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Veredelt durch kräftigen Bums

Elektronikproduzenten aus Detroit sezieren das Werk von George Clinton und Funkadelic in Remixen. Manches fällt zu ehrfürchtig aus

Das Who’s who der Detroiter Technoszene, von links Alton Miller, Brendan M. Gillen, Marcellus Pittman, Erika, DJ Andres, „Shake“ Shakir und Tyler Dancer Foto: Ace

Von Detlef Diederichsen

Die Geschichte von Funkadelic, P-Funk und dem Musikimperium von George Clinton ist einer der amüsanteren Schelmenromane der Popgeschichte. Clinton, ein afroamerikanischer Künstler, gründete ständig Bands, brachte sie allesamt bei verschiedenen Plattenfirmen unter, obwohl das Personal größtenteils identisch war, und landete mit zahlreichen Alben, die er mit diesen Bands produzierte, in den Charts. Einer der bemerkenswertesten Streiche Clintons war der Bandname. Denn Funkadelic war schillernd, clever, durchgeknallt …, aber nicht nur funky, sondern auch sanft, verspielt und trippig.

Die Musik von Funkadelic wurde „created by lysergic minds for lysergic times“, wie es DJ Tom Thump in denLiner Noteszur nun veröffentlichten Tribut-Compilation „Funkadelic Reworked By Detroiters“ schreibt. Zu den Kulthandlungen von Funkadelic zählt neben dem weitläufigen Jammen die theatralische Inszenierung einiger ihrer Epen als Dramolette inklusive Dialogen zwischen wechselnden Solisten und einem Chor, fast vergleichbar mit den musiktheatralen Versuchen im Prog-Rock-Fach zur selben Zeit. Nur eben lustig und bekifft, statt ernst und klassizistisch. Und wie das so ist mit Kulten: Ist man einmal drin, läuft man für sein Leben geprägt damit herum – mit Typen wie Dr. Funkenstein und Sir Nose d’Voidoffunk („I’m Sir Nose, I knows how it goes“), Aphorismen wie „Free Your Mind And Your Ass Will Follow“, gezeichnet vom „Placebo Syndrome“ und anderen Verquickungen aus Verschwörungstheorie, afro-futuristischen Metaphern und adoleszenten ­Wortspiel-Späßken.

Während weiße Fans an Funkadelic vor allem flamboyante Übertreibung liebten, war die Bedeutung für die afroamerikanische Anhängerschaft eine ganz andere. Mit ihrer Re-Appropriation der Rockgitarre, den Mini-Moog-Experimenten des Keyboarders Bernie Worrell, den hypnotischen Chants griffiger Slogans und den bizarren Kostümen wirkte Funkadelic wie die unmögliche Synthese aus Hendrix, Sun Ra’s Arkestra und Sly & The Family Stone.

Clinton applizierte darüber hinaus den Spirit seiner Musik auch auf Business-Aktivitäten und manövrierte sein Mothership trickreich an den vielen Untiefen des Musikbusiness vorbei. Dabei blieb er dem heimatlichen Gemeinwesen verbunden und sah außerdem zu, dass seine diversen Bands genügend Lehrstellen für talentierten und lernwilligen Nachwuchs boten. Musiker wie Amp Fiddler und Mike Banks (Underground Resistance) verdienten sich ihre Sporen in den achtziger Jahren bei Clinton, um dann ein Jahrzehnt später den neuen elektronischen Sound der Stadt zu prägen und gleichermaßen Wissen an die nächsten Generationen weiterzugeben.

Was darf man also erwarten, wenn sich 2017 ein Who’s who der Detroiter House- und Elektronikszene (plus die Garage-Rock-Band Dirtbombs) auf das Frühwerk von Funkadelic wirft? Vätermörderische Dekonstruktion? Oder den Verbau einiger erlesener Schnipsel in das eigene musikalische Heim?

Der Respekt vor Funkadelic ist offensichtlich weiterhin so hoch, dass Dekonstruktion die auf diesem Album am seltensten gewählte Option ist. ­Lediglich Anthony „Shake“ Shakir (mit T. Dancer) und Claude Young Jr. gehen diesen Weg. Stattdessen versuchen die meisten beteiligten Künstler tapfer ihre Hochachtung zu bekunden, indem sie ihre Komfortzone der Synthesizer und Programmierungen verlassen und sich an Dinge herantrauen, die in ihrer Formensprache für gewöhnlich nicht vorkommt: ausufernde Gitarrensoli von Garry Shider und Eddie Hazel etwa. Aber auch die Song- (bzw. Arien-)Strukturen der Werke bleiben bei etlichen der 17 Beiträge zu „Funkadelic Reworked By Detroiters“ fast unangetastet, die Gesangsparts erhalten, die Texte verständlich. Die ebenfalls für diese Compilation angefragten Theo Parrish und Carl Craig sollen dem Vernehmen nach sogar nach einer Weile aufgegeben haben, weil sie fanden, dass ihre Arbeit den Originalen nicht gerecht wurde.

