piwik no script img

Mündungsdelta der DonauGegen den Strom

Das Donaudelta gehört mit zu den schönsten Regionen. Von hier aus hat auch die Besiedlung Mitteleuropas entscheidende Impulse bekommen.

Mit dem Boot unterwegs im Mündungsbereich der Donau Foto: imago/Peter Widmann

Die Donau kommt vom Schwarzwald her und mündet in das Schwarze Meer, lautet ein Sprichwort, das Kindern im Geografieunterricht als Eselsbrücke dienen soll. Nach der russischen Wolga ist sie Europas längster Strom und durchquert oder berührt zehn Länder, so viele wie kein anderer Fluss der Erde. Die meisten Flusskreuzfahrten enden in Budapest, danach beginnt für die meisten Westeuropäer eine Terra beziehungsweise Aqua incognita.

Das Donaudelta, eine Kultur- und Naturlandschaft zählt mit zum ­Schönsten und Wildesten, was der europäische Kontinent zu bieten hat. Nicht nur der Strom ist hier ungezügelt und bietet vom Aussterben bedrohten Vögeln und Fischen noch immer einen Lebens­raum, der stromaufwärts längst verschwunden ist. Bedroht ist auch die Kultur einer Vielzahl von Minderheiten, die seit Jahrhunderten an den Rändern, auf Inseln und auf den Hügeln an den Ufern der Donau einen einzigartigen Kosmos bilden.

Während im Westen Europas das hohe Lied der Diversität erklingt, haben die Ismen des 20. Jahrhunderts – Kommunismus, Nationalismus und der hier ungezügelt wirkende Neoliberalismus der letzten Jahre – kaum etwas vom einstigen kulturellen Reichtum übrig gelassen.

Der Engländer Nick Thorpe ist dem Fluss nicht von seiner mitteleuropäischen Quelle zu seiner Mündung im mäandernden Delta gefolgt, sondern stromaufwärts vom Schwarzen Meer an ihren Ursprung. Dabei zeigt der seit mehr als einem Vierteljahrhundert in Budapest lebende Journalist, dass Europa von Südosten her besiedelt, kultiviert, christianisiert und später auch islamisiert wurde. Perser, Griechen, Römer, Slawen und Osmanen – sie alle folgten dem Fluss stromaufwärts. Das Europa der Vielfalt ist auch ein Geschenk der Donau. Bis heute lassen sich Zeugnisse einer bis zu sechstausend Jahre zurückliegenden Besiedlung finden und damit existierte an den Ufern des Stroms vielleicht die älteste Zivilisation in Europa überhaupt.

Europas lette Leprakolonie

Im Donaudelta begegnet Thorpe russischsprechenden Altgläubigen, die vor der Verfolgung im zaristischen Russland ins Labyrinth der Deltainseln flohen. Am Rande der Provinzhauptstadt Tulcea findet sich auch die letzte noch existierende Leprakolonie Europas, deren Bewohner zwar heute gehen können, wohin sie wollen, den wenigen verbliebenen aber ist die Gemeinschaft und die kostenlose medizinische Behandlung mehr wert als die raue Realität des postkommunistischen Rumäniens.

Im Südosten Europas konnten viele ethnische und religiöse Minderheiten – trotz oder vielleicht gerade aufgrund der Verfolgung – ihre Eigenständigkeit bewahren. Im ebenfalls kürzlich erschienenen Buch des Schweizers Cyrill Stieger kann man nachlesen, dass die meisten der mehr als zweieinhalb Millionen Muslime auf dem Balkan keine Nachfahren osmanischer Türken sind, sondern aus wirtschaftlichen und sozialen Gründen vor Jahrhunderten zum Islam konvertierte Slawen. Die Religion blieb für sie der Kern ihrer Identität, die sich allen Assimilierungsversuchen widersetzte. Selbst dann, als man ihnen wie im kommunistischen Bulgarien geschehen, bulgarische Namen verordnete, die aus Ibrahim einen Ivan machten.

Die Insel Ada Kaleh

Exemplarisch für die Zerstörung der muslimischen Kultur an der Donau steht die im Zuge eines Energieprojekts im kommunistischen Rumänien 1971 geflutete Insel Ada Kaleh an der Grenze zu Jugoslawien. Ihre Bewohner wurden weit weg ins Landesinnere umgesiedelt oder emi­grierten in die Türkei. Nicht viel besser ging es den eine romanische Sprache sprechenden Istrorumänen in Kroatien und den Aromunen im mazedonischen Bergland oder den griechisch-katholischen Uskoten in der Nähe von Zagreb. Sie alle wurden zum Spielball der Mächtigen, der Habsburger, der Nationalisten in der Zwischenkriegszeit und der Kommunisten.

Lesetipps

Cyrill Stieger: „Wir wissen nicht mehr, wer wir sind. Vergessene Minderheiten auf dem Balkan“, Paul Zsolnay Verlag, Wien, 2017, 288 S., 23 Euro

Nick Thorpe: „Die Donau, Eine Reise gegen den Strom“. Aus dem Englischen von Brigitte Hilzensauer, Paul Zsolnay Verlag, Wien, 2017, 384 S., 26 Euro

Die Mazedonier haben die Aromunen nie als Minderheit anerkannt, und die Rumänen, die Sprachunterricht in den Schulen unterstützten, wollten aus ihnen lediglich Rumänen machen. Doch das Aromunische ist eine eigene romanische Sprache, Heute ist die Kultur dieser in entlegenen Dörfern lebenden Minoritäten vom Untergang bedroht. Die Jungen ziehen der Arbeit hinterher in die Städte oder ins westliche Ausland, wo sie kaum eine Chance haben, ihre Kultur zu erhalten. Noch gibt es auf der Welt an die fünftausend Sprachen, mehr als die Hälfte davon wird dieses Jahrhundert nicht überleben.

Die Donau ist schlussendlich auch der Fluss der Roma, wofür die jüngste Geschichte der Donaustadt Lom in Bulgarien steht. Die Hälfte ihrer 28.000 Bewohner sind Roma. Die Hälfte der Romakinder aus Lom schaffte es vor Jahren noch auf Hochschulen. Dann kam die Finanz- und Wirtschaftskrise, und anders als andernorts in Europa ist sie geblieben. Heute verdienen sich die Roma Geld mit schwarzgebranntem Rakı, dem Handel mit aus Industrieruinen geborgenem Altmetall – und mit Menschen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Themen #Donau
Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • von den 5000 Sprachen wird die Hälfte dieses Jahrhundert nicht überleben, aber dabei wird es nicht bleiben.

     

    Die Globalisierung und Internationalisierung, das zurückdrängen des Nationalstaats lässt eine Sprachenvielfalt nicht zu. Auf den amerikanischen Kontinent wird Spanisch und Englisch übrig bleiben. Ansonsten werden neben den beiden Sprachen noch Mandarin, Arabisch und vielleicht Russisch und Türkisch übrig bleiben. Französisch könnte es eventuell noch schaffen, aber viel mehr werden es nicht werden.

  • Europa hat sehr schöne Naturlandschaften, für den Liebhaber der Natur ist überall etwas zu finden. Da wären der Harz, Ostpreußen, das Baltikum, die Alpen nur um mal einige zu nennen.