Zurück vor der Klasse

Die Uni Potsdam qualifiziert geflüchtete Lehrer. Jetzt kommen sie an die Schule. Eine Absolventin, ein Dozent, eine Schulleiterin und die Ministerin über das Projekt.

Deutschunterricht im Rahmen des Qualifizierungsprogramms für geflüchtete Lehrerinnen und Lehrer an der Universität Potsdam Foto: Rolf Schulten

Das Programm 2015 startete das Pilotprojekt an der Universität Potsdam mit 15 Plätzen. Nach 700 eingegangenen Bewerbungen wurde es auf 75 Teilnehmende aufgestockt. In den anderthalb Jahren der Weiterbildung erhielten sie einen Intensivsprachkurs, besuchten Fachdidaktik-Seminare mit deutschen Lehramtsstudierenden und absolvierten Praktika an Schulen. Über die Hälfte brach die Fortbildung ab. Ende September wurden die ersten 28 fertigen Refugee Teachers feierlich entlassen. Im Oktober startet die vierte und vorerst letzte finanzierte Runde.

Das Ziel Geflüchteten Lehrkräften Perspektiven für Tätigkeiten im deutschen Bildungswesen zu eröffnen. Die Idee dazu hatten die Potsdamer Bildungswissenschaftlerin Miriam Vock und ihr Mitarbeiter Frederik Ahlgrimm. Unterstützt wird das Projekt vom Wissenschafts- und dem Bildungsministerium sowie der Integrationsbeauftragten des Landes Brandenburg. Die 28 Absolvent*innen arbeiten nun vorerst für ein Jahr als Hilfslehrkräfte an Schulen in Brandenburg. Ein ähnliches Projekt („Lehrkräfte Plus“) gibt es inzwischen an der Universität Bielefeld.

Das neue Projekt Derzeit bereitet das brandenburgische Bildungsministerium ein ähnliches Qualifizierungsprogramm für ErzieherInnen als Fachkraft in Kitas vor.

Protokolle Louisa Theresa Braun

Endlich wieder in der Schule!

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Alesar Saed ist Hilfslehrkraft an der Goethe-Grundschule in Potsdam.

Ich freue mich sehr: Ich darf wieder in meinem Beruf arbeiten! In Syrien war ich sechs Jahre Mathematiklehrerin, aber das Schulsystem in Deutschland ist ganz anders. Man braucht zum Beispiel ein zweites Fach. Deshalb will ich mein Deutsch weiter verbessern und noch ein weiteres Fach studieren. Ich denke, ich werde Physik dazunehmen.

Als Refugee Teacher gehe ich nun an die Goethe-Grundschule am Babelsberg in Potsdam. Das ist eine gute Schule, da habe ich auch schon mein Praktikum gemacht, die anderen Lehrer dort sind sehr offen und die Eltern eigentlich auch. Das größte Problem ist eigentlich, dass die Kinder oft so schnell sprechen. Und ich habe auch ein bisschen Angst: Es ist mir nie schwergefallen, auf Arabisch etwas zu erklären, aber auf Deutsch ist das schon sehr kompliziert. Am Anfang werde ich zwar nur Assistentin sein, aber ich hoffe natürlich, irgendwann auch allein unterrichten zu können.

Mein Mann und ich sind vor zwei Jahren nach Deutschland gekommen. Ob ich für immer hier bleiben will, weiß ich noch nicht. Erst mal ist es natürlich toll hier. Dafür will ich Danke sagen. In Syrien kann man seit Jahren nicht mehr frei seine Meinung sagen, und das hat sich auch auf unsere Arbeit als Lehrer ausgewirkt. Wir sind froh, in Deutschland zu sein. Die Bundestagswahlen haben zwar gezeigt, dass es hier auch viele Rechte gibt, aber ich kann verstehen, dass die Deutschen unterschiedliche Meinungen haben und finde es gut, dass sie die äußern dürfen.