So sind die Highlights dieser Kopplung auch tatsächlich jene Arbeiten, die sich am nächsten ans Original herantrauen: Underground Resistance und ihr Mastermind Mike Banks veredeln „Music 4 My Mother“ vor allem durch einen kräftigen Bums, wie ihn Funkadelic selbst in ihrer Warner-Spätphase nie hatten.

Amp Fiddler, der in den Achtzigern als Bernie-Worrell-Nachfolger geradezu eine zentrale Rolle am Hofe Clintons hatte, bevor er gleich darauf anfing, mit Moodymann und Theo Parrish zu arbeiten, ist hier gleich dreimal zu hören, wobei er als Gast-Keyboarder auf Moodymanns Mix von „Cosmic Slop“ überraschenderweise ein wenig wie ein Fremdkörper wirkt. Moodymann stellt diese Funkadelic-Hymne ein bisschen um, gibt dem Gitarren-Gegniedel viel Freiraum und schiebt die Vocals und das jazzig-virtuos gespielte Schlagzeug nach vorne, schmeißt aber überraschenderweise den titelgebenden Chant raus. In seinem eigenen Mix von „Let’s Take It To The Stage“ scheint es Amp Fiddler hingegen vor allem darum zu gehen, den Vocals ein feines Bett zu bereiten, was der absurd-humoristische Text aber auch nahelegt.

Die Dirtbombs fallen hier insofern auf, als sie nicht nur die einzigen Vertreter der Detroiter Rockszene sind, die ja seit den Zeiten der MC5 und der Stooges immer als besonders rabiat auffällt, sondern auch, weil sie als Einzige nicht einen Remix, sondern eine klassische Coverversion beisteuern. Ihre Neuaufnahme von „Super Stupid“ verneigt sich vor allem vor Eddie Hazels noisigem Gitarren-Solo-Irrsinn und erinnert daran, dass Funkadelic zu Beginn mehr eine Rock- als eine Funk-Band war, näher an Jimi Hendrix als an James Brown (was sich verschob, als Browns ehemalige Rhythmusgruppe aus den Brüdern William „Bootsy“ Collins und Phelps „Catfish“ Collins angeheuert wurde).

Eigentlicher Gewinner des Werks ist jedoch sein Initiator: BMG, was der Künstlername des Musikers und Produzenten Brendan M. Gillen ist. Auskenner sind schon über seine Arbeiten in dem Duo Ectomorph gestolpert und in dieser Inkarnation ist er hier auch vertreten: Mit „Looking Back At You“ pimpt er ein bislang unveröffentlichtes Demo zu einer exquisiten Reggae-Funk-Fusion. Hier wie auch in „Take Your Dead Ass Home“, das einem anderen Duo-Projekt namens The Fantasy zugeschrieben wird, wird vor allem Bernie Worrell ins Rampenlicht geschoben, der auf seinem Mini Moog Model D knarzen, furzen und blubbern darf, dass auch ein Hieroglyphic Being seine Freude haben müsste.

Oft kopiert, selten erreicht. George Clinton von Funkadelic bei einem Konzert 1979 Foto: Richard E. Aaron Red­ferns/Getty Images

BMG nahm sich auch „Maggot Brain“ vor, ein Ding, das eigentlich nicht sein dürfte: ein zutiefst melancholisches, entnervend langsames Stück, das nur aus einem effektreichen Gitarrensolo von Eddie Hazel besteht. Diese Arbeit dank eines sehr präzise dubbig-psychedelisch neu ausgerichteten Backings zu reanimieren, ist eine nicht zu unterschätzende Leistung und man mag mutmaßen, dass dieses Vorhaben die Keimzelle des ganzen Projekts war.

„Funkadelic Reworked By Detroiters“ widmet sich dabei eigentlich nur einem winzigen Teil des Clinton’schen Gesamtwerks: Die Compilation erscheint beim Westbound-Label, einst erste Heimstätte von Funkadelic, die bei Bedarf immer noch aktiviert werden kann, da nach wie vor im Besitz ihres Gründers Armen Boladian. Auf Westbound wurden zwischen 1970 und 1976 acht Funkadelic-Alben veröffentlicht, bevor der Multi Warner übernahm und die besonders erfolgreichen Werke „One Nation Under A Groove“ (1978) und „Uncle Jam Wants You“ (1979) herausbrachte. Im selben Zeitraum veröffentlichte Clinton mit dem Musikerverbund Parliament fünf Alben, die inhaltlich von Funkadelic kaum zu trennen waren.

Insofern ist dieses Album keine Gesamtwürdigung von P-Funk, höchstens huldigt es seiner lysergischen Anfangsjahre. Umso erstaunlicher, welche Angstreflexe eine solche Aufgabenstellung bei einigen gestandenen Akteuren der globalen elektronischen Tanzmusik auslöst, während andere, um ihre tiefe Liebe zu einer Musik zum Ausdruck zu bringen, sehr persönliche, emotionale Resultate erzielen.

Diverse Künstler: „Funkadelic Reworked By Detroiters“, (Westbound/Ace)

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