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StummfilmkonzerteMächtiges Brausen, großes Georgel

Dass Stummfilmevents mit Live-Musikbegleitung boomen, hat auch mit Stephan von Bothmer zu tun: Vor 20 Jahren startete er seine Stummfilmkonzerte.

Klassischer Dreier: Stephan von Bothmer inmitten von Stan Laurel und Oliver Hardy Foto: dpa

Bei Lichte betrachtet, ist es gar nicht so ohne weiteres erklärbar, dieses offenbar tiefsitzende menschliche Bedürfnis, zu bewegten Bildern Musik zu hören. Als wäre es nicht sensationell genug gewesen, damals, als die Bilder laufen lernten, ihnen einfach mit den Augen zu folgen, begann man alsbald, aus dem einfachen Filmgekurbel eine Multimediashow zu machen.

Die Frühzeit des Kinos muss eine goldene Zeit für Pianisten gewesen sein. Heutzutage ist die Arbeit der Musiker getan, sobald die Tonspur eines Films fertig ist. Ab in die Konserve damit. Zu Stummfilmzeiten dagegen war jede Filmvorführung ein einmaliges musikalisches Live­erlebnis.

So wie damals wird es natürlich nie wieder. Aber auch wenn man heute nicht mehr wie einst noch die Urgroßeltern allabendlich die Auswahl zwischen zahlreichen Lichtspielhäusern mit Livemusik hat, ist die Kunst des Bespielens bewegter Bilder längst nicht ausgestorben.

In den Großstädten, zumal in Berlin, ist sie sogar überaus lebendig. Man könnte beinahe behaupten, sie erlebe seit etlichen Jahren so etwas wie eine neue Blüte. Eine Herbstblüte sozusagen.

Vom solistischen Auftritt am Tasteninstrument bis zum Sinfonieorchester ist bei den Playern alles dabei. Auch die etablierten Kulturpaläste der Stadt wie etwa die Komische Oper, das Konzerthaus und die Philharmonie hatten in der laufenden Saison schon große Stummfilmkonzerte im Programm.

Ein Festival zum Jubiläum

Das Festival

Stummfilmkonzerte Seit 20 Jahren interpretiert Stephan von Bothmer (Jahrgang 1971) Stummfilme mit Livemusik. Zum Jubiläum gönnt sich der studierte Musiker und Mathematiker ein opulentes Festival, das zweigeteilt im Januar und März stattfindet.

Das Programm Start des Festivals, bei dem die 20 Jahre mit 20 Konzerten bedacht werden, ist am Donnerstag, 11. Januar, mit „Verdun“ in der Passionskirche am Marheinekeplatz. Dort finden bis auf einen Abstecher an die Orgel in der Emmauskirche am Lausitzer Platz alle weiteren Veranstaltungen statt, bei denen auch vom Orchester über kleines Ensemble bis zur klassischen Interpretation am Klavier die verschiedenen Begleitungen duchgespielt werden. Programm: www.stummfilmkonzerte.de

Für die eigentliche Kontinuität in der Szene aber sorgen die spezialisierten SolistInnen an den Orgeln der Stadt. Dazu gehört auf jeden Fall Stephan von Bothmer (auch bekannt als Graf von Bothmer), der sich zu seinem zwanzigjährigen Jubiläum im Einsatz als orgelnder Filmvertoner nun ein ganzes Festival organisiert hat. In einem auf Januar und März verteilten Stummfilmkonzert-Reigen zeigt der Pianist/Organist/Komponist in zwei Kreuzberger Kirchen, welch breites Spektrum an Genres er bedienen kann.

Der umtriebige Musiker kennt kaum Berührungsängste und begleitet mitunter auch Fußballspiele live an der Orgel

Der umtriebige Musiker, der mitunter auch Fußballspiele live an der Orgel begleitet, scheint musikalisch kaum Berührungsängste zu kennen. Zur Eröffnung des Festivals am 11. Januar tritt von Bothmer mit Orchester zum französischen Antikriegsfilm „Verdun“ aus dem Jahr 1928 in der Passionskirche auf – ein eher selten zu sehendes Werk, ebenso wie Ernst Lubitschs „Die Puppe“ (13. 1.) und die Märchenfilme von Lotte Reininger, die Bothmer am 14. Januar zur kinderfreundlichen Zeit um 17 Uhr an der Orgel der Emmauskirche begleitet.

Familienkompatibel dürfte auch das „Stan & Olli“-Programm sein. Ansonsten bietet das Festivalprogramm bewährte Klassiker wie natürlich Fritz Langs „Metropolis“.

Weitere Stars der Szene

Neben von Bothmer ist die russischstämmige Organistin Anna Vavilkina zu einer Art Star der Berliner Stummfilmszene geworden. Vavilkina pflegt im Babylon am Rosa-Luxemburg-Platz die große Kinoorgel zu bedienen, die regelmäßig bei den samstäglichen Stummfilmnächten zum Einsatz kommt.

Diese Orgel, die schon bei ihrer Einweihung im Jahr 1929 als Sensation bestaunt wurde, ist eine kostbare Seltenheit in der heutigen Kinolandschaft. Nachdem sie um die Jahrtausendwende herum jahrelang generalüberholt wurde, verfügt das Babylon seitdem wieder über eine der mächtigsten akustischen Illusionsmaschinen, die derzeit in deutschen Kinos zu hören sind. Am 13. Januar wird Anna Vavilkina ab Mitternacht zum britischen Film „Picadilly“ von 1929 an der Orgel zu hören sein.

Einer der Höhepunkte des Stummfilmmonats Januar wird sicherlich der 17. Januar sein: Dann gibt es wieder eine Gelegenheit, die legendäre Mighty Wurlitzer in großem Einsatz zu hören, die größte Kinoorgel Europas (aus amerikanischer Produktion und ebenfalls aus dem Jahr 1929), die einst der Familie Siemens gehörte und nach dem Krieg im Musikinstrumentenmuseum ihre endgültige Heimat fand.

Die Mighty Wurlitzer heißt so, wie sie heißt, weil sie über mehr als 200 Register – damit gut dreimal so viele wie die Kinoorgel des Babylon! – und 1.228 Pfeifen verfügt. Beim abendlichen Mittwochskino am 17. Januar zeigt das Musikinstrumentenmuseum den erst vor zwei Jahren rekonstruierten Film „Varieté“ mit Emil Jannings und Lya de Putti. Die musikalische Seite der Show verantworten diesmal Anna Vavilkina und die Mighty Wurlitzer.

Und wer zwar Stummfilme mag, aber Orgelmusik eigentlich immer viel zu viel findet, kann das alles an sich vorüberziehen lassen und am 18. Januar ins Arsenal gehen. Da gibt es „Menschen am Sonntag“, darin ist schön Sommer, und im Kino sitzt dazu ein Mensch, es ist die Pianistin Eunice Martins, an einem Klavier. Das geht nämlich auch.

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