heute in hamburg: „Meist half man der eigenen Gruppe“
Susanne Heim, Jg. 1955, Politikwissenschaftlerin und Historikerin mit Schwerpunkt NS-Forschung, lehrt seit 2002 an der FU Berlin
Interview Petra Schellen
taz: Frau Heim, wohin flohen die vom NS-Regime verfolgten Juden nach 1933?
Susanne Heim: Anfangs gingen viele nach Palästina, aber auch in die Nachbarländer Deutschlands, weil sie nicht glaubten, dass sich das NS-Regime lange halten würde. Erst ab Mitte der 1930er-Jahre, als klar wurde, dass sich die Verhältnisse nicht schnell ändern würden, wurden die USA und Lateinamerika zu Zielländern.
Wer half den Flüchtlingen?
Großteils jüdische Organisationen in Deutschland und in den Aufnahmestaaten. Hinzu kamen internationale jüdischen Organisationen, die Auswanderungsbemühungen unterstützten und die Zustände im deutschen Machtbereich international bekannt machten, um die Flüchtlinge zu legitimieren.
Welche Rolle spielten die Hilfsorganisationen konkret vor Ort?
Diejenigen in Deutschland mussten sich mit der Gestapo absprechen, wenn sie zum Beispiel einem KZ-Häftling eine Ausreisebescheinigung ausstellten. Die Reichsvereinigung der Juden etwa fürchtete um ihre Glaubwürdigkeit, wenn sie zu viele davon ausgab. Und zionistische Organisationen, für die der Aufbau Palästinas als jüdischer Staat Vorrang hatte, bevorzugten Leute, die jung, stark, gesund und praktisch ausgebildet waren.
Wie verhielten sich die Hilfsorganisationen im Ausland?
Sie unterstützten sie Leute finanziell; die britischen Juden etwa haben die Regierung zur Aufnahme von Flüchtlingen überredet, indem sie zusicherten, finanziell für sie aufzukommen. In anderen Ländern war die Registrierung bei einem Hilfskomitee Voraussetzung für die Anerkennung als Flüchtling. Dadurch waren die Leute dann aber auch erfasst und kontrollierbar, wenn man sie etwa in Sammelunterkünfte sperren wollte.
Das wollten ausgerechnet die Hilfsorganisationen?
Ja, teils fürchteten sie, dass die jüdische Einwanderung den Antisemitismus befördern würde. Was in einigen Fällen dazu führte, dass man Sammelunterkünfte errichtete.
Reichte die Flüchtlingshilfe damals so weit in die Zivilgesellschaft hinein wie hier 2015?
Nein. In der Regel half man der eigenen Gruppe – jüdische Organisationen halfen Juden, die katholische Kirche Katholiken, die Kommunisten ihren Genossen. Gesinnungsunabhängig halfen die Quäker.
Vortrag über jüdische Hilfsorganisationen: 18.30 Uhr, Institut für die Geschichte der deutschen Juden, Beim Schlump 83
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen