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Stadtgespräch aus New YorkKlassenkampf gegen die Elektroräder

Bürgermeister Bill de Blasio will E-Bikes von den Straßen bringen. Die werden gern von Kurierfahrern benutzt, viele davon sind Einwanderer ohne Papiere.

Als Radfahren zu Politik wurde: Festnahme eines Critical-Mass-Aktivisten in New York 2004 Foto: ap

B esitzen dürfen die New YorkerInnen sie. Aber benutzen dürfen sie sie nicht. Die E-Bikes, die im Rest der Welt als umweltfreundliches Hybrid zwischen Fahrrad und Motorrad gefördert werden, sind in der größten Stadt der USA schon seit Jahren verboten.

Bloß wussten das bislang nur die wenigsten. Ab 2018 will Bürgermeister Bill de Blasio das Verbot hart durchsetzen. Er droht mit Strafen ab 100 Dollar, die sich bei jedem neuen illegalen E-Bike-Trip verdoppeln, mit Beschlagnahmungen und mit Vorladungen.

De Blasio erklärte den Krieg gegen die E-Bikes zwei Wochen vor der Bürgermeisterwahl, bei der er erneut kandidiert. „Wir müssen jeden verfolgen, der eine Gefahr für die Anwohner ist“, sagte er. Und: „Eine Straßenüberquerung in New York City sollte keine qualvolle Erfahrung sein.“

Zahlen, die die zweirädrige Gefahr dokumentieren, legte de Blasio nicht vor. Die New Yorker Polizei erfasste im September zwar 7.500 Unfälle allein im Bezirk Manhattan. Darin waren Autos, SUVs, Lieferwagen, Laster und 193-mal auch Räder verwickelt. Aber E-Bikes werden in ihrer Statistik nicht erwähnt. „Mit so viel Genauigkeit verfolgen wir Unfälle nicht“, erklärt die NYPD.

E-Bikes sind die Arbeitsgeräte der Unsichtbaren

Bei vielen WählerInnen spricht de Blasio dennoch ein diffuses Gefühl an. Fahrräder finden sie cool. Und immer mehr von ihnen benutzen sie selbst. Aber E-Bikes irritieren sie.

Denn die sind in New York vor allem Arbeitsgeräte für Leute, die sonst unsichtbar sind: Einwanderer, die gerade erst ins Land gekommen sind und weder Papiere haben noch englisch sprechen. Sie arbeiten im Akkord, für weniger als den Mindestlohn und leben von dem Trinkgeld, das sie bei der Übergabe ihrer Pizzen und Thai-Gerichte am Hauseingang bekommen. Wenn das E-Bike, das ihrem Arbeitgeber gehört, beschlagnahmt wird, müssen sie nicht selten in die eigene Tasche greifen, um es freizukaufen und weiter arbeiten zu können.

Selbst äußerlich sind E-Bikes in New York anders. Sie sind auf das Minimum reduziert, sie haben weder knallige Farben noch Klingeln oder Licht. Sie sind leise Schatten in einer Stadt, die für den größtmöglichen Showeffekt lebt.

Wenn einE RadfahrerIn einEn andereN überholt, ruft sie laut: „On your left“ – auf deiner Linken. Aber von E-Bike-FahrerInnen kommen keine Rufe. Sie huschen mit bis zu 30 Stundenkilometern geräuschlos über Straßen, Radwege und Bürgersteige. Nicht einmal ihre Zahl ist bekannt. New York hat an die 50.000 ZweiradbotInnen – niemand weiß, wie viele davon motorisiert sind.

Fahrräder auf der Straße – immer schon Klassenkampf

New York und Zweiräder – das ist eine tumultuarische Geschichte. Eigentlich ist die Insel Manhattan ein ideales Terrain für RadfahrerInnen: Sie ist überschaubar, hat wenig Steigungen, das Wetter ist moderat und niemand kann dem Dauerstau besser trotzen. Aber Mitte der 80er Jahre verbot Bürgermeister Edward Koch den Fahrradverkehr auf den zentralen Nord-Süd-Achsen Park, Madison und Fifth Avenue. „Radfahren von 10 bis 16 Uhr verboten“, stand auf Straßenschildern.

