„David Bowie suchte etwas – und fand es im Krautrock“

Am Samstag findet zum dritten Mal das „Bowie Tribute Berlin“ im Lido statt. Mit dabei ist Thorsten Quaeschning mit seiner Band. Im Interview erzählt er über die Verbindung zwischen David Bowie und Tangerine Dream

Thorsten Quaeschning ist der musikalische Leiter der Krautrockformation Tangerine Dream Foto: Andreas Müller

Interview Gudrun Holz

taz: Herr Quaeschning, gibt es für Sie den Bowie-Moment, so etwas wie eine Initiation?

Thorsten Quaeschning: Absolut. Die Magie der CD „Tribute to the Dark Side Of David Bowie“ von 1996. Es war die Erste, die von mir im Laden stand. Eine Kompilation, auf der ich mit dem Song „Moonage Daydream“ vertreten war. Ich war damals erst 18 Jahre alt. Musikalisch war ich zu jener Zeit noch etwas düsterer unterwegs – weniger Glam-orientiert als heute. Mich interessierte mehr der Indie- und Alternative-Kontext. Ich weiß, das ist unpopulär, aber mein liebstes Bowie-Album ist „Outside“ – als Bowie nach längerer Zeit wieder mit Brian Eno arbeitete. Und „Earthlings“ – weil es exemplarisch für Bowies beständige Weiterentwicklung steht.

Bowie ist ja ein Synonym für musikalische Rekalibrierung und kreative Neuerfindung. Was bedeutet dessen Konzept für Ihre eigene Arbeit?

Es bedeutet eben auch, bei aller Veränderung immer wieder bei Bowie zu sein, Zeitströmungen aufzunehmen, ohne sich anzubiedern, neue Entwicklungen elektronischer Musik aufzunehmen, was in meinem Fall zu wechselseitiger Inspiration mit beispielsweise Nine Inch Nails, Prodigy und Placebo geführt hat. Bei Bowie hat mich inspiriert, sich nicht abzuschotten und Rock-artig nur einen Stil durchzuziehen. Sich von Instrumentenentwicklung inspirieren zu lassen und damit immer auch eine upgedatete Version von sich selbst zu finden. Bei mir war es so, dass Sachen, die in den Achtzigern elektronisch nicht möglich waren, sich in den Neunzigern mit Digitalsynthesizern anders umsetzen ließen, was die Darstellung von Obertönen und Sounddesing betrifft. So muss das auch bei „Let’s dance“ gewesen sein, diesem großartigen Song von Bowie, den er zusammen mit Nile Rogers entwickelt hat.

Wie unterscheidet sich Bowies Chamäleon-Ansatz von Ihrem Mitwirken bei Tangerine Dream?

Bei Tangerine Dream stehen die Musik und die Idee vor der Künstler-Persona. Um die 25 Musiker sind seit der Gründung im Jahr 1967 bereits Teil der Band gewesen. Tangerine Dream ist mehr eine Idee als eine feste Band. Natürlich gibt es gewisse Parameter, Tonskalen, Tempi, die sehr genau festgelegt sind und auf Edgar Froese, den Gründer der Band, zurückgehen. Er war ein wunderbarer Lehrer, mit dem ich 14 Jahre intensiv zusammengearbeitet habe. 2014 hat Froese Tangerine Dream als Liveband aufgelöst. Es ging weg von den Instrumenten, wieder mehr zum Sequencer-getriebenen Sound. In das Konzept der letzten Jahre flossen etwa Ideen aus der Quantenphysik ein. Es wird so wieder performativer und ist näher an der Improvisation.

Wie hat man sich das in der Praxis vorzustellen?

Die Zeit zu finden, den Fokus auf den Weg zu legen und nicht auf das Ergebnis. Etwas zu finden in diesem Prozess, hat sicherlich etwas Spirituelles, Ungeplantes und Unvorhersehbares. Wenn das passiert, ist es großartig. Das ist die Aufgabe. Das bedeutet jeden Tag arbeiten, bis zu 15 Stunden im Studio zu sein und drauf zu warten.

In welchem Kontext sehen Sie eine konzeptionelle Nähe zwischen Bowie und Tangerine Dream?

David Bowie wohnte ja eine Zeitlang bei Edgar Froese in Schöneberg. Er war ein großer Fan von „Malaysian Pale“, Froeses zweitem Studioalbum, das 1975 erschienen ist. Bowie suchte damals nach neuen Einflüssen – und fand sie im Krautrock. Teile seiner Berlin-Trilogie, die Alben „Low“ (1977) und „Lodger“ (1979) sind eindeutig von Froeses Soloalben beeinflusst, wo er viel mit dem Mellotron arbeitet – das man von „Strawberry Fields Forever“ kennt. Das war ein Tasteninstrument, das Orchesterklänge nutzte, die auf 35 Bändern aufgenommen wurden. Bowie war stark von Kraftwerk und Tangerine Dream beeinflusst. Daher gab es hier viele Schnittmengen, speziell im experimentellen Bereich.

Der Mann: Thorsten Quaeschning entstammt einer Berliner Musikerfamilie. Er ist an Geige, Klavier und Flöte ausgebildet und seit 2005 Mitglied der 1967 gegründeten Krautrockformation Tangerine Dream. Seit dem Tod von Bandgründer Edgar Froese im Jahr 2015 ist er deren musikalischer Leiter.

Die Band: Mit seiner Band Picture Palace spielt Quaeschning aktuell Neuinterpretationen von Bowie.

Das Konzert: Beim dritten „Bowie Tribute Berlin“ am 6. Januar im Lido ab 20 Uhr werden unter anderem Peter Baywaters von Peter & The Testtube Babies, Laura Guidi, Greta Brinkman, Arne Bengt Buss & Lost Weekend zu hören sein.

Wie kam es zu Ihrer Teilname am Bowie-Tribute-Album, das von der britischen Punkband Peter and the Test Tube Babies bis zu Berliner Lokalgrößen ganz unterschiedliche Musikströmungen vereint? Waren Sie 2016 beim ersten Event im Lido direkt nach Bowies Tod schon dabei?

Ich las damals, dass es ein Tribute geben sollte, und schlug den Veranstaltern die Verwendung der Tangerine-Dream-Version von „Space Oddity“ vor. Für ein Festival ist es eher unüblich, dass Pete and the Test Tube Babies und Tangerine Dream die selbe Bühne bespielen, aber in diesem Kontext passt das perfekt. Von der Musiksozialisierung komme ich eher aus dem Goth – wenn man an Joy Division denkt – von daher ist die Entfernung eher relativ, auch wenn es erst mal nicht wie die übliche Paarung wirkt.

Für David Bowie war Berlin „the greatest extravaganza you can imagine“. Was macht für Sie als gebürtiger Berliner die Stadt so orginär, so anders?

Was Berlin von anderen deutschen Städten abhebt, kann man an der Musik von Tangerine Dream ablesen. Im Vergleich zu Düsseldorf, wo etwa die Musiker von Kraftwerk alle akademisch ausgebildet waren – Bartos hat chromatisch-perkussiv studiert – waren die Krautrockmusiker in Berlin Leute, die die Idee vor die Umsetzung setzten. Kraftwerk und Ashra Tempel könnten nicht unterschiedlicher sein, in Idee Konzept und Musik. Berlin steht für das Event-hafte, die Idee im Vordergrund, zugespitzt für den Sieg der Form über den Inhalt.