Feinstaub-Forschung in Leipzig: Pekinger Atmosphäre
Das Leibniz-Institut für Troposphärenforschung kann bald simulieren, wie sich Feinstaub in der Luft verhält. Diese hat sich in Leipzig jüngst verbessert.
„Eigentlich funktioniert die Kammer wie ein großes Solarium“, sagt Hartmut Herrmann. Er hat das neue Gebäude konzipiert, seit Anfang November gehört es zum Leibniz-Institut für Troposphärenforschung (Tropos). Seit knapp zwanzig Jahren ist Herrmann Professor für Atmosphärenchemie an der Universität Leipzig, daneben leitet er die Chemieabteilung am Tropos.
Herrmann ist ein vielgefragter Mann, im Bereich der Atmosphärenchemie ist er weltweit eine Instanz. Von Laienfragen lässt er sich dennoch nicht aus der Ruhe bringen: Ausdauernd und gelassen versucht er dem Autor die chemischen Zusammenhänge anschaulich zu erklären. Das ist auch bitter nötig, denn wie, bitte schön, erzeugt man eine künstliche Atmosphäre?
In der Doppelkammer stehen dazu auf einem Podest zwei große Aluminiumwürfel, in deren Mitte jeweils ein 19 Kubikmeter großer Teflonsack hängt, der lichtdurchlässig ist. „Den füllen wir dann mit verschiedenen Gasen, schalten die Solariumstrahler ein und schauen, wie sie miteinander reagieren“, sagt Herrmann. Wenn die Doppelkammer im Frühjahr einsatzbereit ist, könne man etwa die Atmosphäre in Peking simulieren und so nachvollziehen, welche chemischen Prozesse dort ablaufen. Und das sind eine ganze Menge.
Im Rahmen der „Zukunftswerkstatt“ der taz erscheint jeden Freitag statt der Neuland-Seite eine eigene Seite für Leipzig, die taz.leipzig: geplant, produziert und geschrieben von jungen Journalist*innen vor Ort.
Sie haben Anregungen, Kritik oder Wünsche an die Zukunftswerkstatt der taz? Schreiben Sie an: neuland@taz.de. Das Team der taz.leipzig erreichen sie unter leipzig@taz.de
Lange Zeit glaubte man, dass die Atmosphäre wie eine Art Müllhalde funktioniert: Stoffe, die in die Atmosphäre gelangen, bleiben auch dort. Neuere Forschungen ergaben hingegen, dass einzelne Stoffe wieder absinken und an Feinstaubpartikel andocken können. Das macht sie mitunter sogar gesundheitsschädlicher als vorher. Bei der Verbrennung von Holz und Briketts im Ofen entstehen etwa sogenannte polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe, die in der Atmosphäre dann zu krebserregenden Stoffen umgewandelt werden können. Vor allem diese Stoffe werden in der Doppelkammer untersucht.
Je kleiner die Partikel, desto gefährlicher
Neben chemischen Prozessen analysieren die Forscher in den Laboren von 23.6 künftig auch Feinstaubproben. Feinstaub ist unsichtbar, die Partikel besitzen einen Durchmesser von weniger als 10 Mikrometern. Dabei handelt es sich um Reifen- und Bremsenabrieb, Rußpartikel, Pollen oder Baustellenstaub. Je kleiner der Partikel, umso gesundheitsschädlicher kann er sein. Während größere Teile im Nasen- und Rachenbereich hängen bleiben, landen die kleineren Partikel in den feinen Verästelungen der Lunge oder gelangen sogar bis ins Blut. Asthma, Schlaganfälle und Lungenkrebs werden so laut neueren Forschungen begünstigt.
Um diese Feinstaubpartikel zu untersuchen hat das Institut eine Wohnung an der Ecke Hermann-Liebmann-Straße/Eisenbahnstraße gemietet. Seit 15 Jahren messen die Forscher an der vielbefahrenen Kreuzung. „Jetzt im Winter besteht eine Probe aus circa 20 Prozent Diesel- und Ofenruß“, sagt Herrmann. „Bis zu 10.000 weitere Substanzen können in einem einzigen Partikel enthalten sein.“
Nach der Probenanalyse können die Forscher direkt sagen, ob die gesetzlich vorgeschriebenen Grenzwerte eingehalten werden oder nicht. Der Tagesgrenzwert für Feinstaub liegt bei 50 Mikrogramm pro einem Kubikmeter Luft. An höchstens 35 Tagen im Jahr darf dieser Grenzwert überschritten werden. An der Ecke Eisenbahnstraße/Hermann-Liebmann-Straße hat sich die Luftqualität in den letzten Jahren indes verbessert, sagt Herrmann. Das liege vor allem daran, dass die Eisenbahnstraße anders als zu Beginn der 2000er Jahre nicht mehr vierspurig sei.
Auch an anderen Verkehrsknotenpunkten wie der Lützner Straße werden die Tagesgrenzwerte seltener überschritten, laut einer Statistik des Sächsischen Landesamtes für Umwelt bislang 22 Mal dieses Jahr; 2006 waren es noch mehr als 70 Tage. Eine komplette Entwarnung kann der Wissenschaftler aber nicht geben. Neben Feinstaub seien noch zu viele Stickoxide in der Luft. Vor allem ältere Dieselmotoren stoßen vermehrt das gesundheitsschädliche Gas aus, dürfen dank Abgasnorm Euro 4 und grüner Plakette aber nach wie vor in die Leipziger Innenstadt fahren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel demoliert beduinisches Dorf
Das Ende von Umm al-Hiran
Lang geplantes Ende der Ampelkoalition
Seine feuchten Augen
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Etgar Keret über Boykotte und Literatur
„Wir erleben gerade Dummheit, durch die Bank“
Telefonat mit Putin
Falsche Nummer
Ost-Preise nur für Wessis
Nur zu Besuch