Auch damals ging es um ein Stück Klassenkampf: die Maßnahme richtete sich vor allem gegen FahrradbotInnen. Die Zweirad-Community reagierte geschlossen: Allwöchentlich brachte sie mit Fahrrad-Demonstrationen den Verkehr in Midtown zum Stillstand. Es gab Petitionen, Bilder von fotogenen „Messengers“ in den Zeitungen und 1987 kippte ein Gericht das Radfahrverbot.

Seither ist New York allen Widerständen zum Trotz zu einer Fahrradstadt geworden. Sie hat – mit mehr als 1.800 Kilometern – das längste Netz von Fahrradwegen aller US-Städte und legt jedes Jahr zusätzliche 80 Kilometer an. Die Zahl der blauen Citibike-Mieträder ist auf 10.000 gestiegen. Die RadfahrerInnen in der Stadt sind zu einer politisch einflussreichen Gruppe geworden.

Gleichzeitig sterben mehr von ihnen auf der Straße als zuvor. 2014 kamen 14 RadfahrerInnen in New York ums Leben, 2015 waren es 16. Im Jahr 2016 waren es 20. Besonders häufig waren LastwagenfahrerInnen, insbesondere von privaten Müllabfuhrunternehmen, die Verantwortlichen.

Doch Bürgermeister de Blasio will sich auf RestaurantbesitzerInnen und deren Flotten „illegaler E-Bikes“ stürzen. Bis auch in New York die RentnerInnen aus der Mittelschicht das E-Bike für sich entdecken und eine Lobby werden, steht dem nichts im Weg.

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Dorothea Hahn
Korrespondentin
Kommt aus Köln. Ihre journalistischen Stationen waren Mexiko-Stadt, Berlin, Paris, Washington und New York.
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4 Kommentare

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  • "...E-Bikes, die im Rest der Welt als umweltfreundliches Hybrid zwischen Fahrrad und Motorrad..."

    Mal von allem anderen abgesehen: das E-Bike, das Strom aus welchen Quellen noch gleich verbraucht, ist ein umweltfreundliches Hybrid? Geht's noch? Das Fahrrad ist umweltfreundlich, das E-Bike WÄRE umweltfreundlich wenn der Strom dafür aus erneurbaren Quellen käme und die Akkuproduktion ebenfalls umweltfreundlich erfolgen würde. Die Überlegung gilt natürlich ebenso für E-Autos.

    • @Jalella:

      Das E-Bike ist aber definitiv umweltfreundlicher als ein Motorrad, da der Energieträger immerhin teilweise umweltfreundlich gewonnen wird, oder ein Elektroauto, dessen Verbrauch an Strom deutlich höher ist.

       

      Ich weiß nicht, was sie für ein Problem mit E-Bikes haben. Wenn ich morgens auf die Straße schaue, dann ist der Berufsverkehr voll mit Benzin- und Dieselautos mit exakt einem Fahrer, die die ganze Zeit mit Vollgas beschleunigen um noch eben mit in der Grünphase über die Ampel zu kommen, um dann den verbrauchten Sprit wieder bei der nächsten Ampel sofort wieder in Bremsverschleiß umzuwandeln. Fahrgemeinschaften kosten Zeit, hebeln den Vorteil der Flexibilität, den ein eigenes Auto bietet wieder auf, und lohnen sich meist eher ab 20+ km.

       

      Normale Fahrräder sind aber auch nicht die Lösung, denn die meisten Arbeitswege schlichtweg zu weit für konventionelle Fahrräder. Gerade in größeren Städten können sich diese Wohnungen auch nur die Besserverdienenden leisten. Und selbst wenn, die wenigsten mögen danach 8 Stunden im Büro den Schweißgeruch den Kollegen zumuten.

       

      Der Öffentliche Nahverkehr ist vielerorts so schlecht ausgebaut, das er keine wirkliche Alternative darstellt. Mal eben in der Mittagspause zum Friseur oder ein Paket abholen geht damit schlicht nicht, flexible Arbeitszeiten kann man dann auch nicht mehr nutzen.

       

      Ich sehe eine Lücke im Segment der Leute die jeden morgen ca. 6-12 km mit dem Auto zurücklegen, und da ist das E-Bike definitiv die umweltfreundlichste Alternative.

    • @Jalella:

      Das ist unwahr. Denn der Energieverbrauch eines E-rades ist sehrviel geringer als der eines Mofas oder gar Autos. Damit ist die Umweltbelastung geringer, selbst wenn Braunkohlestrohm verwendet wird.

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