: Gott hat’s gekonnt und also hat er es gemacht
Die Geburt Jesu war angeblich eine Jungfrauengeburt. Wie aber soll eine solche vonstatten gehen? Katholische und evangelische Kirche verfolgen in diesem Punkt sehr verschiedene Erklärungsstrategien
Von Benno Schirrmeister
Die Sache mit der Jungfrauengeburt ist schon ein wenig irre, zumal ja das entsprechende biologische Konzept der Parthenogenese, bei der sich weibliche Tiere alleine reproduzieren, noch in keiner Weise existierte. Ohnehin wurde nicht-geschlechtliche Fortpflanzung bei Säugetieren noch nicht beobachtet. Aber immerhin gibt es Vögel, also gleichwarme Tiere, die sie beherrschen.
Aber das sind wirklich rezente zoologische Erkenntnisse und trotzdem, oh Wunder, oh Wunder, war die Jungfrauengeburt eine verbreitete Figur in den mythologischen Überlieferungen sowohl Babyloniens als auch des alten Ägyptens, deren Spuren sich in den biblischen Erzählungen finden: Aus ihr hervor gehen Kinder, die auf irritierende Weise identisch sind mit ihren Vätern.
Es ist stets ausdrücklich eine Sexgeschichte, in ihrem Zentrum steht stets ein Zeugungsakt, und sie kombiniert dafür zwei hoch abstrakte, weil nur in der Negation greifbare Konzepte. Das eine ist das der Hierogamie – also der Verpartnerung mit einem Gott als einer Figur, der man im normalen Leben nicht begegnet und die sich als Überwindung der Distanz von Himmel und Erde verstehen lässt.
Das andere ist das nur vermeintlich fassbarere Konzept der Jungfräulichkeit: Seit Otto Ranks freudianischer Studie über die „Geburt des Helden“ (1922) fällt es schwer, in dieser ausdrücklichen Entkörperlichung nicht eine Deckerzählung für eine Vergewaltigung zu lesen. Dazu passt die eigentümliche Leerstelle im Lukas-Evangelium, in dem der Engel des Herrn ankündigt „Der heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten“, und danach passiert: Nichts. Aber in der nächsten Szene ist Maria schon schwanger. Das passt aber auch gut auf die altägyptischen Darstellungen, in denen eben die junge Frau und Königin immer von einem Gott heimgesucht wird, der sich als ihr Mann verkleidet hat: Sobald sie allein sind, tritt er unverhüllt auf. Das reicht, um die Pharaonin zu schwängern.
Das Wichtigste an diesem Mythos scheint seine Unvereinbarkeit mit den Alltagserfahrungen zu sein. Die Unverständlichkeit ist die Botschaft. Deswegen führt die theologische Hilfestellung der Evangelischen Kirche Deutschlands zu diesem Thema eher ins Abseits: „Mit ihrer Hilfe“, schreibt die EKD bezüglich der Jungfrauengeburt, „erklären sich Christinnen und Christen, warum Jesus nicht nur ein Mensch, sondern auch wirklich Gottes Sohn war.“ Auf die Idee, man könne sich durch etwas Unverständliches irgendetwas erklären, können echt nur vom Rationalisierungszwang des Protestantismus befallene Theolog*innen kommen, die zu viel Schwarzbrot gegessen haben.
Die katholische Kirche, in der die Marienverehrung eine viel größere Rolle spielt, setzt auf die gegenläufige Strategie: Sie deutet die Erzählungen als Beleg der Rätselhaftigkeit Gottes. „Es war passend, Gott hat’s gekonnt, und also hat er es gemacht“, so lapidar hat schon Pseudo-Anselm im späten Mittelalter die Frage nach dem Vorgang der Jungfrauengeburt als unzugänglich zusammengefasst. Das muss reichen. Das Geheimnis ist per se Geheimnis. In diesem Sinne heißt auch die einschlägige päpstliche Bulle „Vom unaussprechlichen Gott“ (1854) – und statt das eine Mysterium zu erklären, ergänzt sie es und setzt es in Beziehung zum nächsten, der viel geschmähten und oft mit der Jungfrauengeburt verwechselten Unbefleckten Empfängnis, die zur Bedingung der Möglichkeit der Jungfrauengeburt gemacht wird.
Es ist ziemlich deutlich, dass eine solche Verdunkelungsstrategie dem biblischen Text und zumal der Poetik des Lukas viel mehr entspricht als irgendein Erklärbedürfnis. Denn dessen Jesus-Biografie zeichnet sich gerade an dieser Stelle durch eine enge motivische Verflechtung mit etlichen Geburtsszenen der jüdischen Überlieferung aus: Die 34 ersten Verse dieses Evangeliums spielen, teilweise durch wörtliche Zitate, auf beide Bücher der Chronik an, auf Maleachi, auf Genesis, auf Exodus, auf Daniel und selbstredend auf Jesaja. Und geschickt verknüpfen sie die mit den Lehren des Paulus. Ein solches Amalgam soll nicht durchdrungen werden. Das soll überwältigen, Staunen wecken – und geglaubt werden. Auch um konkurrierende Erzählungen zu diskreditieren, wie die aus dem Kindheitsevangelium des Thomas: Das stellt Jesus zwar als hochbegabtes, aber dringend erziehungsbedürftiges Kind dar, das seine Lehrer brüskiert und freche Altersgenossen und böse Nachbarn, ohne mit der Wimper zu zucken, beseitigt: Theologisch sind diese Apokryphen wohl schon schnell als problematisch verstanden worden, weil Jesus darin allzumenschlich und entwicklungsfähig erscheint, also allenfalls ein künftiger Heiliger. Denn einen Gott, den man sich erst zurechterziehen muss, braucht kein Mensch.
Keine Entwicklung, keine Erziehung, kein Werden, Verstehen, sondern Sein des Seienden in Offenbarung, das behaupten und verteidigen zu können, darum genau geht es. Deshalb wird dieses Tableau in der katholischen Dogmatik durch die Unbefleckte Empfängnis Mariens noch vervollständigt, ein Fest, das am 8. Dezember begangen wird. Sie ist Bedingung und physiologisches Gegenstück zur Jungfrauengeburt: Anna, also die Mutter der Gottesmutter, empfängt Maria auf ganz normalem Wege: Sie ist verheiratet mit Joachim, die beiden schlafen miteinander. Aber sie versetzen sich dadurch in einen Zustand außerhalb des zeitlich-räumlichen Kontinuums, sie sind außer dem Jammertal der Welt, sie erleben das Paradies: Exstase nennen’s die einen, Orgasmus die anderen. Fest steht, dass diese Empfängnis, so drückt’s Papst Pius IX aus, der es wissen musste, „ganz eigenartig und wunderbar“ war, „dass sie ganz anders vor sich ging als bei den übrigen Menschen, dass sie ganz heilig und verehrungswürdig ist“: Guter Sex eben. Die Erbsünde dagegen ist einfach nur Geschlechtsverkehr.
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