer Mundartdichter, möchte sie dabei nicht überbewerten. In der Schule aber habe ein Lehrer ihr Talent gefördert und sie habe öfter vor der Klasse Geschichten vortragen dürfen.
Der Faden reißt erst mal ab, als die Familie Pirmasens verlässt und in die Nähe von Mannheim zieht; da ist sie neun Jahre alt und geht in die dritte Klasse. „Ich habe dann wieder mit 15 Jahren schlechte Gedichte geschrieben, weil ich dachte, Gedichte müssten sich reimen; heute würde ich die niemandem mehr zeigen“, sagt sie. Doch auch diese Phase übersteht Keil, findet Gefallen an Kurzprosasequenzen, probiert sich aus, macht das Abitur, geht danach zwischendurch nach Münster zum Studium und kehrt in die Pfalz zurück.
Erst mal alles gut, nur mit dem Schreiben hakt sie fest: „Ich war sehr verzweifelt, weil ich keinen Austausch hatte“, sagt sie. Doch der Zufall – der in ihrer Erzählwelt eine durchaus wichtige Rolle spielt und dessen Kraft ihre Protagonisten vertrauen und manchmal auch vertrauen lernen, hilft schließlich weiter, 1997 ist das: „Ich habe eines Tages im Magazin Zillo, das damals in der Indie-Szene recht bekannt war, eine Kleinanzeige geschaltet: einen Minitextauszug und meine E-Mail-Adresse, mehr nicht. Ich dachte: Wenn jemand die Art, wie ich schreibe, versteht, dann wird er wissen, was zu tun ist.“
Eine einzige Antwort erhält sie, von jemand aus Frankfurt, der gerade die erste Ausgabe einer neuen Literaturzeitschrift vorbereitet. „Seelenkrater“ hieß die – und das habe gut gepasst zu dem, was sie damals schrieb. Und erste Veröffentlichungen folgen. Drei Jahre später sorgt eine berufliche Abordnung dafür, dass sie nach Hamburg kommt, und Hamburg sorgt dafür, dass sie bleibt. Hier findet sie Kontakt zu einer ersten Schreibgruppe, hat erfahren, dass es Literaturwettbewerbe und entsprechende Preise gibt.
Darauf gewissermaßen „hinzuschreiben“, zielstrebig und konzentriert, scheint ihr zu liegen: Oft wird sie nominiert, gehört zu den Finalisten. Und ebenso oft auch klappt es am Ende: Zweimal bekommt sie den Förderpreis für Literatur der Stadt Hamburg, dazu den Martha-Saalfeld-Förderpreis des Landes Rheinland-Pfalz und den Literaturpreis Prenzlauer Berg. Der Förderpreis des Inselschreiber-Stipendiums verhilft ihr schließlich zu einem Residenzaufenthalt auf Sylt, nach Mallorca kommt sie dank des gleichnamigen Stipendiums der Hamburger Kulturbehörde.
Zwei Lyrikbände sind in dieser Zeit erschienen, ein Band mit Erzählungen, auch ein Jugendbuch über das heikle Thema Amoklauf in einer Schule, das ihr viel Anerkennung eingebracht hat. Und nun eben ein erster Roman – zwei weitere halten sich bereit, verrät sie noch. Und lächelt und muss nun wieder ins Büro und lässt einen zurück mit einem Stoff, der so schön switcht zwischen knarriger Büroatmosphäre und auch märchenhafter Sinnsuche und der auf seine Weise selbst ganz eigen ist. Wie Iris. Wie der Ring. Wie der Brunnen, in den Iris am Ende klettern muss.
Myriam Keil: „Das Kind im Brunnen“, Septime-Verlag, 2018, 200 S., 20 Euro
Lesung gemeinsam mit Gudrun Hammer am Do, 8. 2., 19.30 Uhr, Literaturhaus
Frank Keil ist mit Myriam Keil weder verwandt noch verschwägert
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