piwik no script img

Bahn vertreibt Obdachlose

HAUPTBAHNHOF Der Hamburger Senat überträgt der Bahn die Hoheit für die überdachten Bereiche

Repression am Hauptbahnhof

Zur Bekämpfung der offenen Drogenszene am Hamburger Hauptbahnhof ging die Polizei schon in den 1990er Jahren repressiv vor: Allein zwischen 1991 und 1994 wurden rund 10.000 Drogenabhängige und mutmaßlichen Dealer ohne richterlichen Beschluss in Gewahrsam genommen.

■ Eine Sicherheitswache am Hauptbahnhof eröffnete der damalige Innensenator Olaf Scholz (SPD) 2001. Unter einem Dach finden sich hier Bundespolizei, Hamburger Polizei und „DB Sicherheit“, die schon in der Vergangenheit zusammen Streife gingen.

■ Schills Erbe: Seit 2002 werden Junkies am Hauptbahnhof mit klassischer Musik beschallt.

Der Hamburger SPD-Senat und der Bezirk Hamburg Mitte haben der Deutschen Bahn die Hoheit über die überdachten Vorplätze am Hauptbahnhof übertragen. Ihr Sicherheitsdienst soll nun exzessive Trinker und Lagerer verscheuchen. Ziel der Maßnahme ist es, für die kommenden zehn Jahre „klare Strukturen“ zu schaffen, erklärt der Senat.

Der Hamburger Hauptbahnhof ist der meist frequentierte Bahnhof bundesweit. Besonders in den kalten Monaten sind die Vordächer ein zentraler Treffpunkt für Menschen ohne Obdach. Denn im Gebäude haben die Bahn und die Wandelhallen GmbH das Hausrecht, entsprechende Personengruppen sind hier unerwünscht. Bereits unmittelbar nach Bekanntgabe des ausgeweiteten Hausrechts, fingen Sicherheitskräfte der Bahn an, unter den Vordächern aufzuräumen.

Die Anhandgabe der öffentlichen Flächen stößt auf massive Kritik. Während der Bezirksamtsleiter von Hamburg Mitte, Andy Grote, gegenüber der taz sagte, dass der Vertrag das Ergebnis eines runden Tisches sei, das auch von sozialen Trägern mitgetragen wurde, betonen die sozialen und pädagogischen Einrichtungen des Stadtteils St. Georg (Sopi), dass hier ein falscher Eindruck vermittelt werde, „was die Beteiligung und Zustimmung von sozialen Einrichtungen anbelangt“.

„Wir fühlen uns von der Maßnahme völlig überrumpelt“, erklärt Pastor Kay Kraack von der Kirchengemeinde St. Georg. Der Vertrag, der ohne jedweden öffentlichen Dialog geschlossen worden sei, richte sich nicht nur gegen störende Personengruppen, sondern auch gegen den Stadtteil. Denn die Verdrängung ins benachbarte Wohnviertel sei die notwendige Folge.

Von der Vertreibung sind nicht nur Alkoholisierte betroffen. Bereits kurz nach Bekanntgabe der neuen Zuständigkeit, vertrieb die Bahn Verkäufer des Straßenmagazins Hinz&Kunzt. Dabei gehe es in der Hausordnung der Bahn um ,übermäßigen Alkoholkonsum‘ und ,Sitzen und Liegen auf dem Boden‘ beziehungsweise um Belästigungen, sagt Hinz&Kunzt-Geschäftsführer Jens Ade in einem Bericht des Magazins. Das Anbieten des Magazins sei keine Belästigung, sondern vielmehr eine Bereicherung. LKA

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen