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Die WahrheitFranzicke unter Franzacken

Kolumne
von Susanne Fischer

Französische Woche der Wahrheit: Immer essen müssen die vom hohen Wert der Nahrung ergriffenen Franzosen. Gäste sollen mitschlemmen.

M einen achtzehnten Geburtstag feierte ich in Paris mit meinem Freund. Wir waren knapp bei Kasse und ernährten uns hauptsächlich von Käsetoasts und trockenem Baguette, während ich mit gierigen Augen die Restaurants betrachtete, weil ich ahnte, dass einem in Frankreich eigentlich ein anderes Leben zusteht, und so trennten wir uns bald darauf.

Mein nächster Aufenthalt in Paris zwanzig Jahre später begann mit einem selbstmörderisch veranlagten Taxifahrer. Jemand ohne Suizidabsichten würde sich in der Hauptstadt ohnehin nicht ans Steuer setzen. Immerhin lernte ich einige Beleidigungen in der Landessprache. Danach gab es endlich ein gutes, deftiges Abendessen in einem authentischen Bistro, das mich sofort zur Franzosenfreundin machte; dann ging es auch schon ins Theater, wo ich wenig verstand, aber spontan alles liebte. Kultur und l’amour, mehr kann man als deutsche Kartoffel unter den geborenen Lebenskünstlern nicht verlangen. Darauf hatte ich Jahrzehnte gewartet! Nach der eher kurzen Aufführung bestand der Regisseur darauf, uns weitgereiste Ehrengäste zum Essen einzuladen, es sei ein toller Koch im Kulturzentrum zu Gast.

Mein Magen erklärte mir, er habe mit Ente und Rübchenpüree von vor zwei Stunden noch genug zu tun, aber ich antwortete ihm, es könne sich ja zu dieser späten Stunde höchstens um ein paar Vorspeisen handeln. So war es auch: Köstlicher Schinken, eingelegtes Gemüse, Kleinigkeiten. Der Regisseur fragte, wie es schmeckte, und zwar mehrfach, bis ich nickte und lächelte und alles aufaß. Gott in Frankreich dankte ich für meine gute Konstitution.

Foto: Tom©

Dann kamen die Nudeln. Der Regisseur, ein Mann mit Kontrollzwang, achtete darauf, dass ich meinen Teller leerte. Ich bat meinen Magen, nicht aufzugeben, es sei gleich überstanden.

Das war es auch, aber nur bis zum Hauptgang. Köstlich, nicht wahr? Sie müssen mehr Fleisch essen, der Koch ist berühmt dafür. Hier ist noch Trüffel. Ohne Gemüse geht es nicht. Bitte nehmen Sie zwei Brote. Schmeckt es Ihnen nicht?

Mein Magen brüllte sein j’accuse!, der gute alte Banause. Das konnte ich nicht durchgehen lassen, da habe ich ihm auch noch das Dessert reingewürgt.

Nachts wälzte ich mich schwitzend in der düsteren Schachtelwelt eines Pariser Hotelzimmers. In meinen Träumen tanzte der Regisseur mit dem Koch den letzten Tango auf meiner Bauchdecke, unter der direkt der Sturm auf die Bastille nachgespielt wurde. Ich erwachte als wimmerndes Wrack.

Croissant und Milchkaffee am Morgen ließ ich ausnahmsweise an mir vorbeiziehen. Leider war ich schon mittags in die Maison de la Truffe eingeladen. Ohne viel Ei und Fett schmecken Trüffel gar nicht, das weiß in Frankreich jedes enfant. Der TGV nach Hause baute wegen meines Übergewichts so viel Verspätung auf, dass mein Magen sich noch heute in Paris befindet. Falls Sie Regisseur oder Koch sind, sprechen Sie ihn bitte auf gar keinen Fall an.

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