Kommentar von Dirk Knipphals zum Nobelpreis
: Ishiguro? Für die Literatur das Beste

So, jetzt alle mal einen Schritt zurücktreten und über das eindimensionale „Freut mich“, „Sagt mir nichts“, „Gern gelesen“, „Nicht gern gelesen“, „Schade, dass es wieder nicht Philip Roth geworden ist“, „Gut, dass es immerhin nicht Murakami geworden ist“, „Ach, die wollen doch nur die Brexit-Briten trösten“ hinauskommen.

Wenn man über die beim Literaturnobelpreis eingefahrenen Rituale hinausgeht, sieht man nämlich erst, was für einen guten Job die Angehörigen der Schwedischen Akademie in Stockholm gerade machen. Mit ihren Preisentscheidungen treffen sie zielgenau die Fragen, die die Literatur als ganze gerade mit sich herumträgt.

2015 bekam Swetlana Alexijewitsch den Preis, und alle Welt diskutierte, ob ihre Form der Oral History nun Literatur oder „nur“ Dokumentation sei. 2016 holte sich Bob Dylan die Urkunde doch noch irgendwann ab und die Frage war, ob das überhaupt zusammengeht, ein Sänger – selbst wenn es Dylan ist – und die Literatur. Und nach der diesjährigen Entscheidung für Kazuo Ishiguro lässt sich jetzt ganz großartig darüber diskutieren, ob Romane wie „Was vom Tage übrig blieb“ oder „Alles, was wir geben mussten“ nun tatsächlich hohe Literatur oder „nur“ gehobene Unterhaltung darstellen. Genau so hält man Literatur im Gespräch.

Die über den jeweiligen Preisträger hinausweisende Frage ist doch: Was kann der Literaturnobelpreis überhaupt? Er kann einzelne Autorinnen und Autoren sehr berühmt (und ziemlich reich) machen. Er kann einzelne Staaten oder Regionen stolz machen – wieder einen Preisträger hervorgebracht! Wobei im Fall von Ishiguro eher Großbritannien als Japan die Ehre gebührt (dies sei bewusst in Deutschland angemerkt, wo Schriftsteller mit türkischem Hintergrund und deutscher Staatsangehörigkeit oft noch rein als türkische Autoren bezeichnet werden). Und der Nobelpreis kann am Bild und am Begriff von Literatur insgesamt arbeiten. Und das machen sie in Stockholm gerade sehr gut.

Es ist kein Hochkulturkanon, den sie schlicht abarbeiten. Offenbar lassen sie sich auch nicht von der Vorstellung leiten, Literatur repräsentiere das Land, in dem sie geschrieben wird.

Die Nobelpreis-Entscheidungen der vergangenen Jahre waren stets überraschend und nie so ganz einfach auf die große These oder den einen Punkt zu bringen. Fast könnte man der ja irgendwo auch hübsch romantischen Vorstellung anhängen, in der Stockholmer Akademie sitzen Menschen, die gerne, viel und vorurteilsfrei lesen. Für die Literatur ist das das Beste, was passieren kann.