: Vereint auf der Langgraswiese
Ob Schmetterlingsbestimmer aus Friedenau oder Prinzessinnen-gärtner aus Kreuzberg, auch viele Westberliner zog es auf die IGA – aus Garten-Interesse oder um endlich mal in Hellersdorf zu sein
Von Helmut Höge
Also wir waren mehrmals auf der IGA: Alles so schön bunt dort! Mit „wir“ meine ich die Kreuzberger, die ja bekanntlich für ganz Westberlin stehen. Konkret waren das die vielen Freunde des „Weltackers“, die Baumscheiben-, Schrebergarten-, Urban-Gardening-Begeisterten vom Heinrichplatz und drum herum, die Mitgärtner des Prinzessinnengartens, die Ko-Forscher von Ökologiedozent Peter Berz, der gleich mehrmals mit Lupe und DDR-Bestimmungsbüchern anrückte (leider nützten ihm die nichts, da es sich vielfach um exotische Pflanzen handelte). Aber auch die Schmetterlingsbestimmer aus Friedenau-Süd, die von ihren Nordneuköllner Freundinnen mit dem grünen Daumen nach Kienberg gedrängten Künstler aus dem Wrangelkiez, die kulturbeflissenen Gartenfreunde aus Zehlendorf und Wannsee, die nur wegen der Lesungen des Humboldt Forums kamen, wie sie behaupteten, die dünnen Omas und dicken Opas aus Tempelhof, Britz-Buckow-Rudow und dem Märkischen Viertel, ja sogar aus Frohnau, die von einem „Tagesausflug“ sprachen …
Mit einer dieser älteren Damen kam ich ins Gespräch, an der Langgraswiese. Die war plötzlich doch gemäht worden – und alle Insekten darauf verschwunden. Das muss so sein, sagte sie, einmal im Jahr, nach der Samenreife, dann wächst anschließend alles besser. Sooft es geht, zeitlich und finanziell, fährt sie mit einem Rentnerbus in einen Garten – in die BUGAs, LaGas, IGAs, in den Rhododendronpark nach Bremen, in den Rosengarten nach Sangerhausen, in den Garten von Emil Nolde … „Das brauch ich.“
Nicht wenige IGA-Besucher aus den Westbezirken meinten auch: „Man kommt ja sonst nie hierher.“ Wenn sie dann oben auf dem Aussichtsturm des Kienbergs standen und sich umschauten, sagten sie: „So also sieht Marzahn aus.“ Worauf irgend so ein klugscheißerischer Russlanddeutscher sie prompt korrigierte: „Das ist Hellersdorf. Marzahn liegt auf der anderen Seite.“
Am 15. Oktober endet die Internationale Gartenschau, die statt der erwarteten 2 nur 1,6 Millionen Menschen sahen. Dies lag laut Veranstaltern vor allem am verregneten Sommer. Kritiker der IGA meinen dagegen, der Eintrittspreis von 20 Euro pro Erwachsener sei zu teuer gewesen an diesem Sonntag sind es ermäßigte 10 Euro. Die IGA hat 40 Millionen Euro gekostet, die vom Land Berlin vorfinanziert wurden. Von diesen kann sie nur 30 Millionen zurückgeben.
Auf dem 100 Hektar großen Land wurden der Kienberg, das Wuhletal und die Gärten der Welt zu einer großen Schau zusammengefasst und aufgewertet. Von 45 GärtnerInnen wurden 1.500 neue Bäume, 35.000 neue Stauden und 300.000 Blumenzwiebeln gepflanzt.
Rund 85 Prozent der baulichen Maßnahmen auf dem Gelände sollen erhalten bleiben, vom Rückbau sind fast ausschließlich Kioske und Toiletten betroffen. Die weiterhin eintrittspflichtigen Gärten der Welt werden am 1. Dezember 2017 wiedereröffnet werden. Ab dann fährt auch Berlins erste Kabinenseilbahn wieder, die nach Ende der IGA Berlin für drei Jahre erhalten bleibt – mit Option auf Verlängerung auf insgesamt 20 Jahre. Im Bereich der „Gärten der Welt“ wird sich die Seilbahnstation außerhalb des eintrittspflichtigen Bereiches befinden, sodass die Nutzung sowohl im Zusammenhang als auch unabhängig vom Besuch der Gärten der Welt erfolgen kann. Derzeit werden unterschiedliche Ticketlösungen geprüft, Genaueres gibt die Grün Berlin GmbH noch im Oktober bekannt. Spätestens am 31. März wird als neuer Volkspark der Kienbergpark eröffnet.
