: Natur ist auch bloß Tapete mit Flecken
Einen wunderbar entzauberten Blick auf Antonín Dvořáks Märchenoper „Rusalka“ erlaubt Anna-Sophie Mahlers Inszenierung
Von Benno Schirrmeister
Nicht auf der Höhe ist das Orchester. Die Vernunft sagt: Das wird schon noch werden. Hartmut Keil wird die Bremer Philharmoniker nicht noch einmal so unentschlossen in die Ouvertüre von Antonín Dvořáks „Rusalka“ reinstolpern lassen wie bei der Premiere. Und wenn der Anfang nicht so verunglückt, bekommt das Orchester vielleicht doch noch die Bindung zum Werk, die nötig ist, um in diesen spätromantischen Klängen zu schwelgen. Sie können es ja, das haben sie ja früher oft bewiesen.
Dass Keil bei der Premiere die Ouvertüre und damit seinen Einstand als Erster Kapellmeister vermasselt, zieht doch einigermaßen die Produktion in Mitleidenschaft, leider, denn die wäre sonst hervorragend: Statt eines Waldes hat Duri Bischoff eine sanierungsbedürftige Mansarde mit Schrägdach gezimmert: Natur ist hier auch bloß ein Waldseegemälde aus Öl plus eine Blümchentapete mit Stock- und Wasserflecken, ein Speicher des Verdrängten als vernachlässigter Überbau der höfischen Menschenwelt im Parterre. In diesem Haus hat Regisseurin Anna-Sophie Mahler ihre komplette, weitgehend entzauberte Version des Zaubermärchens von der Nixe untergebracht, die aus Liebe Mensch werden will, und sich, verschmäht, wieder ins Wasserreich zurückzieht, wo sie ihren Prinzen töten muss. Und alle Männer.
Zugleich gelingt es Mahler dabei, sich von Martin Kušejs epochaler, komplett desillusionierter Münchner Rusalka-Inszenierung von 2010 zu unterscheiden, indem sie das unmetaphysisch Unheimliche des Stoffes freilegt: Dank Bildern, die wirken, als wären sie direkt aus dem Horrorfilm „Ring“ auf diese Bühne transponiert, dank der drei Nymphen, die aus den Wellen der Tapete auf die Bühne schweben, Schwestern oder Klone der Titelfigur. Und vor allem dank Claudio Otelli, der als Wassermann seine Töchter nicht ziehen lassen will, weil er so lustig mit ihnen spielen kann, wie ein Josef Fritzl, den man wegen seiner schönen Stimme halt mögen muss. Es ist so pervers.
Dass der vergeigte Anfang so stark die Produktion überschattet, liegt vermutlich weniger an der Formkrise des Orchesters als an Dvořáks Art zu komponieren. Er nutzt, sehr symphonisch, nur eine Handvoll Leitmotive, die dafür sehr prägnant sind. Der Extremfall sind die sieben Töne, die das Werk eröffnen, ein Schlag, dann vier kurze im Grundton, eine kleine Terz blitzt auf und wieder die Tonika, that’s it. Und da ist, das ließe sich zeigen, echt alles schon drin, Tonart, Geheimnis, Rebellion und tragisches Scheitern.
Außer Beethovens Fünfter gibt es in der Symphonik des 19. Jahrhunderts kein Motiv, das ökonomischer und prägnanter wäre. Und jetzt stellen Sie sich die Schicksalssymphonie vor, die nicht mit dem famosen Tatata-Táh begönne, sondern klappernd und stammelnd und am Ende mit einem schiefen Missklang: tatata-Taröööt! Sorry, aber der Abend wäre gelaufen. Und: Wie Beethoven nutzt Dvořák ja diese paar Töne als vollwertiges Thema, das ganze Werk hindurch, ständig in neuer Konstellation, in neuem Licht, in neuem Klang. Immer aber binden sie zurück an den Anfang.
Und doch vergisst man’s mit der Zeit. Das liegt an den SängerInnen, denen Mahlers nüchterner Regie-Ansatz alle Möglichkeiten lässt, sich durch ihre Stimme als Charaktere zu behaupten: Patricia Andress ist eine perfekt-warmherzige Rusalka, Nadine Lehner, als ihre von Geraldine Arnold in sexy-Schreirot gekleidete Widersacherin forciert stark den aggressiven Schneid ihrer Partie, und eigentümlich ist der große Zauber der Kontra-Altistin Romina Boscolo: Als Hexe Jezibaba ermöglicht sie die Transgression zwischen Menschen- und Nixen-Sphäre, in ihrer Stimme verschmelzen Männer- und Frauenfach. Alles überstrahlt allerdings der Prinz: Wer Luis Olivares Sandovals dahingeschmolzenen Liebestod am Ende ohne Träne hören kann, hat eben keine Ohren. Oder keinen Verstand.
Wieder am 25. 11., 13., 21. und 29. 12., jeweils 19.30 Uhr, sowie am 25. 12. um 18 Uhr
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