Wir persönlich haben aber ganz viel Hilfe und Unterstützung bekommen. Inzwischen haben wir hier auch sehr viele Freunde! Unsere Nachbarn sind zum Beispiel zu meiner Verabschiedung als Refugee Teacher gekommen. Wir wohnen im Souterrain des gemeinsamen Hauses, inzwischen mit unserer kleinen Tochter Perla Emmi. Sie ist in Deutschland auf die Welt gekommen, Perla ist ein internationaler Name, Emmi ist deutsch.

Jetzt freue ich mich aber erst mal auf die etwas größeren Kinder in der Schule!

Gute Begegnungen im Uni-Seminar!

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Frederik Ahlgrimm ist Mitinitiator des Projekts an der Uni Potsdam.

Ich arbeite am Lehrstuhl von Miriam Vock, und ihr kam Ende 2015 der Gedanke, an der Uni ein Angebot für geflüchtete Lehrerinnen und Lehrer zu machen. Ich war sofort begeistert. Der schönste Teil war die Begegnung mit den Teilnehmern in meinem eigenen Seminar, einem von vielen parallelen Schulpädagogik-Seminaren, an dem die Geflüchteten gemeinsam mit regulären Lehramtsstudierenden teilgenommen haben.

Es ging ja auch darum, dass die deutschen Lehramtsstudierenden und die Geflüchteten einander kennen lernen, und das war eine sehr interessante Mischung: Die Lehrerinnen und Lehrer aus Syrien, die schon viele Jahre Berufserfahrung haben, aber das deutsche Schulsystem noch nicht kennen, und manche Erstsemester, die selbst gerade erst aus der Schule kamen. Anfangs war die Kontaktaufnahme ein bisschen verhalten, aber jetzt würde ich sagen: Das hat sehr gut funktioniert.

Ich habe die Syrer zum Beispiel ihr Bildungssystem vorstellen lassen und habe dabei viel gelernt. Die Klassen sind dort sehr groß und der Unterricht ist total lehrerzentriert, wie es hier nicht mehr üblich ist. Und es gibt viel mehr private Schulen, wo sich am Nachmittag teilweise dieselben Lehrer und Schüler wiedersehen, die vormittags in der öffentlichen Schule sind. Nur eben vor kleineren Klassen.

Natürlich können die geflüchteten Lehrkräfte jetzt nicht gleich allein vor einer Klasse stehen. Das wäre eine beiderseitige Überforderung, denke ich. Einerseits, weil es hier aufseiten der Eltern zum Teil noch Ressentiments und an einigen Orten leider auch rassistische Einstellungen, gibt. Andererseits brauchen die Syrer noch mehr Zeit, um unser Bildungssystem in der Praxis kennen zu lernen, als Co-Teaching Erfahrung zu sammeln und ihre Fachsprache auf Deutsch zu verbessern. Hoffentlich geht es für sie nach dem Jahr als Hilfslehrkräfte weiter. Die Schulen freuen sich jedenfalls sehr über die Unterstützung, gerade für die Arbeit mit geflüchteten Kindern und ihren Eltern.

Eine Bereicherung für Brandenburg!

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Martina Münch (SPD) ist Wissenschaftsministerin von Brandenburg.

Das ist ein gelebtes Stück Integration, das wir heute beginnen, und eine Bereicherung für das Land Brandenburg. Die Flüchtlinge geben unserer Gesellschaft etwas zurück, machen das Land reicher, und das sollten wir uns von niemandem zerreden lassen.

