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Ausstellung über den SchlafDer lächelnde Bruder des Todes

Ausgehend von Arbeiten seiner Hausheiligen erkundet das Bremer Paula-Modersohn-Becker-Museum Hypnos' dunkle Lande – den Schlaf.

Der Künstler als hölzerner Liebhaber? Michael Triegel, „Schlafende Ariadne“ (2010). Foto: Galerie Schwind, Leipzig © VG Bild-Kunst, Bonn 2017

BREMEN taz | Manche der Bilder sind wie ein kalter Griff ans Herz. Zum Beispiel diese Farbfotografie von Ricarda Roggan aus dem Jahr 012: Mit kleiner Blende, minuten-, vielleicht sogar stundenlang belichtet, hat Roggan ein Bett im Freien aufgenommen. Es steht irgendwo zwischen Containern auf wellig-brüchigem Asphalt, der feucht aussieht. Erhellt wird es in der Nacht vom fahlbläulichen Schein von Peitschenlampen, die den Versuch scheitern lassen, sich in der postindustriell-urbanen Umwelt in einer Nische zu verbergen. Die Laken sind überraschend weiß im Halbdunkel. Man wird sie für klamm halten. Sie verraten: Hier ruht ein Mensch. Der Blick ist ein gestalteter Zufall, ein Fundstück, denn Roggan manipuliert ihre Bilder nicht, sie setzt nichts in Szene. Sie nutzt nur die Inszenierung der Stadt, in der kein Schutz der Dunkelheit mehr existiert.

Wahrscheinlich ist es ja ein Zufall, sonst hätte der Katalog das Jubiläum erwähnt oder wenigstens die Museums-PR es aufgegriffen. Aber fraglos passt die Ausstellung „Schlaf – eine produktive Zeitverschwendung“ bestens zum 350. Jahrestag der wohl schärfsten Zäsur in der Geschichte der Nacht: Anfang Herbst 1667 lässt der Pariser Polizeipräfekt Gabriel Nicolas de la Reynie 2.736 Kerzen in Glasgehäusen, wie sie seinerzeit auf den Theaterbühnen üblich sind, in der ganzen Stadt aufstellen. Das ist im Grunde nur eine simple innenpolitische Maßnahme wegen der Überfälle und eher ein Notbehelf; man kann schließlich nicht den Staatsschatz plündern, um Nachtwächter zu bezahlen, wenn gleichzeitig Versailles zu finanzieren ist.

Aber damit hat de la Reynie die Straßenbeleuchtung als kulturelle Praxis etabliert: Sie wird rasant ausgebaut und macht künftig die Stadt zur Bühne und die Nacht zum Tag. Die Salons sind begeistert, die Astronomen ahnen noch nicht, wie schlimm das alles werden wird, ganz Europa übernimmt das Modell – und die Aufklärung beginnt.

Dadurch ändert sich, kaum bemerkt auch der Schlaf. Bis dahin hatte er nur dazu gedient, „die Nacht sowohl kürzer als auch sicherer scheinen zu lassen“, wie Roger E. Ekirch schreibt, der bedeutende Historiker der Nacht. Jetzt aber kann er ganz neu bewertet und gestaltet und betrachtet werden. Er bleibt, was er war, ein Bruder des Todes und das Medium der Träume und Visionen anderer Welten. Aber er kann jetzt auch als Zeitvertreib, als Sünde, als überflüssiger Luxus angegangen werden – und als Selbstzweck: „Warum kann man sich den Schlaf nicht abgewöhnen?“, wird schließlich der Göttinger Johann Christoph Lichtenberg in seinen Sudelbüchern fragen. Und im selben Tintenzug ein gegenläufiges Projekt ins Spiel bringen: „Unsere ganze Geschichte“, schreibt er, „ist bloß Geschichte des wachenden Menschen. An die Geschichte des schlafenden hat noch niemand gedacht.“

Die bildende Kunst allerdings hat früh schon damit angefangen, Schlaf darzustellen. Und sei es als sanft lächelnden, hellhaarigen und bartlosen Sohn der Nacht, der mit seinem grimmigen schwarzgelockten Zwilling angeschlagene Helden zu einem Platz jenseits der Schlacht schleppt. Mit dem Schlaf geraten stets auch Schlafende in den Blick, die, bei näherem Hinsehen, möglicherweise Tote sein könnten: Wie will man das entscheiden?

