: „Weltweiter Trend zur Quote“
Bundestag Alle seien stolz, dass es eine Kanzlerin gibt, doch um mehr Mandate für Frauen sorge sich niemand, klagt die Politologin Helga Lukoschat
Interview Heide Oestreich
taz: Frau Lukoschat, wenn man die Umfragen hochrechnet, dann könnten im neuen Bundestag statt jetzt 37 nur noch 31 Prozent Frauen sitzen. Woran liegt das?
Helga Lukoschat: Linke, SPD und Grüne haben quotierte Listen. Ihre Stimmenanteile werden aber voraussichtlich kaum steigen. Die Union wiederum hat ein Drittelquorum für Listen und Mandate – also eine weiche Sollvorschrift, ohne Sanktionen. Die Konsequenz: Die Direktmandate gehen zu rund 80 Prozent an Männer. Und schließlich ziehen laut Prognosen FDP und AfD ein. Beide Parteien lehnen Geschlechterquoten strikt ab.
Warum verteilt die CDU die Direktmandate nicht anders?
Es gibt eine Art Merkel-Effekt. Alle sind stolz, eine Kanzlerin zu haben, da muss man sich doch um weitere Mandate keine Gedanken machen. So oder so ähnlich werden die Frauen in der Union abgespeist. Es gab Kampfkandidaturen von Frauen gegen die männlichen Platzhirsche, das ist sehr ungewöhnlich. Die Frauen wurden aber dennoch nicht nominiert.
In anderen Parlamenten sieht es ja zum Teil sehr viel besser aus. Bolivien und Kuba etwa haben ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis, Ruanda sogar 60 Prozent Frauen, aber auch Südafrika, Frankreich, Spanien und Belgien liegen vor uns. Wie kommt ’s?
Es gibt tatsächlich einen weltweiten Trend zu Quotenregelungen. Denn es ist eine grundlegende Frage der Demokratie, ob die Hälfte der Bevölkerung in den Parlamenten angemessen repräsentiert ist. Zudem hat sich herumgesprochen, dass politische wie auch ökonomische, soziale Prozesse deutlich besser funktionieren, wenn beide Geschlechter beteiligt sind. Es ist paradox, dass die Bundesrepublik dieses Credo in ihrer Außenpolitik, wie zum Beispiel auch auf dem W20-Gipfel propagiert, in ihrem eigenen Land aber nicht anwendet.
Die Politologin, Jahrgang 1957, ist Vorsitzende der Europäischen Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft.
Das Bündnis von 17 Frauenverbänden, die sogenannte Berliner Erklärung, fordert ein Paritätsgesetz. In Frankreich gibt es das bereits seit 2000, bewehrt mit Strafzahlungen. Das hat die Parteien nicht gestört. Die verblichene konservative UMP zahlte bis zu 20 Millionen Euro Strafe, um weiter ihre Männer aufstellen zu können.
Auf nationaler Ebene gab es Defizite, richtig. Aber Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat sich jüngst erstmalig an das Paritätsgesetz gehalten und 50 Prozent Frauen aufgestellt. Und bei den Wahlen zu den Départementsräten wurde ein sehr interessantes Verfahren entwickelt. Die Zahl der Wahlkreise wurde halbiert. Dafür musste in jedem ein sogenanntes Binôme antreten, ein Tandem aus Mann und Frau. Das Tandem mit den meisten Stimmen wird gewählt.
VerfassungsrechtlerInnen in Deutschland sagen, quotierte Listen und Mandate seien ein Eingriff in die Parteienfreiheit.
In der Verfassung heißt es aber auch, dass der Staat Benachteiligungen wegen des Geschlechts abbauen muss. Und wenn über Jahrzehnte Frauen unterrepräsentiert sind, liegt hier eine strukturelle Benachteiligung vor, die der Gesetzgeber nicht einfach ignorieren kann. Frankreich hat übrigens seine Verfassung in diesem Punkt konkretisiert. Sie garantiert den gleichen Zugang von Frauen und Männern zu Wahlmandaten und Wahlämtern.
Aber Menschen mit Migrationshintergrund sind auch unterrepräsentiert und Homosexuelle und Transsexuelle auch und Behinderte sowieso und Arbeiter*innen und Arbeitslose ….
Ja, das Repräsentationsdefizit ist ein Riesenthema. Die Frauenquote könnte hier als Türöffner wirken. Doch es liegt dann durchaus die Frage nahe, wie man andere Gruppen künftig besser repräsentieren kann.
Was sagen denn die gerade Wahlkampf betreibenden Parteien zum Paritätsgesetz?
Linke und Grüne haben weniger ein Problem damit, die SPD diskutiert. Bei den CDU-Frauen sind einige aufgeschlossen, der Rest ist Schweigen.
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