Für die Geflüchteten war das erst mal nicht einfach. Sie hatten, zusätzlich zu ihrer Fluchterfahrung, sehr viel zu lernen, 24 Stunden Deutschunterricht jede Woche, außerdem die Fachdidaktik. Das haben nicht alle geschafft, aber ich denke, das Programm war zu Recht anspruchsvoll. Es zeigt, dass es auch für Menschen mit Fluchterfahrungen möglich ist, das zu schaffen. Integration kann gelingen, mit ein bisschen Anstrengung. Das ist auch ein Erfolg für die Uni Potsdam. Durch sie bekommen die Flüchtlinge nun Zugang zum brandenburgischen Schul- und Hochschulsystem. Die große Resonanz und die ersten erfolgreichen Absolventen zeigen, dass es für solche innovativen Programme einen erheblichen Bedarf gibt. Wir unterstützen die Hochschulen im Land in diesem Jahr mit 1,2 Millionen Euro, um studieninteressierten Flüchtlingen den Einstieg in das Hochschulsystem zu ermöglichen, sei es zur Vorbereitung, Aufnahme oder Fortsetzung ihres Studiums. Mit diesem Engagement setzen wir gemeinsam mit den Hochschulen ein wichtiges Zeichen der Offenheit und Solidarität: Studieninteressierte Flüchtlinge sind uns willkommen. Dieses Zeichen ist heute, angesichts von Populismus, Nationalismus und Hass, wichtiger denn je.

Die neuen Lehrerinnen und Lehrer werden in den Schulen zunächst als zusätzliche Kräfte eingesetzt, und ich bin mir sicher, ihre Erfahrungen, ihr Wissen und ihr hohes Engagement macht sie dort zu wichtigen Brückenbauern. Ihre besondere Stärke ist, dass sie durch ihre Herkunft und Erfahrungen zwischen den in Deutschland neu angekommen Schülern und den deutschen Schulen vermitteln können – wir werden sie brauchen an unseren Schulen!

Eine Entlastung für die Lehrkraft!

Katrin Heinrichs ist Konrektorin der Goethe-Grundschule in Potsdam.

Als wir die Anfrage von der Uni Potsdam bekamen, uns an dem Projekt zu beteiligen, war es für uns selbstverständlich, dass wir eine syrische Kollegin oder einen Kollegen aufnehmen würden. Alesar Saed war ja schon als Praktikantin bei uns, hat sich von Beginn an hoch professionell verhalten, und wir sehen die Zeit, die sie an unserer Schule ist, als kulturelle Bereicherung.

Wir wollen den Unterricht an unserer Schule, auch durch die Teilnahme am Landesprojekt für gemeinsames Lernen, so differenziert wie möglich gestalten. Durch die zusätzliche volle Stelle von Frau Saed können wir Teilungsstunden einrichten, die wir mit der normalen Stundenzuweisung nicht bekommen hätten. Eine zweite Lehrkraft im Co-Teaching bedeutet zudem also eine Entlastung für die verantwortliche Lehrkraft. An unserer Schule lernen aufgrund des Einzuggebietes derzeit nur drei syrische Kinder, mit denen es zu Beginn natürlich Verständigungsschwierigkeiten gab: Die Kinder, die nur Deutsch sprechen, waren es nicht gewohnt, dass sie nicht verstanden werden und andere kommunikative Mittel finden müssen, um im Kontakt zu kommen, miteinander zu lernen oder etwaige Konflikte zu lösen. Rein sprachliche Missverständnisse sind sicher schneller zu klären, wenn jemand wie Frau Saed beide Sprachen spricht. Wir erhoffen uns auch viel neues Wissen, um unsere interkulturelle Kompetenz auszubauen und zu stärken – für die gesamte Schulgemeinschaft.

Wann und in welchem Rahmen eigenverantwortlicher Unterricht für Frau Saed möglich ist, müssen wir noch abstimmen, denn die Arbeit an einer Grundschule mit den besonderen didaktischen Anforderungen ist auch für deutsche Lehrkräfte eine herausfordernde Aufgabe. Um an unseren Schulen gute Arbeit zu tun, brauchen wir engagierte und gut ausgebildete Lehrkräfte. Nach der durchweg positiven Erfahrung mit Frau Saed und einem weiteren syrischen Kollegen sind wir dafür sehr offen.