Der zitierte Lichtenberg könnte falsche Erwartungen wecken: Eine Geschichte des Schlafenden schreibt die Bremer Ausstellung nicht, nicht einmal eine Kunstgeschichte. In schöner assoziativer Freiheit stellt sie Werke sehr unterschiedlicher Epochen schroff nebeneinander, und das steigert die reizvolle Vieldeutigkeit der Arbeiten: In diesen Bildern, Grafiken, Installationen und Plastiken könnten sich, selbst wenn sie Geborgenheit zu vermitteln scheinen, aus einer anderen Perspektive Spuren von Trauer abzeichnen. Sie könnten auch von Gewalt handeln – im roh behaunen Marmorrand von Max Klingers Plastik „Schlafende“ lauert, den Blick auf die Brüste der tiefenentspannten nackten Schönen gerichtet, ein Faun.

Das erfährt man überraschend deutlich schon im ersten Raum, vor den Gemälden Paula Modersohn-Beckers, der Schutzheiligen des Museums. Und die sind auch Keimzelle der Ausstellung. Nur zum Beispiel ihren schlafenden Gemahl: Den hat sie um 1907 in einer merkwürdigen Diagonale auf die Leinwand geklemmt, den Kopf zwischen weiße Plümeaus. Die Augen sind zu, die Brille hat er noch auf. Total entspannt liegt er da, wie erschlagen.

Eine Geschichte des Schlafenden schreibt die Ausstellung nicht, nicht einmal eine Kunstgeschichte

In der Entstehungszeit des Gemäldes hat Paula ihren Ehemann Otto Modersohn, das ist bekannt, mitunter als ausgesprochen lästig empfunden. Kurz zuvor hat sie ihm das sogar recht deutlich geschrieben: „Ich mag Dich nicht zum Manne haben“, heißt es in einem Brief von September 1906. Sie empfiehlt ihm, „mit der Vergangenheit abzuschließen“, alles andere würde „nur die Qual verlängern“.

Berühmter sind ihre Gemälde stets schlafender Kinder, das „Kind in der Wiege“ von 1904 etwa, das durch seine grandiose Farbgebung komplett mit dem Bettbezug zu verschmelzen scheint. Möglich, dass diese Obertönigkeit der Gemälde nur dadurch entsteht, dass rechts in der Ecke Ron Muecks lebensgroße Plastik eines „gepuckten Babys“ steht: Pucken – in Süddeutschland lautet das Verb „fatschen“ und hat denselben Ursprung wie das Wort „Faschismus“ – bedeutet, einen Säugling so stramm in ein Tuch einzuwickeln, dass sich seine Beine und Arme nicht rühren können; eine schädliche Technik, die früher weit verbreitet war, und sehr beliebt: Sie verlängert den Schlaf. Mueck hat die Grausamkeit der Methode noch optimiert, indem er die Kinderpuppe einfach in eine Ecke legen lässt, fast ebenerdig, wie weggeworfen: eine Ikone der Lieblosigkeit.

Systematisch hat sich das Museum des Schlafmotivs angenommen, mitunter übersystematisierend. Wenig durchdacht wirkt zum Beispiel der Versuch, den „privaten“ vom „intimen“ und vom „Künstlerschlaf“ zu trennen. Schlimmstenfalls verengt so etwas den Blick, denn oft genug passen die Werke in mehrere Schubladen zugleich und beziehen gerade aus dieser Vielschichtigkeit ihre Stärke.

So wie Michael Triegels fotorealistisches Ölgemälde „Schlafende Ariadne“: Es zeigt, sie wirkt fast lebensgroß, in Aufsicht eine bleiche Frau, geschlossene, Augen, hingestreckt auf orangener Draperie. Neben ihr liegt, ihr zugewandt, das rechte Bein besitzergreifend angewinkelt über ihre Knie, anstatt wie im Mythos Dionysos, der Gott der Sangeskunst, des Rauschs, größer als sie – eine hölzerne Gliederpuppe, die als das Accessoire des Malers von heute gelten kann. Ist das intim oder privat? Oder ein Selbstbildnis der Künstlers als hölzerner Liebhaber?

Sehr schlüssig hingegen ist es, den häuslichen Schlaf anders zu betrachten als den in der Öffentlichkeit: Es ist dort, wo Moralisierung stattfindet, wo Schlaf sich mal als skandalöses Versagen der unterkühlten postindustriellen Gesellschaft offenbart, mal als Zeitverschwendung und Versagen gilt, verurteilt und verspottet wird. Wunderschöne Daumier-Karikaturen fallen hier auf, und, von bizarrer Komik, ein Video mit Animationen von Jochen Kuhn, „Immer müder“, ein scheinbar autobiografisches Stück zeigt einen Mann, einen Politiker, der ständig einschläft, bei jeder Gelegenheit – einfach auf der Straße, bei einem Sektempfang und als er im Parlament eine Rede halten soll: Das ist sehr lustig, selbst wenn das Opfer eines so unwiderstehlichen Drangs auch Mitleid verdienen könnte. Oder Neid.

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