piwik no script img

Korpsgeist kontra Aufbegehren

PARALLELGESCHICHTEN „Policeman“ erzählt die Geschichte eines Polizisten und einer Revolutionärin in Israel und beschreibt dabei soziale Konflikte in Israel

VON GASTON KIRSCHE

Nadav Lapids erster Langspielfilm ist kein klassischer Polizeifilm. Aber: Er ist es auch – und streckenweise ein Kammerspiel, auch ein Rebellionsdrama. „Policeman“ oder „Ha-shoter“, so der hebräische Originaltitel, ist vor allem ein in seiner Widersprüchlichkeit bis zum plötzlichen Zerreißen spannendes Drama über zwei absolut gegensätzliche Möglichkeiten, mit der zunehmenden sozialen Polarisierung im heutigen Israel umzugehen. Dabei zeigt der Film angenehm genau – dank der exzellenten Kameraführung von Shai Goldman – die Protagonistinnen, aber distanziert. Auf Filmmusik wird weitgehend verzichtet, die Zuschauenden werden nicht emotional gelenkt.

Eine Gruppe von Männern fährt zackig auf Rädern eine Straße hoch, die sie in voller Breite ausfüllen. Steiler Anstieg? Kein Problem! Rundherum karge Berge. Sie halten an, rufen laut ihre Namen in die Schluchten. Sie sind präsent, sie sind stark und raumgreifend. Yaron ist einer von ihnen. Ein „Polizeikämpfer“, wie er sagt. In einem Café legt er seine schwere Pistole auf den Tisch, um eine junge Frau damit zu beeindrucken. Erst als er erfährt, dass sie erst 15 ist, hört er auf, sie mit seinem Machogehabe anzubaggern. Zu Hause liegt seine Frau auf dem Sofa, hochschwanger, kurz vor dem Stichtag. Er ist stolz darauf, Vater zu werden. Fürsorglich massiert er seine Frau zur Geburtsvorbereitung. Seine Kollegen applaudieren, als er erzählt, dass ihr Baby jetzt jeden Tag kommen kann. Auch in seiner Freizeit ist er mit den Kollegen aus der Spezialeinheit der Polizei zusammen. Sie sind es, die zusammen den Berg hochgefahren sind. Schulterklopfen, wenn sie sich treffen, kräftige Umarmungen. Aus Spaß wird ein Ringkampf veranstaltet. Nur ein Kollege, Ariel, ist kein kraftstrotzender Kerl (mehr). Er hat Krebs im fortgeschrittenen Stadium.

Charakteristisch für den in Gegensätzen erzählenden Rhythmus des Films: Einem endenden steht einem bald ein beginnendes Leben gegenüber. Ariel nimmt bei Ermittlungen gegen die Polizeieinheit alle Schuld auf sich. So haben sie es abgesprochen: Gegen einen Kranken werden sie schon nicht prozessieren. Schuldbewusstsein? Keine Spur. Bei einem Einsatz haben sie mehrere Angehörige einer arabischen Familie getötet. Darunter einen fünfjährigen Jungen. The fight must go on. Keine Zweifel, nur eine von Kamaraderie gekennzeichnete Abwehr der Ermittlungen durch die Justiz.

„Policeman“ zeigt ihn, den Korpsgeist. Auch wenn er in Israel angesichts der realen Bedrohung durch palästinensische TerroristInnen nahe liegender erscheint als in Deutschland, ist die Mächtigkeit dieses männerbündischen Gehabes erschreckend. Die Tonspur trägt dass ihrige dazu bei: Das Schulter- und Rückenklopfen ist betont laut.

Der Regisseur Nadav Lapid hat für die dichte Inszenierung der Verbindung von archaischer Männlichkeit und paramilitärischem Korpsgeist auf seine eigenen Erfahrungen bei der IDF, der israelischen Armee, zurückgegriffen. Während seines dreieinhalbjährigen Militärdienstes hat er für einander einstehende Kameradschaft erlebt, deren Kehrseite die Härte gegen die Anderen, die potenziellen – und teilweise angreifenden – Feinde auf palästinensischer Seite.

In Interviews hat er mehrfach erklärt, die äußere Bedrohung Israels führe dazu, dass die sozialen Konflikte und Klassengegensätze im Land zu wenig beachtet würden. Nicht so in „Policeman“: In der zweiten Hälfte des Films lernen wir eine kleine linke Gruppe kennen. Gegen die zunehmende, heftige soziale Ungerechtigkeit in Israel wollen sie radikal angehen. Radikal wollen sie die Reichen angreifen, die von der jahrzehntelangen Politik der Privatisierung profitiert, sich bereichert haben. Auf Kosten der Mehrheit der israelischen Bevölkerung. Ihr erster Auftritt im Film ist eine Schießübung. Alle vier haben schwere Pistolen, Shira streift mit ihrer sanft den Arm von Nathanel. Und endlich tun sie auch dass, was für linke Gruppen so viel typischer ist als das Schießen – sie diskutieren einen Text. Der soll kurz, einfach und grundsätzlich sein. Für eine Aktion. Dabei wirkt der Text schablonig, rein moralisch, so wie insgesamt die kleine, bewaffnete linke Gruppe in ihren Inhalten diffus bleibt. Erst während ihrer militanten Aktion liest Shira laut einen Text vor sich hin, in dem es um konkrete Kritik geht: Wie ein Multimillionär die ArbeiterInnen in seinen Salzbergwerken unterdrückt, ihnen gewerkschaftliche Organisierung verbietet. Das ist kriminell, nicht wir! Wie ein anderer Millionär seinen Putzfrauen nur Dumpinglöhne zahlt. Ihr Text geht aber in der Aufregung unter, weil die Gruppe ganz praktische Probleme hat.

Der Film erinnert in seinem packenden Aufbau an „Amores Perros“ von Alejandro González Iñárritu. In „Policeman“ sind es allerdings keine Autos, die in einem verheerenden Unfall zusammenstoßen. Aber wie in dem mexikanischen Film nimmt der Film verschiedenste Perspektiven ein, die Zuschauenden können sich immer wieder auf neue Konstellationen und Situationen einstellen. Störend ist allein, dass der überzeugenden Darstellung der Polizeitruppe eine Darstellung der linken Gruppe dialektisch gegenübergestellt wird, die sich auf ihr Beziehungsgeflecht konzentriert. So wirkt die Gruppe bizarr, übermütig: sich verrennende Jugendliche. Die beunruhigenden, zunehmenden sozialen Verwerfungen in Israel bekommt „Policeman“ so nur andeutungsweise ins Bild.

Regisseur Nadav Lapid ist am Freitag um 20.15 Uhr zu Gast im 3001-Kino, Hamburg.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen