: Heidi auf Swahili
James Odhiambo organisiert Ostafrikas wichtigste Buchmesse in Kenia. Aber auch seine Kinder spielen lieber auf dem Tabletcomputer. Wie gewinnt man Leser?
Aus Nairobi Ilona Eveleens
Wie immer steht der Verkehr rundum das Sarit-Einkaufszentrum in der kenianischen Hauptstadt Nairobi. In der heißen Luft hängt ein schwerer Benzingeruch. Der Parkplatz ist noch voller als sonst, auffällig viele Schulbusse stehen dort. Ein Schild am Eingang des Einkaufszentrums weist darauf hin, dass dort gerade die 20. Buchmesse von Nairobi stattfindet, im zweiten Stock, der Weg dorthin führt vorbei an Kleidergeschäften, Restaurants und Lebensmittelläden. Blaue, rote und weiße Ballons heißen Besucher der Buchmesse willkommen.
Gleich am Eingang sind erregte Kinderstimmen zu hören. „Ich will das Buch und das und das“, ruft ein Junge, Leon, neun Jahre, in der blau-weißen Uniform seiner Schule. Er rafft ein halbes Dutzend Kinderbücher zusammen, alle verfasst in Swahili, der Lingua Franca von Ostafrika. Seine Lehrerin warnt ihn aber, dass er für seine 500 Kenianischen Schillinge, das sind ungefähr fünf Euro, nur drei Bücher kaufen kann. „Aber ich lese so ein kleines Buch an einem Tag aus. Kann ich nicht einen günstigeren Preis bekommen“, fragt er die Frau am Stand des kenianischen Verlags Queenex, muss sich dann aber doch beschränken und entscheidet sich für zwei: Mchezo wa Mtelezo, auf Deutsch Spiel der Verwandlung, und Safari ya Mabwe, ein Science-Fiction-Abenteuer.
Ende September fand die Buchmesse im Einkaufscenter statt, die größte in Ostafrika und eine der wichtigsten auf dem Kontinent. Verleger aus ganz Afrika kommen dorthin und machen ihre Deals.
Hauptthema dieses Jahr waren Kinder und wie sie zu Lesern werden können: „Kenianische Kinder lesen zu wenig Bücher. Sie lesen zwar viel für die Fächer in der Schule, aber selten Lesebücher“, sagt James Odhiambo, der Geschäftsführer des kenianischen Verlegerverbandes, der die Buchmesse organisiert.
Verleger, Lehrer, Eltern und Schriftsteller sind sich in der Diagnose einig, nur gibt jeder andere Gründe für den Lesemangel an – ist das Internet schuld? Die Verleger, weil das Literaturgeschäft weniger lukrativ ist als das mit Schulbüchern? James Odhiambo glaubt, dass es an der Armut liegt, dass kenianische Kinder so selten Bücher lesen. Mehr als vierzig Prozent der Kenianer leben unter der Armutsgrenze von einem Euro pro Tag. „Dann gibt es keine Wahl zwischen ein Büchlein für 120 Schilling oder zwei Kilo Maismehl für denselben Preis“, sagt er. Von zwei Kilo Maismehl kann eine durchschnittliche Familie eine Woche essen.
Und auch das Internet trage Schuld, glaubt er. Jugendliche in Kenia seien sehr aktiv in sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter, da gibt es eh viel Ablenkung, sagt Odhiambo – und erzählt von seinem Tabletcomputer zu Hause. Der wird von der ganzen Familie benutzt, eine Menge an Büchern sei darauf geladen, die eine NGO namens Worldreader für wenig Geld Lesern in Entwicklungsländern bereitstellt. „Wenn ich nicht aufpasse, haben meine vier Kinder Spiele heruntergeladen und statt zu lesen spielen sie. Früher, ohne Internet und Fernsehen, gab es wenig anderes als Bücher lesen oder Geschichten anhören, die Großeltern erzählten.“
Emma Kuria, die Vertreterin des Queenex-Verlags auf der Buchmesse, findet aber auch, dass die Buchverlage mehr machen könnten, um neue Leser zu gewinnen. „Vor allem die großen Verleger beschränken sich auf Schulbücher“, sagt sie, „weil damit gutes Geld verdient wird. Die müssen ja jedes Jahr wieder gekauft werden von Eltern. Kinderbücher und Romane scheinen ein zu großes Risiko zu sein.“ Ihr Verlag macht es anders: Dieses Jahr hat Queenex 53 Kinderbücher herausgegeben, in Swahili und Englisch, geschrieben von kenianischen Schriftstellern.
Einer von ihnen ist Karang’ae Chege, der auf der Buchmesse seine Bücher signiert. Ein Mädchen in roter Schuluniform muss überzeugt werden, um ihm in ihr neues Buch schreiben zu lassen, weil „sein Name steht doch schon auf dem Buch“. Sie hat „Lost in the Forest“ von ihm gekauft, „Verloren im Wald“, ein Abenteuerbuch über ein Mädchen und seinen Bruder, die von Gorillas verschleppt werden. Chege findet, dass die Eltern oft versagen: „Ich habe viel gelesen als Kind, weil auch meine Eltern viel lasen. Sie nahmen sich Zeit und lasen uns vor oder sprachen über Bücher. Heutzutage haben Eltern keine Zeit mehr für solche Aktivitäten mit ihren Kindern. Sie sind zu beschäftigt, um Geld zu verdienen.“
Chege schreibt seit über zehn Jahren Bücher, berühmt geworden ist er für seine Poesie im nationalen Radio und einer der großen Zeitungen. Am liebsten schreibt er fürs Theater oder eben Kinderbücher, „Tausi na Majuto Katika Kisa cha Gaidi Lii“ ist das berühmteste in ganz Ostafrika – „Das Schwarz und Weiß im Leben der Eidechse“.
Viele Schulbusse parken vor dem Einkaufscenter in Nairobi, Hunderte Schulkinder drängeln sich auf der Messe vor den paar Ständen, die Kinderbücher im Angebot haben. So einfach ist es selten für sie, in Berührung zu kommen mit Büchern, die für sie geschrieben wurden. Staatliche Schulen haben selten Schülerbibliotheken, und die Stunde Lesen, die eigentlich Pflicht ist, wird oft für andere Fächer genutzt. So ist es oft, sagt Joyce Muiruri Kariuki, die einige Kinder privat unterrichtet. Für sie hat sie an einem der Stände Kinderbücher wie „Heidi“ und „Rumpelstilzchen“ in Swahili gekauft, ihre bunte, große Einkaufstasche wird voller und schwerer. „Kinder mögen Geschichten. Sie mögen lesen. Es muss ihnen nur angeboten werden“, sagt sie.
