: Das glücklichste Paar der Welt
Die Geschichte von Lili und Duke: Weiße Frau aus gutem New Yorker Hause trifft einen armen Schwarzen aus den Südstaaten. Irene Dische beschreibt eine traurige Amour fou mit unwiderstehlichen Figuren – „Schwarz und Weiß“
Irene Dische: „Schwarz und Weiß“. Aus dem Englischen von Elisabeth Plessen. Hoffmann und Campe, Hamburg 2017, 496 Seiten, 26 Euro
Von Laila Oudray
Tristan und Isolde, Anna Karenina und Wronskij, Eduard und Ottilie: Die Literatur ist besessen von der „Amour fou“. Auch die deutsch-amerikanische Schriftstellerin Irene Dische erzählt in ihrem Roman „Schwarz und Weiß“ von einer alles verzehrenden Liebe und vom „American Dream“, an den sich die Gesellschaft der USA des 20. Jahrhunderts wider besseres Wissen immer noch klammert.
Die Liebesgeschichte von Lili Stone und Duke Butler beginnt im New York der 1970er Jahre. Sie ist die Tochter einer weißen, reichen Intellektuellenfamilie und kommt in den Genuss von vielen Privilegien. Sie geht an eine der führenden Universitäten und hat Kontakt zur intellektuellen Elite. Wie es sich für eine junge Frau aus gutem Hause ziemt, rebelliert sie irgendwann. Dazu passt auch ihr neuer Freund: Duke.
Die Oberschicht New Yorks ist zunächst irritiert von dem schwarzen Mann aus dem Süden mit den blauen Augen. Er entstammt einem ärmlichen Elternhaus, interessiert sich nicht für Literatur oder das Weltgeschehen und spricht wenig. Trotzdem fühlt sich die Gesellschaft bald zu dem Introvertierten hingezogen.
Mit Lili verbindet ihn schnell eine wahnsinnige Liebe, die die einzige Konstante in ihrem Dasein darstellt. Ihr gemeinsames Leben gleicht schon bald einer rasanten Achterbahnfahrt. Sie wird zum Enfant terrible der Modewelt. Er wird zu einem gefragten Sommelier, mit einer eigenen Fernsehsendung. Die beiden verdienen ein Vermögen und verkehren unter den Reichen und Schönen.
Doch in Lili verbergen sich eine zerstörerische Wut und ein unstillbares Verlangen nach Aufmerksamkeit. Bald nimmt sie Drogen aller Art, manipuliert ihr Umfeld, quält Tiere und verletzt sich selbst mit Feuer. Auch in Duke tun sich bald Abgründe auf. Die große Liebe erkaltet langsam. Die Situation eskaliert. Doch Lili wird bis zum Schluss in Interviews immer wieder betonen: „Wir sind das glücklichste Paar der Welt.“
Jo, Dukes entfremdete Mutter, erzählt mit Hilfe des Tagebuchs ihrer Schwiegertochter die Geschichte. Doch sie ist keine neutrale Beobachterin, sondern auch Akteurin, die auch von ihrem Leben und Scheitern spricht und in die Geschichte eingreift.
Diese Liebe, die in der charmanten New Yorker Bourgeoisie beginnt und in einer von Abhängigkeit und Hass geprägten, unheilvollen Verbindung in Florida endet, lässt sich allegorisch lesen. Nur in den USA scheint eine so seltsame Erfolgsgeschichte wie Dukes Aufstieg zum Sommelier der Stars und sein tiefer Fall möglich zu sein. Der amerikanische Traum, das Heilsversprechen von Aufstieg und Selbstverwirklichung – die Erfüllung scheint immer wieder zum Greifen nahe, doch die Hoffnungen werden immer wieder zerstört. Nicht nur bei Duke und Lili, sondern bei allen Beteiligten.
Auch das Thema Rassismus wird in die Geschichte eingewoben, ohne den arroganten Anspruch einer Lösung zu formulieren. Duke bewegt sich in einer weißen Welt. Er selbst schaut sich in jedem Raum um, ob noch weitere Dunkelhäutige anwesend sind. Diese Tatsache wird nicht weiter interpretiert, sondern als gegeben dargestellt. Interessanterweise hinterfragt Duke seine Liebe zu Lili immer dann, wenn er Kontakt zu anderen Dunkelhäutigen hat – etwa mit einem schwarzen Pfarrer oder seiner Tochter aus Kenia. Leider ist die Geschichte von Lili und Duke auch etwas kitschig. Tolstoi meinte bekanntlich: „Alle glücklichen Familien gleichen einander. Jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Art unglücklich.“ Hier muss man widersprechen. Die Geschichte von Lili und Dukes Liebe, ihr Exzess und ihr Scheitern, ist wohlbekannt. Auch die Beschreibung des weiblichen Parts dieser verrückten Liebesbeziehung als hysterisch ist ein Klischee. Die Frau als Sünderin, dazu passt auch Lilis Modelname: „Lilith“, die Dämonin.
Trotz dieser Schwächen lohnt die Lektüre von „Schwarz und Weiß“. Die Protagonist*innen sind unwiderstehlich. Vor allem die Sprache von Irene Dische ist ein Genuss – die feine Ironie, der trockene Humor lässt die Leser*in still in sich hinein grinsen. Dieses Grinsen friert im Gesicht ein, wenn man die Gewaltszenen liest. Es gibt keine Vorwarnung. Wenn Irene Dische beschreibt, wie Lili den Kopf einer Katze gegen die Wand schmettern lässt, schafft sie es, detailliert, trocken und dabei nicht geschmacklos zu sein. Es ist wie ein Schlag in den Bauch, um dann wieder zum Tagesgeschäft überzugehen.
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