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Kohl patentiert

Jahrelang tüftelte Hubert Nickels an einer besonders gesunden Variante des Sauerkrauts. Sie wird im „Kohlosseum“ vermarktet

Auch das Sieb ist patentiert: Hubert Nickels mit seiner Entwicklung Foto: Esther Geißlinger

Von Esther Geißlinger

Kohl schneiden, salzen, luftdicht abschließen, abwarten, fertig ist das Sauerkraut – das Verfahren ist uralt. In der industriellen Produktion wird das frische Kraut dann in der Regel pasteurisiert, also auf bis zu 90 Grad erhitzt, um die Milchsäurebakterien abzutöten.

Das muss anders gehen, dachte sich Hubert Nickels. Jahrelang machte er Versuche, die mit der patentierten Reife im Glas endeten. Der heute 76-jährige „Krautmeister“ produziert und vermarktet seine Produkte von Sauerkraut bis Kohlschnaps in dem von ihm gegründeten „Kohlosseum“. Die Minifa­brik mit angeschlossenem Museum lockt jedes Jahr Zehntausende Besucher nach Wesselburen in Dithmarschen.

Der große Ziegelbau liegt an der Hauptstraße des 3.000-Einwohner-Ortes. Hier kommen Urlauber auf dem Weg an die Nordsee vorbei, aber vor allem liegt das Gebäude inmitten großer Gemüsefelder. Zuckerrüben wurden in der Region angebaut, als die Fabrik 1860 errichtet wurde. Ab 1910 stellte der Betrieb von Zuckersirup auf Konserven um.

Dithmarschen entwickelte sich zum Kohlanbaugebiet. Heute ist es mit 80 Millionen Köpfen Jahresertrag das größte Anbaugebiet in Europa. So lag es nahe, dass der Familienbetrieb Philipp, der die Wesselburener Fabrik 1950 kaufte, sich auf Sauerkonserven spezialisierte.

Hubert Nickels, Bauernsohn aus Averlak bei Brunsbüttel, kam als Maschinenschlosser in den Betrieb. „Aber wenn man irgendwo als Azubi war, bleibt man immer der Kleine“, sagt er. Also hängte er ein Studium an, wurde Lebensmitteltechniker und Mikrobiologe – und kam später als Betriebsleiter in die Konservenfabrik zurück, in der in Spitzenzeiten 120 Beschäftigte arbeiteten. Doch 1995 schloss die Fabrik.

Nickels, damals 58, hätte in Rente gehen können. Aber die Idee, das Gemüse auf andere Weise haltbar zu machen, beschäftigte ihn weiter. Sauerkraut entsteht durch Milchsäure-Gärung, einen natürlichen Prozess, den die Menschheit seit der Steinzeit nutzt. Wird die Konserve erhitzt, stoppt der Gärprozess. Das Kraut bleibt lange haltbar, aber es gehen auch Nährstoffe der Milchsäure verloren.

Nickels tüftelte an Alternativen. Die Arbeit machte er anfangs zu Hause in der Garage, doch da reichte der Platz bald nicht mehr aus: „Ich bin ein guter Hin- aber ein schlechter Wegräumer“, sagt er.

So mietete er die leer stehende Fabrik, die ein Hamburger Investor gekauft hatte. Mit einer Mitarbeiterin machte er weiter. Nickels entwickelte ein Glas mit einem Spezialverschluss. Das Besondere daran: Die Gummidichtung, die in Itzehoe hergestellt wird, lässt Gas austreten, das bei der Gärung entsteht, aber keinen Sauerstoff von außen herein. Ein patentiertes Plastiksieb, das in das Glas eingesetzt wird, sorgt bei der Gärung für den nötigen Druck.

Die Maschinen, die Nickels und seine Mitarbeiterin während der Entwicklungsphase benutzten, gibt es bis heute. Sie stehen in der „Krautwerkstatt“ im Kohlosseum. Hier führt Nickels die Sauerkrautproduktion vor und lässt die Gäste seine Eigenkreationen probieren. Die Massenproduktion läuft nebenan auf größeren Maschinen. 100.000 Gläser laufen inzwischen pro Jahr vom Band.

Die Bioware – die Kohlköpfe stammen von Öko-Bauern aus der Region, das Salz aus der Saline in Göttingen – wird in Läden der Region und im eigenen Shop vertrieben. Verkauft werden klassisches Sauerkraut, gemischtes Gemüse, Krautsalate, aber auch Salben und Schnaps auf Kohlbasis.

18 Personen sind in Produktion und Verkauf beschäftigt. Seit 2011 ist Wilken Boje Geschäftsführer des Kohlosseums. Nickels ist weiter im Haus. Er führt mehrmals in der Woche seine Krautproduktion vor.

Im Obergeschoss ist ein Regionalmuseum untergebracht, das von einem Förderverein betrieben wird. Es zeigt landwirtschaftliche Geräte, eine Schmiede, eine Dorfschule und eine Imkerei. Schaubilder erklären den Wandel der Landschaft. Im benachbarten „Kohlsaal“ lachen die Kohlregentinnen der vergangenen Jahre auf großen Fotos von der Wand.

Ein Grund für die überregionale Bekanntheit der Minifabrik ist der Name. Den erfand ein ehemaliger Mitarbeiter der alten Fabrik, der sich mit weiteren Exkollegen regelmäßig traf und Nickels bei seiner Tüftelei zuschaute. Als Nickels im kleinen Stil den Betrieb wieder aufnahm und es um einen Namen ging, sprang einer der alten Kumpel vom Stuhl auf und rief: „Ick hev dat! Kohlosseum!“

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