Zur selben Zeit ein paar Kilometer weiter findet im Nationalmuseum, eingeklemmt zwischen zwei Autobahnen, das Literaturfestival Story Moja – Eine Geschichte – statt, zum zehnten Mal schon. Am Anfang stand die Idee eines Zusammenschlusses von Schriftstellern, die zeitgenössische Literatur aus Ostafrika bekannt machen wollten. Ihr Motto: „Eine lesende Nation ist eine schlaue Nation.“
Auch Story Moja richtet sich dieses Jahr vor allem an Kinder. Es gibt Tanz und Musik und Geschichten, vorgelesen oder zum Selberlesen. Im Garten, wo das Gras durch die Dürre beige geworden ist, gibt es Würstchen, Kekse und Limonade, unter einer Markise liegen Kinder in blau-grauen Schuluniformen auf bunten Kissen, hangeln auf einem Seil und hören Clifford Oluoch zu. Der Lehrer und Schriftsteller spricht mit ihnen darüber, wie man Geschichten schreiben kann. Er hat Erfahrung als Autor der populären Eastlanders-Serie für Kinder und von Romanen wie Nairobi Grit über das Leben in der Hauptstadt. Ein sehr intensiver Schreibworkshop ist das; gerade fragt ein Mädchen, wie man Geschichten ohne das Wort „ich“ schreiben kann: „Ich schreibe viel, vor allem abends zu Hause. Manchmal sind es meine Erfahrungen, manchmal meine Fantasien. Aber ich möchte nicht immer ‚ich‘ benutzen.“ Oluoch gibt die Frage an die anderen Kinder weiter, fast jeder hat eine Meinung: „Gib dir selber einen fiktiven Namen“, meint ein Junge. Ein Mädchen findet das Ich wunderbar: „Ich versetze mich in das Ich und erlebe dann seine Geschichte.“
„Es ist wirtschaftlich bestätigt, dass jemand, der als Kind nicht liest, es auch nicht als Erwachsener tut. Deshalb müssen wir uns auf Kinder richten“, sagt Oluoch später. „Mit Lesebüchern können sie ihre eigenen Ideen und Meinungen entwickeln.“
Ein Festival auf die Beine zu stellen, bei dem so viel gelesen und über Literatur geredet wird, ist nicht leicht in Kenia. Um die 6.000 Besucher kommen jedes Jahr; wenn der Eintritt gratis wäre, wären es sicher mehr. Aber das Nationalmuseum in der Innenstadt von Nairobi muss gemietet werden und ist teuer. Es gehört dem Staat, aber die Regierung hat wenig übrig für Kulturveranstaltungen. Nicht aus Geldmangel, sondern aus Desinteresse. Firmen sponsern mit ihrem Geld lieber Sportevents und Konzerte. Also nutzen die Organisatoren von Story Moja Facebook und Twitter, um Reklame zu machen, Plakate haben sie an größeren Plätzen der Stadt aufgeklebt, sie müssen auf das setzen, was wenig kostet, Mund-zu-Mund-Propaganda hilft auch und ab und zu ein Zeitungsartikel. Aber das Ziel, doppelt so viele Besucher zu haben, ist fern.
Dabei sei es jetzt genau richtig, für afrikanische Literatur zu werben, sagt Muthoni Garland, die Bücher für Erwachsene und für Kinder schreibt. „Wir sind in Kenia, aber überall auf dem Kontinent rückt Afrika selbst viel stärker in den Mittelpunkt. Wir sind selbstbewusster, lösen uns von Amerika und Europa und lernen unsere eigenen Geschichten und uns selbst kennen.“
Bis kurz vor dem diesjährigen Story Moja war es wieder unsicher, ob sie genügend Geld zusammenbekommen, um es stattfinden zu lassen, erzählt Garland. Es ist nicht nur die Miete des Museums für fünf Tage, sie wollen auch Schriftsteller aus Nachbarländern einladen, „um Kenianer für die Literatur aus Uganda und Tansania, Poesie aus Somalia oder anderswo in Afrika zu interessieren. Aber wir haben kaum Reisegeld für Autoren.“ Trotzdem gelang es Story Moja, den Ghanaer Oswald Okaitei einzufliegen, der seine Poesie mit Teenagern teilt.
Die Liebe zu Büchern und Literatur muss bei Kinder anfangen, glaubt auch Garland. Sie weist darauf hin, das voriges Jahr kein einziger kenianischer Schüler im Abitur Englisch mit der Bestnote abschloss, obwohl es eine der beiden offiziellen Landessprachen ist. Lesen hätte ihrer Meinung nach geholfen. „Ich weiß, dass jedes Jahr nach dem Abitur Schüler Buchverbrennungen veranstalten und schwören, nie wieder in ein Buch reinzuschauen. Hass für Bücher soll in Schulen umgesetzt werden in Liebe für Literatur“, sagt sie.
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