Der Bezirk Marzahn-Hellersdorf hat von der IGA profitiert, indem 85 Millionen Euro in die Infrastruktur rund um die Gartenschau investiert wurden – finanziert von der Senatsverwaltung für Wirtschaft, der Senatsverwaltung für Umwelt, vom Förderprogramm Stadtumbau Ost und der Lottomittel-Stiftung. So flossen etwa 7,5 Millionen in die U-Bahn-Station Kienberg und 1,4 Millionen ins neue Bezirksinformationszentrum. Durch zahlreiche Programmpunkte holte die IGA zudem Anwohner, Künstler und Firmen in Marzahn-Hellersdorf ins Boot. Im Vorfeld wurden Interessierte zu Dialogveranstaltungen und Baustellenführungen eingeladen. Unter dem Motto „IGA vor Ort“ wirkten viele Projekte aus dem Bezirk mit. (sum)
Die Kinder: Sie konnten naturgemäß den Gräsern und Blumen nur kurze Zeit etwas abgewinnen, der Seilbahn, dem Wasserspielplatz und der Bobbahn dafür um so längere. Apropos: Ein wesentlicher Kritikpunkt der Anwohner, das heißt der Bürgerinitiative „Kienberg-Wuhletal“, war das Einzäunen, Lichten und Terrassieren ihres „Rodelbergs“, wobei sie befürchten, dass die Zäune nach der IGA stehen bleiben, so wie es in Hamburg geschah. Und dass der Schweinekonzern „Deutsches Wohnen“, der gerade die Billigwohngegend am Kienberg erwarb, diese demnächst „asozial aufwerten“ wird – ein Hotel ist schon geplant. Ach! – alles wird immer schlimmer.
Da haben sie recht, das deckt sich mit unserer (Kreuzberger) Wahrnehmung, aber gerade deswegen besuchten wir und die oben erwähnte ältere Dame ja die IGA. Wir befinden uns inzwischen im Misanthropozän und müssen gestehen: Die Flora und Fauna interessiert uns weitaus mehr als die Menschen.
Klar, die meisten Pflanzen sind auch schon verdinglicht. Dumme Dinge, die man wegwirft, wenn sie verblüht sind. So wie als Erstes die 15.000 Tulpen kurz nach der IGA-Eröffnung. Aber die Blumen, etwa die hochgezüchteten Dahlien, tun immer noch so, als könnten sie Hummeln, Bienen und Schmetterlinge in Massen anlocken, als wäre es eine Lust zu leben, als könnte es ewig so weitergehen – blühen, bestäuben, vermehren, verblühen … Dabei ist alles um sie herum bereits mathematikbasiert, zerteilt, analysiert: Straßen, Häuser, Wohnungen, Werkzeug, Geschirr, Klamotten … Diese ganze bescheuerte Verdinglichung hört erst auf, wenn auch der letzte Wellensittich patentiert ist.
An Vögeln hatte die IGA übrigens auch einiges zu bieten: Wir sahen dort welche, die wir sonst nie sehen, etwa Stieglitz und Lerche. Die Kanadagänse verschwanden allerdings irgendwann. Die Bürgerinitiative kritisiert beibemerkt auch, dass die Seilbahn die Brutvögel auf ihrer Strecke vertreibt. Zu kritisieren ist auch, dass aus dem Restwald an der „Tälchenbrücke“ künstlicher Vogelgesang tönte. Das muss man sich mal vorstellen: Vogelgezwitscher aus Lautsprechern! Auch diese verdammten Gartenplaner wollen alles vermathematisieren.
Einen schönen Versuch, Mathematik und Natur zu versöhnen, bot der Weltacker. Er war ja schon vor der IGA an der Wuhle – und wird wohl dort bleiben. Zwar wird auch bei diesem Kollektiv bestimmt viel gerechnet, immerhin geht es darum, auf 2.000 Quadratmetern die wichtigsten Ackerpflanzen der Welt im realen Größenverhältnis anzubauen. Aber im Alltag spielt das gemeinschaftliche Moment bei den vielen Hobbygärtnern vermutlich die größere Rolle. Erst letzten Sonntag kamen zum Erntedankfest noch einmal viele Bekannte aus dem Umfeld von Saatgutaktivist Benny Haerlin zum Ernten, Kochen und Feiern zusammen. Ein paar Samen von der Yams-Wurzel konnten wir auch mitnehmen.
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