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Die Wochenvorschau für BerlinAdventszeit ist Gedenkzeit

Das Weihnachtsshopping läuft und alles wird besinnlicher, wäre da nicht der Terroranschlag vom Breitscheidplatz, der sich am Dienstag jährt.

Alles wird irgendwie weihnachtlicher: Selbst das Busfahren Foto: dpa

Gewöhnlicherweise ist diese letzte Arbeitswoche vor den Weihnachtsfeiertagen der Inbegriff von Friede, Freude, Glockenbimmeln. Schon ein paar Tage vor Heiligabend stellen die Politiker die Arbeit ein (manche feilen immerhin noch an ihrer jährlichen Ansprache). Die Nachrichtenlage bricht nach und nach zusammen und wird von Menschengeschichten dominiert, die angelehnt sind an die christliche Mystik.

Und selbst hoch politische Termine werden von weihnachtlichen Motiven geprägt. Beispiel gefällig? Am Dienstag gibt es im Stasi-Museum in der einstigen Geheimdienstzentrale in Lichtenberg den Vortrag „Zerbrechliche Ware – Die Christbaumschmuckproduktion im Spiegel der Stasi-Akten“. Beginn 18 Uhr.

Das Einzige, was wirklich noch flott läuft, ist Shopping. Doch selbst Einkaufen ist dieses Jahr eingeschränkt, denn am Sonntag, den 24., sind die meisten Läden in Berlin dicht. Einer idyllischen Woche zwischen Lebkuchen und Marzipankugeln, Glühwein und Kettenkarussell (auf dem Weihnachtsmarkt) stünde also vermutlich nichts entgegen, wäre da nicht der Terroranschlag auf dem Breitscheidplatz gewesen, der sich am Dienstag zum ersten Mal jährt. Und so werden die kommenden Tage wohl eine Gefühlsverwirrung zwischen langsamen ­Abschalten zum Jahresende und dem Versuch, das schrecklichste Ereignis in Berlin der letzten Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, zu verarbeiten.

Schon am Montag trifft die in Sachen Umgang mit den Opfern viel gescholtene Bundeskanzlerin Angela Merkel hinter verschlossenen Türen, aber trotzdem öffentlichkeitswirksam Hinterbliebene der Breitscheidplatz-Toten. Tags darauf folgt ein wahrer Gedenkveranstaltungsmarathon: Um 10.30 Uhr spricht der Bundespräsident, danach gibt es eine interreligiöse Andacht für Opfer und Angehörige; um 12 Uhr weiht der Regierende Bürgermeister Michael Müller das Mahnmal mit den Namen der zwölf Toten an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche ein (hat eigentlich schon jemand mal geschrieben, dass der Gedenkort berlinuntypisch schnell und rechtzeitig fertig wurde?).

Es folgen Kundgebungen und Gebete rund um den Breitscheidplatz. Schließlich, genau um 20.02 Uhr, dem Zeitpunkt, als der entführte Lastwagen von Anis Amri in den Markt gelenkt wurde, läuten die Glocken der Gedächtniskirche zwölf Minuten lang. Gleichzeitig soll es eine Lichterkette rund um die Kirche geben. Da muss man nur noch erwähnen, dass der dortige Weihnachtsmarkt an diesem Tag geschlossen bleibt.

Puh. Tief durchatmen.

Es gibt aber auch Menschen, für die dieser Dienstag ein toller, glücklicher Tag sein wird. Nachmittags findet das von Frank Zander organisierte jährliche Essen für rund 3.000 Obdachlose und Bedürftige im Riesenhotelkasten Estrel in Neukölln statt. Wie immer gibt es Gänse auf dem Tisch und Livemusik auf die Ohren, dazu Sachspenden, etwa Kleidung und Schlafsäcke. Und man wird in den Medien Geschichten lesen und Menschen sehen, denen ganz weihnachtlich zumute ist. Bert Schulz

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1 Kommentar

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  • Frau Merkel, übernehmen Sie endlich die politische Verantwortung und treten Sie zurück. Das und nur das könnte zu einem halbwegs positiven Bild in zukünftigen Geschichtbüchern beitragen.